Energie

Nie wieder Energie aus Russland: Nord Stream Pipelines droht das endgültige Aus

Die EU verbietet fossile Brennstoffe aus Russland. Damit ist die Rechtsgrundlage geschaffen, um die Nord Stream Pipelines zu beerdigen. Ist das das Ende?

Bald nur noch im Nebel der Erinnerung: Das Gasleck von Nord Stream 2
Bald nur noch im Nebel der Erinnerung: Das Gasleck von Nord Stream 2Swedish Coast Guard

Die EU hat in der Nacht zum Mittwoch einen für die deutsche Energieversorgung möglicherweise weitreichenden Deal verabschiedet: Im sogenannten Trilog-Verfahren – einem gemeinsamen Format von EU-Kommission, EU-Parlament und dem EU-Rat – wurde der vollständige Ausstieg aus fossilen Brennstoffen aus Russland beschlossen. Spätestens zum 1. November 2027 darf kein Erdgas mehr aus Russland importiert werden, und zwar weder Flüssigerdgas (LNG) noch über Pipelines.

Bernd Lange von der SPD, Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender des Ausschusses für Internationalen Handel (INTA), sagte der Berliner Zeitung: „Mit dem Beschluss ist nun verbindlich festgelegt, dass das Enddatum für russisches Pipelinegas der 30. September 2027 ist.“ Bis zu diesem Datum sei Deutschland noch gesetzlich verpflichtet, die Gasspeicher für den Winter zu 85 Prozent zu befüllen. Danach sei es verboten, über die bestehenden Pipelines Erdgas aus Russland zu beziehen.

Umgehung ausgeschlossen

Das Verbot betreffe „alle Pipelines“ und sei nicht zu umgehen: „Die Regelung wird Europäisches Recht. Die Höchststrafen für Mitgliedsländer oder Unternehmen, die dagegen verstoßen, sind substanziell.“ Lange lässt keinen Zweifel daran, was der Beschluss für die Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 heißt: „Dieser Beschluss bedeutet das endgültige Aus für Nord Stream.“ Auch eine Umgehung, etwa durch Zwischenhändler, sei „ausgeschlossen“. Es gebe strenge Vorgaben zu Herkunftsnachweisen für importiertes oder gespeichertes Gas, „um Umgehungen über Drittstaaten oder verschleierte Lieferketten von Beginn an zu unterbinden“.

Demnach sei auch die Variante vom Tisch, dass ein US-Unternehmen Nord Stream übernehmen, Gas in Russland einkaufen und es dann an die Europäer weitervertreiben könnte: „Das wird es nicht geben, die Regeln sind wasserdicht. Alle Hintertüren sind geschlossen.“ Russland werde „nicht über Drittländer oder fingierte Lieferwege zurück auf den europäischen Markt kommen“ können.

Deutsche Umwelthilfe: Ende aus Klimaschutzgründen

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert  schon „der Nord Stream 2-Pipeline eine endgültige Absage zu erteilen“. so der Chef der DUH, Sascha Müller-Kraenner, zur Berliner Zeitung. Das sei allein schon aus Gründen des Klimaschutzes dringend geboten: „Die Pipeline würde bis zu 100 Millionen Tonnen CO2-Emissionen im Jahr verursachen, zusätzlich zu den Methanemissionen aus der Gasproduktion in Russland. Es handelt sich damit um das größte fossile Neubauprojekt der letzten Jahre in Europa.“

Kommission: Russisches Gas über Nord Stream 2 verboten

Eine Sprecherin der EU-Kommission bestätigte der Berliner Zeitung: „Nach der REPowerEU-Verordnung gilt Gas, das über Nord Stream 2 in die Union eingeführt wird, als russisches Gas und wird daher gemäß den einschlägigen Bestimmungen verboten. (Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung).“ Was mit der Pipeline geschehen soll, sei nicht Thema der EU, so die Sprecherin: „Der Geltungsbereich der in der vergangenen Nacht erzielten politischen Einigung ist ein Verbot von Erdgaseinfuhren aus der Russischen Föderation. Sie befasst sich nicht mit dem möglichen Abbau der Gasinfrastruktur. Die Entscheidung über den Rückbau von Gasinfrastruktur liegt letztlich bei den nationalen Behörden und den Eigentümern der Infrastruktur.“

Deutschland kann Entscheidung nicht verhindern

Der Kompromiss soll am 11. Dezember in den zuständigen Ausschüssen bestätigt werden. Die Abstimmung im EU-Parlament soll am 15. Dezember stattfinden. Im Plenum des EU-Parlaments werde es „keine Probleme“ mit der Findung einer Mehrheit geben, zumal die Fraktionen der EVP und der Sozialdemokraten über eine Mehrheit verfügen und auch die Zustimmung der Grünen und von Teilen der Liberalen erwartet wird.

Der EU-Rat werde, so Lange, mit einer „qualifizierten Mehrheit“ entscheiden, Länder wie Ungarn oder auch Deutschland könnten den Beschluss nicht mit einem Veto verhindern. Minimale Anpassungen werde es für die Slowakei und einen von einem russischen Unternehmen betriebenen Terminal in Belgien geben. Lange erwartet, dass die neue Regelung ab dem 1. März 2026 in Kraft tritt.

Das Bundeswirtschaftsministerium könnte, wenn die neue Gesetzeslage in Kraft tritt, einer Handlungsoption beraubt werden: Eine Zertifizierung sei „wegen der künftigen Rechtslage nicht möglich“, sagte Lange. Die Pipeline könne im Grunde „abgetragen“ werden, so der SPD-Politiker. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte kürzlich kritisiert, dass es noch keine Grundsatzentscheidung gegen Nord Stream im Rahmen der „Richtlinienkompetenz“ von Bundeskanzler Friedrich Merz gegeben habe.

Abriss von Nord Stream würde Milliarden kosten

Eine Sprecherin des Ministeriums sagte der Berliner Zeitung, die Bundesregierung habe „keinerlei Bestrebungen“, die Nord-Stream-Pipelines wieder in Betrieb zu nehmen. „Deutschland ist unabhängig von russischem Gas“, so die Sprecherin. Einen Abriss der Pipelines würde es nur im Fall einer Insolvenz von Nord Stream 2 geben, so ein mit der Sache vertrauter Insider zur Berliner Zeitung. In diesem Fall könne eine „Ausfallhaftung“ des Schweizer Kantons oder des Steuerzahlers schlagend werden. Diese werde „sicherlich im hohen Milliardenbereich“ liegen, so der Insider. Müller-Kraenner von der DUH hält daher eine Abwägung für notwendig: Grundsätzlich sei die Betreiberfirma verpflichtet, die Pipeline wieder vom Meeresgrund zu entfernen und den natürlichen Zustand wiederherzustellen. Die Pipeline trenne „Lebensräume am Boden der Ostsee und richtet dadurch dauerhaften Schaden am Ökosystem des Meeresbodens an“. Müller-Kraenner: „Da die Pipelines schon verlegt sind, sind durch Baulärm, Störung des Meeresbodens, etc. bereits gravierende Umweltschäden entstanden. Die Pipelines wieder baulich zu entfernen, wäre nicht nur mit hohen Kosten, sondern auch mit zusätzlichen Umweltbelastungen verbunden. Deswegen müssen diese Aspekte gegeneinander wissenschaftlich abgewogen werden.“

De Masi: Die EU kastriert sich selbst, DUH gegen LNG

Fabio De Masi, Chef des BSW und EU-Abgeordneter, kritisiert die Entscheidung scharf. er sagte der Berliner Zeitung: „Es ist völlig irre, dass die EU sich ökonomisch selbst kastriert und diplomatisch aus dem Spiel nimmt. Statt einen Betrieb von Nord Stream in einen Waffenstillstand einzubetten, macht sich die EU von Trump erpressbar und haut diesem die Auftragsbücher bei Fracking Gas voll. Die Sanktionen haben den Krieg nicht verkürzt, aber Europa zum Spielball von Trump gemacht, während die USA in Russland kräftig Uran für ihre Atomkraftwerke einkauften.“

Sascha Müller-Kraenner sieht auch auf diesem Gebiet Handlungsbedarf: „Deutsche Unternehmen und die Bundesregierung haben nach dem russischen Angriff auf die Ukraine neue LNG-Lieferverträge über mehr als 286 Millionen Tonnen LNG abgeschlossen. Damit geht bereits ein beträchtlicher fossiler Lock-In einher, von den Auswirkungen auf die Menschen, die in Frackinggebieten und an Exportterminals leben müssen, ganz zu schweigen. Wir fordern deshalb ein Moratorium auf alle neuen LNG-Lieferverträge und die Genehmigung weiterer deutscher LNG-Terminals, bis die Klima- Umweltauswirkungen und deren Notwendigkeit für die Versorgungssicherheit in verschiedenen Gasverbrauchsszenarien geprüft wurden.“

Ausstieg beschleunigen

Der am Mittwoch beschlossene Deal geht noch über die ursprünglichen Vorschläge der EU-Kommission hinaus: Maßgeblich auf Druck des Europäischen Parlaments wurde der ursprüngliche Vorschlag der Kommission nochmal verschärft und der Ausstieg beschleunigt. Das Verbot für russisches LNG auf dem Spotmarkt tritt bereits Anfang 2026 in Kraft und der Importstopp für russisches Pipelinegas erfolgt früher als ursprünglich vorgesehen.

Die EU-Kommission hat sich außerdem verpflichtet, Anfang 2026 einen Gesetzesvorschlag für ein vollständiges Verbot russischer Ölimporte vorzulegen, das spätestens Ende 2027 wirksam werden soll. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen lobte die Entscheidung: „Es ist der Beginn einer neuen Ära: der Ära der vollständigen Energieunabhängigkeit Europas von Russland.“