Geopolitik

Eskalation in den Köpfen: Nato nimmt Russland in der Arktis ins Visier

Der Westen will Russland in der Arktis bezwingen. Der Nato-Gipfel bedeutete einen schweren Rückschlag für Moskau. Ein Kommentar.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist Gastgeber eines Treffens zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dem schwedischen Premierminister Ulf Kristersson auf dem Nato-Gipfel in Vilnius
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist Gastgeber eines Treffens zwischen dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und dem schwedischen Premierminister Ulf Kristersson auf dem Nato-Gipfel in VilniusUPI Photo/imago

Der Nato-Gipfel brachte für Russland einen schweren Rückschlag. Nicht wegen der Ukraine, der weitere umfangreiche Waffenlieferungen zugesagt wurden – sondern wegen des sich nun abzeichnenden Nato-Beitritts von Schweden:  „Tut mir leid, Russland, die Ostsee (Baltic Sea) ist jetzt der See der Nato“, frohlockte das amerikanische Magazin Politico und machte sich die gleichlautende Aussage von Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations zu eigen.

Franke erläutert, dass der Beitritt von Schweden und Finnland die Bewegungsmöglichkeiten der russischen Flotte in der Ostsee signifikant einschränke. Dies ist vor allem im Hinblick auf den Wettlauf um die Ausbeutung der Ressourcen in der Arktis wichtig – aber auch, weil sich die Amerikaner auf eine „direkte Konfrontation mit Russland vorbereiten“, wie das Magazin Newsweek anlässlich des Militärmanövers „Northern Strike 23“ berichtete, welches im Januar dieses Jahres unter amerikanischer Führung in der Arktis abgehalten wurde.

Auch für die russische Exklave Kaliningrad ist die Entwicklung gefährlich, wie russische Militärs feststellten. Die Versorgung und damit militärische Verteidigung der Stadt dürfte schwieriger werden. Die Zuspitzung auf den skandinavischen und baltischen Raum und die Arktis könnte bedeuten, dass sich der Krieg nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ausweiten könnte und eine direkte Konfrontation zwischen den USA und Russland denkbarer erscheinen lässt als zuvor.

Weil keine westeuropäische Nation sich in den vergangenen Jahrzehnten so aufgestellt hätte, dass sie sich heute selbst verteidigen könnte, ist der Einsatz von Technologie das Mittel der Wahl. Auch der Einsatz von Atomwaffen ist in diesem Zusammenhang vermutlich bald kein Tabu mehr – wie das Beispiel der Streumunition für die Ukraine zeigt. Obwohl Deutschland die Ächtung dieser perfiden Waffen ratifiziert und sich im Rahmen der Vereinbarung verpflichtet hat, alles zu tun, um die Nicht-Unterzeichner von der Verwendung abzuhalten, sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Deutschland dürfe „in der gegenwärtigen Situation der USA nicht in den Arm fallen“. Wie verdreht das Denken manch eines Politiker ist, zeigt Steinmeiers absurde Begründung: Er sei „befangen“, weil er sich seinerzeit für die Ächtung der Streumunition eingesetzt habe. Daher muss er sich jetzt der Stimme enthalten? Wenn alle Entscheider so denken, kann auch der Einsatz von Atomwaffen gerechtfertigt werden – im übrigen auch auf Seiten der Russen, die ja auch dem Kriegsherrn Putin „in der gegenwärtigen Situation nicht in den Arm fallen“ können.

Zur Eskalation in den Köpfen tragen übrigens auch einige Medien bei: In den vergangenen Wochen ist die Verherrlichung von Kriegsgerät geradezu zur Königsdisziplin geworden. Auch Zeitungen, die theoretisch den Anspruch auf Seriosität erheben, haben alle Prinzipien über Bord geworfen, wie etwa die FAZ, die ohne Bedenken eine Anzeige der Rüstungsfirma Lockheed Martin bringt, oder die Financial Times, die in einer distanzlosen Grafik erklärt, wie Streubomben funktionieren, einschließlich eines Fußballfeldes – immerhin ohne Kinder drauf.  Man sollte sich also nicht über Politiker wundern, die den Kompass verlieren angesichts des geistigen Smogs, der sie umhüllt.