Energie

Armenien gegen Aserbaidschan: Pipeline von Lukoil in Gefahr

Die Südkaukasus-Pipeline soll Erdgas aus Aserbaidschan in die EU transportieren. Der jüngste Konflikt mit Armenien gefährdet das Projekt.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev im Juli in Brüssel.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev im Juli in Brüssel.Foto: dpa

Russland droht ein neuer Konflikt im Südkaukasus: Zwischen Armenien und Aserbaidschan ist es am Montag zu schweren militärischen Auseinandersetzungen gekommen. Bei Kämpfen im Grenzgebiet sind nach Angaben des armenischen Regierungschefs Nikol Paschinjan mindestens 49 armenische Soldaten getötet worden. Dem Verteidigungsministerium in Eriwan zufolge versuchten aserbaidschanische Truppen, auf armenisches Gebiet vorzustoßen. Die aserbaidschanische Armee setze Artillerie und Drohnen gegen militärische und zivile Ziele nahe der Grenze ein. Aserbaidschan warf Armenien „groß angelegte subversive Handlungen“ in Grenznähe und Beschuss seiner Militärstellungen vor. Unter anderem sollen Spezialeinheiten des armenischen Geheimdienstes Minen auf dem Territorium von Aserbaidschan verlegt haben. Das russische Außenministerium erklärte am Dienstag laut der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass, Moskau habe eine Waffenruhe vermittelt und erwarte nun, dass sich beide Seiten an die Vereinbarungen halten und auf jedwede militärische Handlungen verzichten würden. Moskau sei „extrem besorgt“ über die Lage im Grenzgebiet. US-Außenminister Antony Blinken sagte in einer Stellungnahme, Washington sei „zutiefst besorgt über Berichte über Angriffe entlang der armenisch-aserbaidschanischen Grenze, einschließlich gemeldeter Angriffe auf Siedlungen und zivile Infrastruktur in Armenien“.

Der ewiger Konflikt mit vielen zivilen Opfern

Die New York Times zitiert namentlich nicht genannte „Militärexperten“, denen zufolge Aserbaidschan durch die „jüngsten Rückschläge Russlands im Nordosten der Ukraine“ ermutigt worden sein könnte, eine Attacke gegen Armenien zu lancieren. Der demokratische US-Politiker Adam Schiff sprach von einer Aggression Aserbaidschans gegen unschuldige Zivilisten in Armenien und forderte einen „dauerhaften Stopp jedweder US-Unterstützung für Aserbaidschan“. Wie es zur Eskalation gekommen ist, ist unabhängig nicht zu beurteilen. Nach einem ersten Krieg in den 90er-Jahren hatten sich Armenien und Aserbaidschan im Herbst 2020 erneut einen Krieg um die umstrittene Region Bergkarabach geliefert. Bei den sechswöchigen Gefechten wurden etwa 6500 Menschen getötet, bis die Kämpfe durch ein von Russland vermitteltes Waffenstillstandsabkommen beendet wurden. Dabei musste Armenien große Gebiete aufgeben. Anfang August war die Gewalt erneut aufgeflammt. Russland unterhält einen Militärstützpunkt in Armenien und hat einige Hundert Soldaten als Friedenssicherungsmission in die Grenzregion um Bergkarabach geschickt. Diese wurden am Dienstag in höchste Alarmbereitschaft versetzt.

Während Russland versucht, mit beiden Seiten einen Modus Vivendi zu finden, unterstützt die Türkei Aserbaidschan direkt militärisch. Den Sieg über Armenien im Jahr 2020 verdankt Aserbaidschan dem Einsatz von türkischen Kampfdrohnen der Firma Bayraktar. Diese Drohnen liefert Ankara auch an die Ukraine, um sich gegen den Angriff Russlands zu verteidigen. Das Nato-Land Türkei unterhält enge Beziehungen zu Russland, verfolgt jedoch in Aserbaidschan eine geopolitische Agenda, mit der sich Präsident Recep Tayyip Erdogan als Schutzherr aller Muslime auf der Welt positionieren will.

Öl- und Gaslieferungen: Kommt ein weiterer Energiekonflikt auf uns zu?

Ein Konflikt um Aserbaidschan könnte auch die europäische Energieversorgung gefährden, insbesondere wenn die US-Regierung gegen das Land Sanktionen verhängt. Im Juli hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein Abkommen mit Präsident Ilham Aliyev unterzeichnet, wonach Aserbaidschan jährlich bis zu 20 Milliarden Kubikmeter Gas an die EU-Staaten liefert. Zuvor hatte die EU beschlossen, komplett aus dem Bezug von russischem Gas auszusteigen. Erst am Montag hatte Aserbaidschan bekannt gegeben, man werde seine Erdgasexporte nach Europa in diesem Jahr um 30 Prozent steigern, um die ausbleibenden Lieferungen aus Russland zu ersetzen. Der aserbaidschanische Energieminister Parviz Shahbazov sagte, dass Baku in den ersten acht Monaten dieses Jahres „7,3 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Europa geliefert“ habe. Insgesamt sollen es im Jahr 2023 etwa zwölf Milliarden Kubikmeter sein, die nach Europa geliefert werden, sagte Shahbazov auf Twitter.

Die Amerikaner sind strikt gegen diesen Deal. Die kritische Infrastruktur, die für die Förderung und den Transport des Gases aus dem Kaspischen Meer nach Europa benötigt wird, gehört neben anderem dem russischen Öl- und Gasgiganten Lukoil. Lukoil ist seit 1994 im aserbaidschanischen Öl- und Gassektor tätig. In den frühen 2000er-Jahren konzentrierte das Unternehmen seine Bemühungen in Aserbaidschan auf die Erschließung der fossilen Gasfelder von Shah Deniz, die zu den größten der Welt gehören. Wenige Tage vor der russischen Invasion in der Ukraine schloss Lukoil laut Politico den Erwerb der Beteiligung von Malaysian Petronas an Shah Deniz für 1,45 Milliarden US-Dollar ab, erhöhte seinen Anteil an dem Projekt von zehn auf 19,99 Prozent und wurde zum zweitgrößten Anteilseigner nach British Petroleum (BP). Lukoil hat in den Monaten vor dem Krieg in der Ukraine weitere Investments in Aserbaidschan getätigt und ist unter anderem Mitbetreiber der Südkaukasus-Pipeline – die über den Southern Gas Corridor (SGC) die einzige Verbindung zwischen den Gasfeldern im Kaspischen Meer und der EU ist. Lukoil hat dem russischen Staat nach eigenen Angaben allein im Jahr 2019 etwa 200 Milliarden Dollar an Steuern überwiesen. Lukoil steht auf der US-Sanktionsliste und wird von der US-Regierung als Financier des russischen Krieges gegen die Ukraine gesehen.