Mit der von Wirtschaftsminister Robert Habeck geplanten Heizwende rückt der Strompreis stärker in den Vordergrund, denn Wärmepumpen und die meisten alternativen Heizungen brauchen Strom.
Hier lässt sich eine spannende Tendenz beobachten: Der Strompreis ist nach dem letzten Höhepunkt von rund 445 Euro Mitte Dezember auf zuletzt durchschnittlich 95 Euro pro Megawattstunde (MWh) gesunken und bewegt sich in den letzten drei Monaten generell eher unter der 150-Euro-Marke, liegt also unter 15 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Selbst die Abschaltung der letzten drei deutschen Atomkraftwerke am 15. April hat den Preis nicht nach oben getrieben.
Der Arbeitspreis für Strom beim Berliner Grundversorger Vattenfall liegt dagegen im Moment bei 41,41 Cent/kWh und wird vorerst nicht vom Lieferanten gesenkt. Warum? Deutschlands größter Energieversorger Eon erhöht zudem zum 1. Juni 2023 den Strompreis in der Grundversorgung sogar um 60 Prozent (!) auf 49,44 Cent/kWh. Dieser Anstieg wird auch beim Verbraucher ankommen, denn die Strompreisbremse deckelt nur 80 Prozent des Gesamtverbrauchs auf 40 Cent/kWh.
Der Gaspreis an der Börse ist noch stärker gesunken – und wird weitergegeben
Man könnte die Lage grob mit dem Gaspreis im Großhandel vergleichen. Dieser ist allerdings noch stärker gesunken. Die Heizperiode ist vorbei bzw. die Nachfrage bleibt niedrig, die Gasspeicher sind zugleich bereits gut gefüllt – so kostet eine Megawattstunde an der Börse derzeit nur rund 36 Euro oder 3,6 Cent/kWh. Zum Vergleich: Der Arbeitspreis für Erdgas beim Berliner Grundversorger Gasag lag bis vor Kurzem bei 20,12 Cent/kWh und wurde von der Gaspreisbremse auf 12 Cent für 80 Prozent des Gesamtverbrauchs gedeckelt. Die Entspannung auf dem Markt hat sich aber anders als bei Vattenfall und Eon auf den Verbraucherpreis ausgewirkt: Die Gasag hat den Arbeitspreis in der Grundversorgung zum 1. Mai 2023 auf 11,8 Cent/kWh gesenkt, was unter der Gaspreisbremse liegt.
Die Gas- und Strommärkte funktionieren zwar unterschiedlich und es geht am Ende um einen Zusammenschluss der Faktoren, die den Preis beeinflussen. Doch beim Verbraucher stellt sich zu Recht die logische Gerechtigkeitsfrage: Warum sinkt der Strompreis für ihn nicht im Geringsten, wenn es seit Monaten eine positive Entwicklung im Großhandel gibt? Ist das schon Abzocke?
Vattenfall will den Strompreis vorerst nicht senken
Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der deutsche Strom- und generell Energiekonzerne vertritt, bemüht sich um eine Erklärung. „Bei den Strompreisen schlagen sich noch die hohen Beschaffungskosten der Versorger nieder“, teilt eine BDEW-Sprecherin auf Anfrage mit. Denn innerhalb weniger Monate hätten sich die Börsenpreise für Strom und Gas im letzten Jahr vervielfacht. „Seit einigen Monaten sehen wir, dass sich der Markt beruhigt und einzelne Versorger ihre Preise wieder senken“, so der BDEW.
Wer sind diese „einzelnen Versorger“? Vattenfall als Berliner Grundversorger gilt etwa schon als der günstigste Stromanbieter in Berlin und will vorerst nichts am Preis ändern. „Im Vergleich mit anderen Grundversorgern liegt der Arbeitspreis bei Vattenfall mit knapp 41 Cent in Berlin auf einem moderaten Niveau“, betont der Konzernsprecher Christian Jekat. Andere Grundversorger hätten die Tarife in ihren Gebieten kürzlich auf 50 Cent angehoben. „Und auch der Preis unseres städtischen Mitbewerbers in Berlin liegt über unserem Grundversorgungstarif.“
Gemeint sind damit die Berliner Stadtwerke, eine Tochter der landeseigenen Wasserbetriebe. Das Unternehmen hat nach der Erhöhung des Arbeitspreises zum 1. Januar auf 52,90 Cent/kWh ebenfalls noch keine Preissenkung öffentlich signalisiert. Für ihren Ökostrom verlangen die Stadtwerke damit mehr Geld als die Konkurrenz – trotz der Beteuerung der Politik, der grüne Strom werde zunehmend günstiger. Dabei hatten die Stadtwerke noch im letzten Jahr, also vor der Preiserhöhung, mit erneuerbaren Energien doppelte Gewinne erzielt, wie aus einer parlamentarischen Anfrage des Mitglieds der Linke-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus Sebastian Schlüsselburg hervorgeht. Zu kompensierende Verluste wegen der hohen Beschaffungskosten im letzten Jahr? Fehlanzeige.
Strom: Lieferverträge für dieses Jahr zu hohen Preisen aus dem letzten Jahr?
„Lieferverträge für das laufende Jahr mussten schon im vergangenen Jahr zu den sehr hohen Preisen im Großhandel abgeschlossen werden“, argumentiert wiederum der BDEW. Ist das etwa bei Eon der Fall, dem deutschen Grünstromunternehmen Nummer eins? Wie erklärt der Konzern die bevorstehende Preiserhöhung um 60 Prozent Anfang Sommer?
„Als Grundversorger haben wir zum einen eine sechsstellige Zahl an Verbrauchern auf dem Höhepunkt der Energiekrise aufgefangen, die von ihren Anbietern plötzlich nicht mehr beliefert wurden und für die wir zusätzliche Energiemengen nachbeschaffen mussten“, sagt eine Eon-Sprecherin auf Anfrage. „Zuletzt mussten und müssen wir bestimmte Stromtarife preislich der Marktlage der immer noch anhaltenden Energiekrise anpassen.“ Denn die meisten betroffenen Kunden hätten bereits über längere Zeiträume und insbesondere während der Hochphase der Energiekrise von günstigen Konditionen profitiert, so die Antwort. Die Eon-Kunden werden von den Preissenkungen profitieren, sobald „sich ein Spielraum dafür ergibt“.
Strom wird nicht günstiger? Was Verbraucher tun können
Wenn der Verbraucher sich aber trotzdem veräppelt fühlt? Interessanterweise sind die Strompreise für Neukunden beim gleichen Anbieter aktuell oft niedriger als für Bestandskunden. Vattenfall weist etwa darauf hin, dass man Neukunden in Sondertarifen aktuell in Berlin einen Arbeitspreis von rund 33 Cent anbietet, da „wir für diese neuen Kunden Strom auch zu den aktuellen Großhandelspreisen beschafft haben“.
Dieser Preis liegt deutlich unter der Strompreisbremse von 40 Cent/kWh. Auch Eon schlägt den Kunden vor, sich bei den Alternativprodukten des Lieferanten umzuschauen. Also drängt sich die Lösung wohl auf: den Tarif oder den Versorger wechseln?
Auch die Verbraucherzentrale beobachtet derzeit eine erstaunliche Tendenz. „Während die Preise für Neuverträge für Strom und Gas teils deutlich unter den Preisbremsen liegen, tut sich für die Bestandskunden sehr wenig“, sagt der Rechtsexperte der Verbraucherzentrale Brandenburg, Rico Dulinski, der Berliner Zeitung. Hier würden die Preise auf hohem Niveau weit über den Preisbremsen verharren. Nur sehr wenige Unternehmen haben ihre Preise auch für ihre Bestandskunden gesenkt, vor allem beim Gas, aber nicht beim Strom. Also empfiehlt Dulinski einen Wechsel des Lieferanten oder des Tarifs.
Die Berliner Stadtwerke haben etwa seit dem November bis Anfang April knapp 1300 Kunden an die Konkurrenz verloren, zeigt ein Zahlenvergleich aus den Vorstellungen der Jahresbilanz des Lieferanten. Um die Abwanderung der Kunden zu stoppen, bereitet das Unternehmen jetzt doch noch ein Treueangebot für die Bestandskunden vor, teilt ein Sprecher der Berliner Zeitung mit. Dieses Angebot werde unter den Tarifen für Neukunden liegen, die aktuell je nach dem Tarif 42,60, 43 oder 0der 45,40 Cent/kWh bezahlen.
Stets hohe Strompreise: Sollte Habeck die Übergewinne endlich unter die Lupe nehmen?
Man kann die Preisentwicklung beim Strom allerdings immer wieder mit den teuren Beschaffungen im letzten Jahr erklären, die manche Stromanbieter erst in diesem Jahr weitergeben, oder etwa mit Missmanagement. Wenn man sich aber den Mechanismus der Strompreisbremse anschaut, wird einem klar, dass es gar kein Missmanagement ist, sondern eine offenbar gut durchdachte Strategie: den Strompreis langfristig bei über 40 Cent/kWh halten, damit der Staat die Preisdifferenz kompensiert. Zudem will Wirtschaftsminister Robert Habeck die Übergewinnsteuer für die Energiekonzerne, mit der die Strompreisbremse ursprünglich finanziert werden sollte, im Juni abschaffen, bevor sie überhaupt wirksam wird. Warum eigentlich? Krisengewinner wurden in vielen Ländern bereits zur Kasse gebeten. Spanien finanziert etwa mit der Sonderabgabe ein landesweites Null-Euro-Ticket für den ÖPNV.
Die deutsche Strompreisbremse wurde darüber hinaus im Dezember 2022 beschlossen, als der Strompreis an der Börse seinen letzten Höhepunkt von 445 Euro pro MWh erreichte. Dieser Preis ist aber nicht mehr aktuell. Es ist Zeit für Robert Habeck, die Stromlieferanten stärker in die Verantwortung zu nehmen, damit auch die Wärmewende gelingt. Die Art und Weise bleibt dem Wirtschaftsministerium überlassen.






