Die Deutsche Energie-Agentur Dena wurde 2000 auf Initiative der rot-grünen Bundesregierung als bundeseigenes Dienstleistungsunternehmen gegründet, das sich in erster Linie um die Energiewende kümmern soll. Russisches Gas ist nun fast weg, die Energiepreise brechen alle Rekorde und erneuerbare Energien reichen für eine stabile Energieversorgung noch lange nicht aus. Wer übernimmt die Verantwortung? Der Dena-Vorsitzende Andreas Kuhlmann stellt sich unseren Fragen.
Herr Kuhlmann, auf der Webseite der Dena steht, Sie als Vorsitzender hätten das Profil der Dena als Treiber der Energiewende geschärft. War die Energiewende bisher nicht ein leeres Gerede? Warum kann sie gerade zur Gasheizung keine Alternative bieten?
Lassen Sie uns festhalten: Wir sehen derzeit in Deutschland und Europa eine ungeheure Dynamik, was Energieeinsparungen und den Ausbau erneuerbarer Energien angeht. Die durchschlagenden Erfolge, denke ich, werden wir jedoch erst in zwei bis drei Jahren sehen.

Auch vor Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Dena immer gemahnt, dass wir mehr tun müssen, die Erneuerbaren schneller ausbauen, mehr für energetische Sanierungen machen, im Verkehrsbereich anders vorangehen. Wir haben in den letzten zehn Jahren vieles verpasst. Heute sehen wir, wie ärgerlich das ist. Es ist umso ärgerlicher, weil wir schon ohne Energiekrise durch den Krieg Russlands einen wichtigen Grund für mehr Handeln hatten, nämlich den Klimawandel.
Und warum wurde nicht genug gemacht? Liegt das am liberalen Markt, der sich für günstiges russisches Gas entschieden hat?
Es gab zu viele Bedenkenträger in der Politik, die sich nicht ganz auf den Wandel eingelassen haben. Man saß zwischen Baum und Borke, und es fehlten der Mut und die Entschlossenheit. Alle haben gesagt: Wir müssen raus aus der Kohle. Erdgas muss uns zunächst als Brücke dienen, bevor wir zum grünen Wasserstoff kommen. Und alle hatten das Gefühl, Erdgas ist günstig und sicher verfügbar. Jetzt sieht man, was für ein großer Trugschluss das war.
Viel Kritik übt gerade die Kohlebranche. Ein Kohle-Fachmann aus der Lausitz fürchtet etwa, dass die Bundesregierung nach wie vor keine Strategie für den Strukturwandel habe und viele Fragen nicht beantworte: Zum Beispiel, bekommt Deutschland genügend Speicher für die Erneuerbaren?
Wer ausgerechnet jetzt die große Kritik herausholt, ist etwas wohlfeil unterwegs. Die Bundesregierung macht schon sehr viel. Erstens, das Krisenmanagement ist unfassbar kompliziert. Zweitens, sie hat Gesetze zum Ausbau der Erneuerbaren auf den Weg gebracht und im Bereich Energieeffizienz erste Schritte gemacht. Ja, es reicht nicht für die neue Zielvorstellung, und viele strategische Weichen zu gesicherter Leistung, zu Speichern, Verteilnetzeausbau, sogenannten Smart Meter, also intelligenten Zählern, müssen in den kommenden Monaten erarbeitet werden, damit wir wirklich vorankommen. Aber ich habe die starke Hoffnung: Wenn wir alle genug Druck machen, passiert es dann auch. Energiewende muss politisch organisiert werden. Das hilft dann auch dem Strukturwandel.
Viele sagen, Deutschland müsse alle Möglichkeiten nutzen, die es bereits hat. Leidet Wirtschaftsminister Robert Habeck unter Realitätsverlust, wenn er die letzten AKW abschalten will?
Nein, leidet er nicht. Ob er immer die genau richtigen Entscheidungen trifft? Schwierig zu bewerten in diesen Zeiten. Bei der Frage der Kernenergie gibt es eine energiewirtschaftliche Analyse und die politische Betrachtung, wie sicher diese Anlagen sind, Stichwort Hochrisikotechnologie. Energiewirtschaftlich wäre es vermutlich besser, man würde sie ganz normal im Streckbetrieb weiterlaufen lassen. Aber das ist als Konsequenz aus dem zweiten Stresstest der Stromnetzbetreiber auch nicht ausgeschlossen.
Ist Herr Habeck also ideologisch unterwegs? Kleinere AKWs gewinnen in vielen Ländern an Popularität und gelten als sicher. Wäre das eine Chance für Deutschland?
Ich glaube nicht, dass Herr Habeck ideologisch unterwegs ist. Er hat zur Kernenergie eine Einschätzung, die andere nicht teilen. Ich persönlich hätte anders entschieden. Aber der Streckbetrieb für die Atomkraftwerke ist nicht die wichtigste Entscheidung, die wir für diesen Winter treffen müssen. Jede erneuerbare Anlage und alles, was wir an Energieeffizienz tun können, zählt jetzt und jeden Tag.

Laut einigen Berechnungen werden in Deutschland im Winter 25 Prozent Gas fehlen. Die Gasspeicher reichen ab dem 1. Oktober eben nur für drei Monate und gehören immer wieder nachgefüllt. Wird der Blackout, über den das Bundesinstitut für Katastrophenhilfe bereits aufklärt, wahrscheinlicher?
Die Lage ist angespannt. In der Industrie gibt es leider schon Produktionsrückgänge. Wir werden sparen müssen, wo es nur geht. Das findet in Teilen schon statt. Und: Wir haben mit den ganzen Vorbereitungsarbeiten für das Anlanden von Flüssiggas oder LNG im Norden und die Anbindung an das Gasnetz eine sehr gute Chance, durch die Krise zu kommen. Niemand muss die Sorge haben, dass er in diesem Winter zu Hause erfriert. Es wird nur ein bisschen kühler sein als sonst.
Die Frage ist nicht nur, ob wir frieren werden. Viele fragen sich: Wie teuer wird das? Kann ich zum Beispiel berechnen, was mich drei Minuten Warmdusche gerade kostet? Oder ein Tag Heizung bei 19 Grad?
Mit Strom- und Heizungsrechner lassen sich solche Kosten mit Blick auf den eigenen Endenergieverbrauch und die aktuellen Preise online ermitteln. Grob gesagt gilt, so haben es Forscher berechnet: Wenn ich die Temperatur in der Wohnung um einen Grad senke, spare ich zwischen fünf und acht Prozent Wärmeenergie. Oder: Heizen Sie nur wirklich genutzte Flächen und schließen Sie die Türen zu anderen Zimmern, steigt der Anteil der gering geheizten Nutzfläche, bringt das ein bis drei Prozent Ersparnis – und so weiter.
Die EU-Kommission plant einen Eingriff in den Strommarkt. Was bringt das dem Verbraucher? Werden die Strompreise sinken?
Hier sind zwei Fragen wichtig: Erstens, wie kann man die Anomalien der Gewinne der Stromanbieter so abschöpfen, dass diese immer noch genug Gewinn haben, aber die Gelder für die Entlastungsprogramme der Bundesregierung zur Verfügung gestellt werden? Zweitens kann man ein Kontingent an Strom für einen bestimmten günstigeren Preis zur Verfügung stellen, sodass alle wissen: Bis dahin ist es bezahlbar, aber alles darüber ist sehr teuer? Daran arbeitet die Bundesregierung noch, und ich bin selber gespannt, wie das ausgeht.
Wirtschaftsminister Habeck hat bei der Gasumlage einige Fehler gemacht. Wie wahrscheinlich ist ein ähnlicher Wirrwarr beim Eingriff in den Strommarkt? Die Strompreise sind gewissermaßen von den Gaspreisen abhängig.
Es geht nicht um die Preise wie bei der Gasumlage, sondern darum, dass die Gewinne ab einem bestimmten Level abgeschöpft werden sollten. Diese Gewinne könnten besonders betroffenen Menschen zur Verfügung gestellt werden. Ich muss es jedoch noch einmal betonen: Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten. Russland führt Krieg in der Ukraine. Wir haben ganz zu Recht Wirtschaftssanktionen verhängt und die müssen und werden wir durchziehen, weil es hier um viel mehr geht als darum, ob irgendein Paragraf in irgendeinem Gesetz nicht richtig geregelt ist. Das können wir alles korrigieren, dafür sind wir stark genug. Und ich hoffe, dass wir als Gesellschaft in diesen Zeiten solidarisch zusammenstehen.
Wir müssen darauf achten, dass die Menschen und Unternehmen, die das alleine nicht schaffen können, Unterstützung bekommen. Es wird für sehr, sehr viele Menschen viel, viel teurer als vorher. Das kann niemand ändern, da müssen wir gemeinsam durch. Und das werden wir auch hinbekommen.
Vielen Dank für das Gespräch.


