Keiner hätte wohl geglaubt, dass gerade die Kohlekraftwerke Deutschland in der Gaskrise retten würden. Doch nicht Sebastian Lachmann (37), der Industriekaufmann aus einer Bergbau- und Kraftwerksfamilie in der Lausitz. Das Mitglied des Vereins Pro Lausitzer Braunkohle ist etwa durch seinen Auftritt als Opponent des Grünen-Politikers Anton Hofreiter bei „Anne Will“ bekannt – und als bescheidener, sachkundiger Mann „aus dem Volk“. Wir haben mit ihm über die unerwartet wichtige Rolle der Kohlekraftwerke, den Verzicht auf russische Kohle und den Ausweg aus der Energiekrise gesprochen.
Berliner Zeitung: Herr Lachmann, die Medien schreiben: Ohne Kohlekraftwerke kommt Deutschland wohl nicht durch den Winter. Empfinden Sie Schadenfreude? Sie haben bereits vor drei Jahren bei „Anne Will“ vor einem zu emotionalen Umgang mit dem Kohleausstieg gewarnt.
Sebastian Lachmann: Ich empfinde keine Schadenfreude. Die Problematik mit der Energieversorgung, vor der wir heute stehen, war nicht absehbar. Aber ich bin ein Stück weit stolz auf die Kollegen in den Revieren, egal ob das Kohlearbeiter, Kraftwerker oder Servicepartner sind. Sie wissen, was zu tun ist. Man arbeitet hier wieder 24/7 daran, die Bundesrepublik mit Strom zu versorgen. Und das macht einen eher stolz, als griesgrämig zu sein für das, was davor entschieden wurde.
Die zwei stillgelegten Kraftwerksblöcke der Leag im brandenburgischen Jänschwalde wieder ans Netz zu schicken, ist aktuell eine Herausforderung. Wie sieht es mit ihnen gerade aus?
Ich arbeite zwar bei der Leag, spreche aber nicht für das Unternehmen und kann seine Kohlekraftwerke nicht beurteilen. Generell kann ich sagen, dass die zwei Kraftwerkblöcke für einen gewissen Zeitraum in die Versorgungssicherheit überführt wurden und im Notfall in den nächsten Monaten über den Winter abgerufen werden könnten. Sie werden darauf vorbereitet. Das ist nicht einfach und betrifft wohl alle Kraftwerksbetreiber gleichzeitig.
Denn es herrscht auf dem Arbeitsmarkt ein Fachkräftemangel. Dieser ist seit Längerem bekannt und betrifft nicht nur die Lausitz. Viele Kollegen wurden schon nach Hause geschickt oder versetzt. Man hat sich darauf vorbereitet, dass die komplette Abschaltung der beiden Blöcke bevorsteht. Und nun macht man eine Rolle rückwärts.
Wird in der Lausitz noch genügend Braunkohle abgebaut?
In der Lausitz ist es ein Stück weit unser Glück, dass wir selbst den Tagebau vor Ort betreiben und die Kohlekraftwerke in Brandenburg und Sachsen damit versorgen. In NRW ist es ähnlich. Aber es gibt auch genügend Kraftwerke, die mit Steinkohle betrieben werden. Da stellt sich die Frage, wo sie die Steinkohle herbekommen, da die letzten Steinkohlebergbaubetriebe schon vor Jahren eingestellt wurden.
Nach dem Verzicht auf die russische Kohle lässt die Bundesregierung mehr Steinkohle aus der Mine El Cerrejón importieren. Diese hat aber das Image der blutigen Kohle wegen der Vorwürfe der Menschenrechtsverletzungen rund um den Abbau. Gibt es am Ende einen Unterschied?

Schwieriges Thema. Letztendlich geht es darum, jetzt irgendwie den Kopf aus dem Wasser zu ziehen. Die Bundesregierung hat unterschiedliche Ambitionen, ob das Geschäfte mit Katar, Afrika, Australien oder auch Südamerika sind. Fakt bleibt: Für die Braunkohlekraftwerke reicht die Kohle aus der Region, wo die Kraftwerke auch ansässig sind. Für die Steinkohlekraftwerke muss die Kohle importiert werden. Alle weiteren Möglichkeiten hat man sich in den letzten Jahren genommen.
Meinen Sie die Atomkraft?
Ich bezweifle, dass die Bauchentscheidung der damaligen Regierung und des Parlaments, aus der Kernenergie nach Fukushima komplett auszusteigen, bis zum Ende gedacht war. Sollten die drei verbliebenen AKW nach 2022 nicht verlängert werden, haben wir die Möglichkeiten, die uns etwas unabhängiger von anderen Ressourcen machen könnten, nicht in unseren Händen.
Sie haben einst bei „Anne Will“ gesagt, die Lausitzer Kohle sei „ein Opfer“, das für die Energieversorgung des Landes zu bringen sei. Soll Deutschland jetzt das Opfer bringen und die Kohlekraftwerke aus der Reserve, die für die Gaskraftwerke einspringen, über den März 2024 hinaus laufen lassen?
Keiner weiß, wie sich die Energiekrise weiter entwickelt. Wie schnell wird genügend Gas aus anderen Regionen importiert? Wie schnell nehmen wir schwimmende LNG-Terminals an der Küste in Betrieb? Es besteht die Gefahr, dass wir uns wieder von anderen Ländern abhängig machen. Wollen wir uns nicht lieber autark versorgen? Am Ende des Tages sollten wir die Ressourcen, die wir selbst haben, auch nutzen, auch die Braunkohle in der Lausitz. Das mag dem einen oder dem anderen nicht gefallen, und beim Klimaschutz wäre das wohl ein kleiner Schritt zurück. Aber es hilft niemandem, wenn wir unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft nachhaltig beschädigen. Dann können wir nicht mehr so intensiv in den Klimaschutz investieren.
Man hat in der Debatte um die Energiewende den Eindruck, dass die Unabhängigkeit von Russland vor Bezahlbarkeit geht. Dabei heißt die Frage: Wie teuer wird die Energie in der Zukunft? Es werden Proteste erwartet.
Das sind Facetten dieser Ausstiegspolitik, die die Bürger bezahlen müssen. Die Marktwirtschaft schaut stets, wo man am günstigsten die Ressourcen bekommt. In der Vergangenheit war es russisches Gas. Jetzt wird es mit dem LNG teurer, und trotzdem tut das Wirtschaftsministerium so, als gäbe es keine weiteren Alternativen. Atom- oder Braunkohlestrom sind für die aktuelle Regierung keine Alternative. Müssen die Menschen damit finanziell so belastet werden? Es hilft auch dem Industriestandort Deutschland nicht, wenn wir weiterhin die höchsten Energiekosten Europas oder der Welt haben. Unternehmen überlegen sich, ob sie in Deutschland noch einen Standort haben wollen.
Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich am Freitag bei einem Besuch in der Lausitz zufrieden mit dem Tempo des Strukturwandels. Er sei zuversichtlich, dass es Perspektiven für die Region gebe, sagte Scholz. Macht die Bundesregierung zu wenig für die Region? Die Diskussion wurde vor zwei Jahren geführt und schnell stillgelegt.
Stillgelegt ist das richtige Wort. Früher oder später, egal ob es eine kurze Wiederbelebung der Braunkohle gibt oder nicht, stehen wir vor dem Szenario Ausstieg und Strukturwandel. Wir wünschten uns lieber 2038 als Ausstiegsdatum, wie es im Gesetz festgeschrieben steht, und nicht 2030, wie die Ampel-Regierung plant. Es sind zwei Jahre vergangen, und es ist immer noch nicht viel passiert. Es wird viel versprochen und kaum bewertet: Wie viele Arbeitsplätze werden tatsächlich geschaffen?
Der Bau des Bahnwerks der Deutschen Bahn in Cottbus hat begonnen und wird einigen Menschen aus der Energiewirtschaft eine Perspektive bieten. Aber man sieht, dass der Wechsel gerade stottert: Die Menschen werden aktuell in der Energiewirtschaft gebraucht.
Was soll besser gemacht werden?
Man muss an den bereits vereinbarten Plänen und Gesetzen festhalten. Die Genehmigungsprozesse müssen beschleunigt werden: Sie dauern unendlich lang in Deutschland. Bei der Gigafactory von Tesla in Grünheide ging es in die richtige Richtung. Ich sehe aber so gut wie keine Beschleunigung der Entscheidungsprozesse bei den Projekten in der Lausitz. Und zum Strukturwandel muss man schon ehrlich sagen: Man braucht dafür eine gewisse Strategie, ein Ziel und Zeit.
Wir arbeiten hier alle intensiv an einem erfolgreichen Strukturwandel. Zukunftsorientierte Projekte wie etwa das Innovationskraftwerk, die Smart City Cottbus, die GigaWATTFactory oder die Wasserstofftankstelle dürften erst der Anfang sein.
Und die Bundesregierung hat keine Strategie?
Die Ansiedlung der medizinischen Fakultät an der BTU Cottbus und Projekte jenseits der Energiewirtschaft sind zwar gute Wege, aber wir als Energieregion sehen unsere Kompetenzen eher in der Energie. Die Bundesregierung hat aktuell keinen Plan, wie die Energielandschaft in zehn, zwanzig Jahren auszusehen hat, was durch die Krise noch mal verschärft wurde. Wir setzten zum großen Teil auf Gas als Brückentechnologie auf dem Weg zur CO₂-freien Energieerzeugung, aber das ist wohl nicht mehr die richtige Strategie.
Und ich brauche eine, um hier die Weichen zu stellen. Wird es Gaskraftwerke oder nur noch Windräder und Solarflächen geben? Wie sieht es bei der Speichertechnologie aus? Wir müssen den Ausbau der erneuerbaren Energien etwa verdreifachen, aber ohne die notwendigen Speicher bleibt alles eine Luftnummer. Wir brauchen Speicher oder andere grundlastfähige Energieerzeuger, um das Energieversorgungssystem aufrechtzuerhalten. Ich frage mich an der Stelle: Wann wachen wir endlich auf? Wir sehen gerade, wie fragil das System ist.
Sie haben bei „Anne Will“ gesagt, dass Sie keine Angst vor der Erderwärmung haben. Ist es noch so? Wovor haben Sie denn Angst: vor der Armut in der Lausitz, vor dem Wohlstandsverlust der Deutschen?
Angst ist nie ein guter Ratgeber. Wir erleben gerade, was ein befürchteter und offensichtlich anstehender Wohlstandsverlust mit unserer Gesellschaft macht und wie das zur Angstmache ausgenutzt wird. Ich würde mir ein entschiedeneres Agieren der Politik auf allen Ebenen wünschen, auch in der Energiepolitik, um die Rahmenbedingungen gerechter und vorhersehbarer zu gestalten. Hier kann und wird die Braunkohle als sicherer, verfügbarer und günstiger Energieträger einen Beitrag zur gesellschaftlichen Befriedung leisten. Etwas mehr Klarheit und Mut zu pragmatischen Entscheidungen in der Energiepolitik – das würde vielen Menschen sicher Angst nehmen.
Vielen Dank für das Gespräch.

