Die Ampel würde ihr umstrittenes Heizungsgesetz am besten schon vor der Sommerpause durchziehen. Also tritt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) jetzt noch schnell mit seinen Kritikern in der Wirtschaft in Kontakt und versucht, den Gesetzentwurf mehr oder weniger verdaulich zu machen. Dabei gehören vor allem die Bauingenieure zu den härtesten Kritikern des Dokuments wie Prof. Dr. Lamia Messari-Becker, bekannt durch ihre Auftritte im ZDF. Wir haben mit ihr gesprochen.
Frau Messari-Becker, Sie werfen dem Gesetzgeber vor, die Normalverbraucher beim Verbot für neue Öl- und Gasheizungen eng in die Pflicht zu nehmen, sich selbst auszunehmen. Schuld ist die Passage im Gesetzentwurf, wo drin steht, die Länder könnten für öffentliche Gebäude zum Zweck der Erfüllung der Vorbildfunktion „von den Vorschriften des Gesetzes abweichen“. Habecks Wirtschaftsministerium kann es auch nicht einleuchtend erklären. Muss die Passage weg?
Es darf bei so einer weitreichenden Wärmewende keinen Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Akteuren geben. Ich kenne diesen Passus in vielen Gesetzen, aber hier geht es um große Eingriffe und finanzielle Belastungen einer völlig anderen Dimension. Wenn Länder bei den Klimazielen noch weiter gehen wollen, als das Gesetz es vorschreibt, dann brauchen sie diesen Passus nicht. Was ihnen mit diesem Passus ermöglicht wird, ist also eine tatsächliche Abweichung. Ich sehe dafür keine sachliche Begründung und plädiere: Diese Stelle im Gesetz sollte ersatzlos gestrichen werden.

Wirtschaftsminister Habeck hat sich kompromissbereit gezeigt, das Gesetz zu ändern. An welche Stellen muss er sonst ran?
Das Gesetz versucht, mit vielen Stellen, die Technologien zu beschreiben, vorzugeben oder zu bevorteilen. Im Grunde genommen gibt es zwei Möglichkeiten: einen kompletten Neustart oder grundlegende Änderungen im Gesetz. Und die Bundesregierung muss in beiden Fällen die Ziele im Blick haben. Die Ziele sind doch Energieeinsparung und CO2-Minderung. Der Weg dahin muss maximal offen. Sämtliche Versuche, Technologien zu regulieren, zu beschreiben, hervorzuheben oder einzuschränken, muss man ersatzlos streichen.
Zudem muss die Bundesregierung im Gleichschritt konkret sagen: Wie wird was gefördert und welche kommunale Wärmepläne gibt es? Man darf die Leute nicht im Ungewissen lassen. Auf kommunaler Ebene kann erneuerbare Wärme aus Geothermie, Abfallverwertung, industrieller Abwärme kommen. Wir brauchen ein Hochlaufen für erneuerbare Wärme und die dazugehörige Technologie – kein Hochlaufen für nur eine bestimmte Technologie, egal ob Wärmepumpen oder Kessel. Das ist der Unterschied.
Es gibt seit Jahren Förderprogramme für erneuerbare Energien und Gebäudesanierung. Ist die finanzielle Förderung der Wärmewende damit gut aufgestellt?
Nein, leider nicht. Die Förderung erneuerbarer Energien war bisher stromfokussiert, Wärme wurde und wird noch stiefmütterlich behandelt. Die Förderung der Gebäudesanierung sollte, an der CO2-Minderung orientiert, reformiert werden. Sanierung und erneuerbare Wärmeversorgung müssen zudem zusammengedacht werden. Wir müssen Sanierungspläne entwickeln, damit die Leute idealerweise und wenn möglich zuerst ihre Häuser energetisch sanieren, den Energiebedarf also senken und dann auf erneuerbare Energien umsteigen.
Man muss den Menschen die Möglichkeit geben, in ihrem Tempo zu gehen und eben nicht voreilig jetzt irgendwas einzubauen, was nicht effizient funktioniert oder sogar mehr CO2 verursacht. Energieeffizienz durch digitalisierten Heizbetrieb und Nutzerverhalten sollte ebenfalls gefördert werden. Ich erwarte auch, dass die kommunale Energieberatung gestärkt wird. Wir brauchen mehr Anlaufstellen mit mehr Personal, wo die Menschen Informationen über Möglichkeiten und Schritte bekommen können.
Soll das Gesetz verschoben werden? Die Bundesregierung will es schon vor der Sommerpause verabschieden und am 1. Januar 2024 in Kraft treten lassen.
Wenn das Gesetz so viele Ungereimtheiten enthält, nicht umsetzbar, nicht praxistauglich und nur an der Oberfläche technologieneutral ist, dann ist der Umstieg ab dem 1. Januar 2024 nicht machbar. Aber das Datum ist weniger wichtig. Wichtig ist, dass das Gesetz umsetzbar wird und die Realität zwischen Neubau und Bestand anerkennt. Vielleicht könnte man im Bestand ein anderes Eintrittsdatum festlegen, Stufenpläne vorsehen und und kommunale Wärmepläne vorziehen, wie ich es schon in der FAZ formuliert habe.
Die 65-Prozent-Regel schon ab dem 1. Januar klingt zudem realitätsfern. Wie kann man schon im nächsten Jahr zu 65 Prozent erneuerbar heizen, wenn die Fernwärme – eine der möglichen Technologien – in den meisten Fällen noch zu 90 Prozent aus Gas und Kohle erzeugt wird?
Richtig. Diese Regel muss konsistent sein, um stehenzubleiben. Und genau das ist sie nicht. Im aktuellen Gesetzentwurf gilt selbst eine Stromdirektheizung automatisch als erneuerbar, obwohl wir wissen: Die erneuerbaren Energien hatten zuletzt einen Anteil von nur 55,8 Prozent am deutschen Strommix. Im Winter ist deren Anteil zudem niedriger und der Anteil von Kohle und Gas höher. Das wird vom Gesetz nicht hinterfragt, genauso wie die aktuelle Fernwärme. An vielen Stellen sind eben wirkliche Logikfehler. Auch die Wärmepumpe arbeitet effizient nur in einem gut gedämmten Haus, insbesondere im Neubau.

Klar, der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix wird weiter steigen, und irgendwann wird auch die Fernwärme überwiegend grün. Aber schon ab dem nächsten Jahr ökologisches Heizen ganz schnell mit der Brechstange erreichen zu wollen und dabei fossilen Strom oder fossile Fernwärme als erneuerbar zu verkaufen, ist nicht vermittelbar.
Deutschlands zweitgrößter Vermieter, die LEG Immobilien, will ab 2027 in Bestandswohnungen Gasetagenheizungen gegen kostengünstige Luft-Luft-Wärmepumpen ersetzen (Split-Klimaanlagen). Wird das funktionieren?
Es gilt der Grundsatz: Je höher der Dämmstandard, je niedriger also der Wärmebedarf ist, desto effizienter arbeitet eine Wärmepumpe. Wir müssen immer unterscheiden: Ist es Neubau oder Bestand, saniert oder unsaniert, liegt ein wassergeführtes oder luftgeführtes Heizsystem vor? Ich kann die Gründe solcher Vorhaben aber nur vermuten.
Und die wären …?
In Mehrfamilienhäuser mit dezentralen Gasetagenheizungen ist es extrem schwierig und mit einer großen Investition verbunden, auf eine zentrale Heizung umzusteigen, egal ob auf Kessel oder Pumpe. Da greifen aktuell viele zu einer Art kleinere Luft-Luft-Wärmepumpe, die einzelne Räume bis Etagen heizen oder auch kühlen kann. Aber wie sieht es mit der Gesamteffizienz und den Stromkosten im Betrieb aus? Ich möchte sie erst mal im Winter sehen. Es kann sein, dass das Gerät extrem günstig ist, aber man muss auch die Betriebskosten im Blick haben. Die tatsächliche Jahresarbeitszahl (JAZ) einer Wärmepumpe, also die Leistung des Geräts im Zusammenspiel mit dem Gebäude und weiteren Randbedingungen, kann in der Realität deutlich niedriger sein als im Katalog.
Sie haben Ende März bei Markus Lanz gesagt, man müsse die Stromproduktion mit Photovoltaik am eigenen Gebäude fördern, damit die Haushalte aus dem Überschussstrom mithilfe der Elektrolyse selbst Wasserstoff produzieren, diesen in Flaschen im Keller lagern und damit im Winter heizen. Ist es nicht zu kompliziert für einen Haushalt oder auch zu teuer?
Das sind zwei getrennt erfolgte Aussagen. Einerseits, dass tatsächlich PV-Anlagen für Haushalte attraktiver werden müssen. Das Gegenteil ist aber zurzeit der Fall. Die Einspeisevergütung beträgt nur circa 8,2 Cent pro Kilowattstunde, der Einkaufspreis aber nach Verivox-Daten – Stand: 10. Mai 2023 – im Mittel 32,4 Cent pro Kilowattstunde. Das soll wohl geändert werden.
Andererseits habe ich auf eine technologische Entwicklung hingewiesen. Niemand bezweifelt ernsthaft, dass Wasserstoff wegen Knappheit zunächst in der Industrie und als Reserve genutzt werden sollte. Es gibt aber bereits heute Lösungen für Gebäude, die keinem anderen Sektor Konkurrenz machen. Hier wird Solarstrom am Gebäude im Sommer gewonnen, den Überschuss in Wasserstoff umgewandelt und gelagert, um damit im Winter zu heizen. Wer soll etwas dagegen haben und warum? Klar ist: Zurzeit ist das eine Nischenlösung, die skaliert werden kann. Auch werden kommunale Wärmepläne zukünftig Wasserstoff für Heizungen mitdenken müssen, etwa wenn Industrie in der Nähe ist, die Wasserstoff braucht. Hier könnten auch Gebäude entlang der Strecke Wasserstoff nutzen. Wir müssen größer denken und uns breiter aufstellen.

Trotzdem gehen viele Experten davon aus, dass die Wasserstoffproduktion noch lange teuer bleiben wird. Ist sie also nur eine Option und eher für Neubau?
Alle Lösungen sind Optionen, die ihre Vor- und Nachteile haben und die auch nicht überall gehen. Denn unsere Gebäude haben unterschiedliche energetische Qualitäten, unterschiedliche technischen Voraussetzungen und müssen mit anderen regionalen Gegebenheiten auskommen. Deshalb gibt es nicht die Lösung, die für alle gleich gut funktioniert. Wir Ingenieurinnen und Ingenieure verlieben uns nicht in ein Gerät, sondern wägen rational ab und setzen auf eine Gesamtlösung. Man muss jede Heizlösung im Zusammenspiel mit dem Gebäude und der Situation vor Ort bewerten.
Welche weiteren Heiztechnologien gibt es, die man schon jetzt einsetzen kann?
Im Moment gibt es mehrere funktionierende Heiztechnologien, die teilweise kombinierbar sind, und die natürlich alle Vor- und Nachteile haben: Die Verdichtungstechnik, Stichwort Wärmepumpe; die Brennstoffzelle, die chemische Energie in Strom und Wärme umwandelt; die Eisspeichertechnik, die über die Veränderung der Aggregatzustände von flüssig zu fest und von fest zu flüssig Wärme entzieht bzw. abgibt. Und dann gibt es noch die Verbrennungstechnologie, die auch klimafreundliche Energieträger verbrennen kann, etwa Holzpellets und Biomasse und idealerweise in der Zukunft mehr grüne Gase oder synthetische Mittel. Grundsätzlich macht es Sinn, am Gebäude auch Solarthermie für Warmwasser, als Unterstützung für die Heizung und eine PV-Anlage für Strom für den eigenen Bedarf vorzusehen. Neben Einzelgebäudelösungen würden auch Quartiersansätze helfen, wo gemeinsame Projekte umwelteffizienter, kostengünstiger und auch sozialverträglicher gelingen können. Und dann gibt es noch Fernwärme, die Geothermie und Bioenergie nutzen, oder hocheffiziente Blockheizkraftwerke, die gleichzeitig Wärme und Strom produzieren können etc.
Jede Lösung ist individuell und dennoch: Welcher Regel müssen Hauseigentümer folgen, um die Kosten eines Umstiegs auf erneuerbare Energien und dann auch die Betriebskosten maximal zu senken?
Es gibt keinen pauschalen Rat. Grundsätzlich lohnt es sich, zunächst energetisch zu sanieren, und dann auf erneuerbare Wärme umzusteigen. Grundsätzlich plädiere ich für serielles Sanieren. Hierbei werden Dämmplatten modular vorgefertigt und an die Fassade angebracht. Das geht schneller, steigert die Sanierungsrate und ist über den sogenannten Wiederholungsfall kostengünstiger. Oft sind die Kosten dennoch für die Eigentümer kaum tragbar, deshalb plädiere ich einerseits für Quartierslösungen, die das Ganze noch einmal günstiger gestalten können und andererseits für versorgungsseitige Lösungen, wenn eine Sanierung nicht möglich ist. Dazu braucht es ein Angebot auf der kommunalen Ebene, Stichwort Fernwärme oder kommunale Wärmepläne.
Die Bundesnetzagentur hat schon Anfang des Jahres vor einer Überlastung der Netze durch Elektroautos und Wärmepumpen gewarnt. Sollten wir bald mit Blackouts rechnen?
Der Gebäudemarkt ist ein Peak-Markt, wo die Heizleistung in nur wenigen Wochen im Winter abgerufen wird. Und anders als Elektroautos werden Wärmepumpen gleichzeitig gerbraucht. Es wird daher eine große Herausforderung für die Stromnetze werden. Das Problem ergibt sich aber nur, weil man fatalerweise alle Gesellschaftsbereiche, also Industrie, Gebäude und Verkehr elektrifizieren will und zudem überwiegend auf Wind und Photovoltaik setzt. Die Knappheit ist also selbst verursacht. Sinnvoll ist es auch, direkte erneuerbare Wärme zu fördern, etwa über Geothermie, Solarthermie oder Bioenergie. Geothermie ist übrigens grundlastfähig, kann Wärme und Strom liefern und bis zu 25 Prozent des Endenergiebedarfs Deutschlands decken. Daher begrüße ich ausdrücklich die Ankündigung des Bundeskanzlers Scholz, nun stärker auf Geothermie zu setzen.

Nach dem Energiewirtschaftsgesetz kann der Stromverbrauch verbrauchernaher Geräte ferngesteuert gedrosselt werden. Wärmepumpen sollten zudem nur dann gefördert werden, wenn sie über eine Schnittstelle verfügen, womit sie ferngesteuert vom Stromnetz teilweise abgekoppelt werden können. Wie bewerten Sie das?
Die Bundesregierung sollte so ein Vorgehen unbedingt vermeiden, um die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber Klimaschutz nicht weiter zu gefährden. Dass Wärmepumpen für wenige Stunden abgekoppelt werden können, ist bereits heute der Fall. Allerdings beträgt der Wärmepumpenanteil im Bestand heute auch nur knapp drei Prozent. Bei künftigen 30 Prozent oder mehr wären die Folgen völlig andere, sollte der Netzausbau stocken oder das Netz überlastet sein.
Aber noch mal: Ohne diesen Stromfokus und die selbstverursachte Verknappung wäre das vollkommen unnötig. Sinnvoll ist also eine wirklich diversifizierte und versorgungssichere Energiewende, die neben Strom auch direkte Wärme fördert. Wir können nur erfolgreich sein, wenn wir uns breiter aufstellen, in Sachen Energiequellen, Technologien und Instrumenten.
Wie können sich die Mieter auf die Wärmewende vorbereiten? Von ihnen hängt leider nicht viel ab, und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Hauseigentümer am Ende alle Kosten auf sie umlegen werden, die Förderung nicht inklusive.
Eine gute und leider ungeklärte Frage. Weder die Hauseigentümer noch die Mieter wissen, was auf sie zukommt. Die Förderungen müssen die Frage mitdenken, welche Kosten die Vermieter wann auf die Mieter umlegen dürfen. Anders formuliert: Welche Maßnahmen werden als bloße nicht umlagefähige Reparatur, welche als aktive Modernisierung erfasst? Und wie unterstützt man konkret Vermieter und Mieter?
Die Kosten übersteigen auch die alten Kosten, denn wir stehen vor einem Systemwechsel im Heizungskeller. Es kann auch passieren, dass ein Eigentümer eine Heizungsanlage einbaut, ohne das Gebäude vorher gedämmt zu haben: Ohne Vorsorge, werden die Mieter die hohen Heizkosten tragen müssen. Deswegen müssen Sanierungsmaßnahmen auf jeden Fall mitgedacht werden.
Sind Sie optimistisch, dass es zu einem guten Gesetz kommt?
Das bin ich, wenn ich die Zeitachse ausblende. Es kann eine Sternstunde der Demokratie werden, wenn alle Parteien jetzt ihre konstruktiven Vorschläge einbringen, inklusive der Opposition.
Das Gesetz jetzt um jeden Preis schnell schon vor der Sommerpause zu billigen, kann allerdings noch mehr Vertrauen kosten. Die Heizwende ist eine gemeinschaftliche Aufgabe und es betrifft alle Menschen. Eine breite gesellschaftliche Akzeptanz ist die wichtigste Währung für den Klimaschutz.



