Am Montag zu Mitternacht begann der Megastreik. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und die Eisenbahner der Gewerkschaft EVG legten im Tagesverlauf in weiten Teilen des Landes das öffentliche Leben lahm.
Vor der dritten Verhandlungsrunde für den öffentlichen Dienst in Potsdam sagte Verdi-Chef Frank Werneke: „Es ist einfach Druck auf dem Kessel, weil die Beschäftigten es leid sind, sich jeden Tag mit warmen Worten abspeisen zu lassen, während die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden und viele Stellen unbesetzt sind.“
Beschäftigte sind ausgebrannt
Max Manzey, zuständiger Verdi-Sekretär für die Berliner Krankenhäuser, sagte der Berliner Zeitung, die Streikbeteiligung der Beschäftigten sei hoch. In den Kliniken von Vivantes, der Charité und dem Jüdischen Krankenhaus hätten sich mehr als 1000 Beschäftigte den Warnstreiks angeschlossen. An den Krankenhäusern würden derzeit nur noch Notfälle behandelt. Verbesserungen im Berufsalltag müssten dringend umgesetzt werden: „Die Arbeitsbelastung ist enorm“, sagte Manzey. „Die Leute gehen auf dem Zahnfleisch, Auszubildende brechen ihre Ausbildung ab, Unterbesetzung ist mittlerweile der Standard auf den Stationen.“ Die Beschäftigten würden sich gerne um ihre Patienten kümmern, aber sie seien „ausgebrannt“.
Uwe Henschel, Geschäftsstellenleiter der Berliner EVG, schloss im Gespräch mit der Berliner Zeitung weitere Arbeitskämpfe auch in den nächsten Wochen nicht aus: „Man muss sehen, ob der Bahnvorstand zur Besinnung kommt und die berechtigten Forderungen der Beschäftigten erfüllt“, sagte Henschel. Ansonsten sei es durchaus möglich, dass in Berlin und bundesweit der Verkehr zum Erliegen komme.
Die Bahn-Beschäftigten sind wütend. Torben Müller, Angestellter und Betriebsratsmitglied für den Bereich DB Station und Service, sagte der Berliner Zeitung: „Die Corona-Jahre ist durchgearbeitet worden. Züge sind gefahren, die DB-Info war geöffnet, Bahnhöfe wurden gereinigt, und das Sicherheitspersonal war auch weiterhin aktiv.“ Die Beschäftigten in den Büros wurden ins Homeoffice geschickt. Die finanzielle Mehrbelastung sei vom Arbeitgeber aber nicht übernommen worden. Die EVG hatte in der Vergangenheit innerhalb des Bündnisses für unsere Bahn zugunsten des Konzerns auf hohe Lohnforderungen verzichtet, erinnert sich Müller.
Wenig Verständnis zeigten die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB): „Die Warnstreiks von EVG und Verdi sind völlig überzogen.“ Die Gewerkschaften dürften spüren, dass es in der Bevölkerung keine Akzeptanz für ihre Maßnahmen gebe. Es wäre „mehr als angemessen, wenn der Ausstand auf wenige Stunden verkürzt würde, statt einen ganzen Tag lang das gesamte Land lahmzulegen“, erklärte der UVB. „Damit würden die Gewerkschaften ein Stück weit Verantwortungsgefühl zeigen und demonstrieren, dass sie den wirtschaftlichen Schaden durch den Streik zumindest begrenzen wollen.“

Keine französischen Verhältnisse
Widerspruch zur Haltung des Wirtschaftsverbands kam aus der Wissenschaft. „Den Gewerkschaften gelingt eine Mobilisierung, die auch in der Mehrheit der Gesellschaft als angemessen begriffen wird“, sagte Wolfgang Schroeder, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Kassel und am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), der Berliner Zeitung. „Den Unternehmen wird in der Regel kaum wirtschaftlicher Schaden entstehen, denn sie haben viele Möglichkeiten, Bypässe zu legen.“ Schließlich sei es den Unternehmen auch gelungen, die Corona-Krise zu meistern. Bei den Streiks am Montag habe es sich nur um ein paar Stunden gehandelt. „Es gibt Wirtschaftsforscher, die ausgerechnet haben, dass der Wachstumseinbruch durch diesen Streik für einen Tag bei 0,006 Prozent liegt. Insofern ist das auf der ökonomischen Seite keine Herausforderung, die ernsthaft ins Gewicht fällt“, sagte Schroeder.





