Regelmäßig diskutieren mein Mann und ich über den Klimawandel. „Ob du innerhalb Europas fliegst oder mit der Bahn fährst, ist vollkommen schnurz“, behauptet er, „durch den Zertifikatehandel haben alle Fluggesellschaften längst festgelegt, wie viel CO₂ sie jährlich ausstoßen.“ Oder auch: „Die staatlich geförderten Fassadendämmungen der letzten Jahre sind Blödsinn! Am Haus kriegste Schimmel und nach 15 Jahren fällt der Kram von der Wand und muss als Sondermüll entsorgt werden.“
Egal, welches Ökothema bei uns auf den Tisch kommt – einig werden wir uns selten. Wir debattieren über das sparsamste Programm der Geschirrspülmaschine, den Skizirkus in den Alpen, den Sinn von Tempolimits, grüne Geldanlagen, den ökologischen Fußabdruck von Amazon-Paketen und den CO₂-Ausstoß bei der Produktion von Bio-Süßrahmbutter im Vergleich zu herkömmlicher Butter.
Mein Mann ist kein ignoranter Verharmloser des Klimawandels, um Himmels willen, nein. Bloß hält er als rational tickender Mathematiker meine Versuche, den CO₂-Ausstoß durch popelige Alltagsmaßnahmen zu mindern, für wenig zielführend. „Das bringt alles nichts“, meint er. „Die Klimawende muss politisch gesteuert werden.“
Klimawandel: Was kann jeder Einzelne von uns tun?
Ich will das nicht glauben. Darauf zu warten, dass Wirtschaft und Politik einen ökologischen Transformationsprozess einleiten, der das Ruder rumreißt, kommt mir blauäugig vor. Und die Frage, was jeder Einzelne von uns tun kann, treibt mich mehr und mehr um. Es brauche „Menschen, die nicht mehr länger darauf warten, dass sich irgendwann das System verändert, sondern die jetzt anpacken und ihren Teil dazu beitragen, dass diese Systemänderung wahrscheinlicher wird“, schrieb Maike Sippel, Professorin für nachhaltige Ökonomie von der Hochschule Konstanz, neulich in der taz.
Nun, das Festkleben auf Rollfeldern macht mein Halswirbel nicht mit, in eine grüne Partei einzutreten widerspricht meinem journalistischen Kompass (Journalisten haben meiner Ansicht nach in einer Partei nichts verloren) und das Ökoprogramm des Geschirrspülers ist offenkundig zu dünn (siehe oben). Was also kann ich an Sinnvollem beitragen? Eventuell an dieser Stelle hin und wieder ein grünes Leuchtturmthema aufschreiben, eine Geschichte über Menschen, die die Welt mit ihrem Tun ein bisschen besser machen. Wäre das in Ordnung? Fein.

Dann erzähle ich Ihnen hier und heute mal von Sonia Grimm. Sonia ist Anfang 30, Schnittblumenproduzentin in dritter Generation und vor rund zehn Jahren übernahm sie den gärtnerischen Betrieb ihrer Eltern in Sinzheim, einem kleinen Ort in der Nähe von Baden-Baden. 40 Jahre lang war das Unternehmen auf die Anzucht von Rosen spezialisiert. In beheizten Gewächshäusern wuchsen die Schnittrosen in Monokultur und mehrmals im Jahr wurde die Ernte im Großhandel meistbietend verkauft. Ein gutes Geschäft, schließlich gehen langstielige Schnittrosen nicht nur am Valentinstag.
Leider aber, wir Gartenmenschen wissen das natürlich, sind Rosen nicht ganz einfach: Läuse, Mehltau, Rost und allerlei andere Pilzkrankheiten können eine Pflanze innerhalb weniger Wochen schwer beschädigen. Und wenn, so wie in der Gärtnerei Grimm, die Büsche dicht an dicht in einem Gewächshaus stehen, werden aus den Wochen manchmal Tage. Ohne den Einsatz chemischer Spritzmittel geht darum in der konventionellen Rosenindustrie gar nichts. „Schnittrosen sind eine umständliche Kultur“, erklärte mir Sonia, als ich sie vor etwa einem Jahr in Baden-Baden mit meinem Kamerateam besuchte. „Die müssen vier Mal im Jahr blühen. Wenn man die Schädlinge nicht ordentlich bekämpft, verschleppt man die Krankheiten.“

Als Sonia ein Kind war, liebte sie es, durch die riesigen Gewächshäuser zu stromern und Verstecken zu spielen. Regelmäßig allerdings wurde ihr der Eintritt verboten. Dann nämlich, wenn ihr Vater sich in einen weißen Schutzanzug zwängte und mit Atemschutzmaske durch die Reihen ging, um giftigen Nebel zu sprühen. „Danach konnte da tagelang niemand mehr rein“, erzählte sie.
Das Giftspritzen ging Sonias Vater schon damals gehörig gegen den Strich und er suchte nach Wegen, um seine Ware anders zu produzieren. Aber – es war zu früh. „Mein Vater hat Anfang der 90er-Jahre sogar mal ein Praktikum in einem Demeter-Betrieb gemacht. Aber die Umstellung hier bei uns war schwer. Weder seine Mitarbeiter noch seine Kunden konnte er so richtig überzeugen. Alle hatten Angst, es würde schiefgehen.“
Während in der Fleischindustrie und der Agrarwirtschaft biologische Produktionsmethoden gängig wurden, machte die Gartenbauindustrie weiter wie gehabt. Der Berater von der Schädlingsbekämpfung, der regelmäßig im Grimm’schen Betrieb vorbeikam, hatte kein einziges ökologisch unbedenkliches Produkt in seinem Instrumentenkoffer. Eine Blumenproduktion ohne Insektizide gab es schlichtweg nicht. Und in vielen Betrieben ist das, leider, auch heute noch so.
Als sich Sonia vor rund zehn Jahren entschied, ins elterliche Unternehmen einzusteigen, stand für sie fest: „Es muss auch ohne Insektizide klappen.“ Gemeinsam mit ihrem Vater verabschiedete sie sich Stück für Stück von der Monokultur. Die beiden probierten: Welche Blumen wachsen regional? Welche sind wenig schädlingsanfällig? Keimt das Saatgut nur im Frühjahr und Sommer oder gibt es Pflanzen, die auch im Herbst gesät werden können? Wie muss der Boden in den Gewächshäusern beschaffen sein? Schaffen es die Blumen ohne Heizung über den Winter? Alles Fragen, mit denen sich damals, 2013, wahrscheinlich noch kein Schnittblumenbetrieb in Deutschland jemals beschäftigt hatte.
„Alle haben uns ausgelacht“, erzählte mir die junge Gärtnerin, „und tatsächlich ging auch erst mal vieles den Bach runter.“ Mehr als 50 Prozent des Umsatzes büßte das Unternehmen in den ersten fünf Jahren ein. Entweder das Saatgut ging gar nicht erst auf oder der Frost zog im Winter in die Gewächshäuser und zerstörte die Ernte. Zudem konnten die teuer regional produzierten Blumen nur schwer mit der Billigware aus dem Ausland mithalten. Immerhin importiert Deutschland allein 1,5 Milliarden Rosen jährlich, die meisten davon aus Kenia. Zum Durchschnittspreis von nur einem Euro werden die im Handel angeboten.
Aber auch fast alle anderen Sorten, die wir Verbraucher beim Floristen kaufen, sind billig produziert und weit gereist. Gerbera kommen aus Südafrika, Lilien aus Kalifornien, Orchideen aus Thailand und Tulpen aus den Niederlanden. All diese Schnittblumen werden unter dem Einsatz von Spritzmitteln großgezogen und mit aufwändiger Logistik nach Deutschland importiert. Im Blumenstrauß mögen sie schön aussehen, aber nachhaltig sind sie nicht.
Regional und nachhaltig: 120 Arten Blumen, übers ganze Jahr verteilt
Sonia und ihre Eltern hielten an der Neuausrichtung des Unternehmens fest trotz aller Widerstände. „Bei etwas zu bleiben, ist immer einfacher“, sagte Sonia. „Aber ich habe immer daran geglaubt, dass es klappt.“ Heute haben sie es geschafft. In ihrem Unternehmen ernten Sonia und ihr Vater mittlerweile über das Jahr verteilt mehr als 120 Arten Blumen. Jetzt im Februar sind es die Levkojen. Später dann kommen die Tulpen, Löwenmäulchen, Ranunkeln, Sonnenblumen, Hasenschwänzchen, Skabiosen und viele mehr.
Die Schnittblumen gedeihen ausschließlich mit biologischem Dünger, werden durch den gezielten Einsatz von Nützlingen schädlingsfrei gehalten und wachsen, bis auf die Tulpen, ohne Heizung. Von den steigenden Energiepreisen also hat sich das Unternehmen weitestgehend unabhängig gemacht. Seit drei Jahren ist Floralita, so heißt der Betrieb mittlerweile, biozertifiziert. Darauf ist Sonia stolz.

„War dir immer klar, dass du hier bleiben wolltest?“, fragte ich.
„Nee, absolut nicht!“, antwortete sie und schüttelte den Kopf. „Ich habe in Hannover studiert und liebte es, in einer größeren Stadt zu wohnen. Abends mal ausgehen können, ein Kino um die Ecke zu haben, solche Dinge, weißt du? Hier in Sinzheim ist es doch recht langweilig.“
„Aber du bist trotz allem hier?“
„Naja“, sagte sie mit einem Schulterzucken, „meine Eltern und ich haben nun mal dieses Land. Und damit können wir ganz direkt dazu beitragen, den Klimawandel aufzuhalten. Ich könnte mir gar nicht verzeihen, das nicht zu nutzen.“
Sonia ist jung, die ganze Welt steht ihr offen. Und doch hat sie sich entschieden, hier, im kleinen Sinzheim irgendwo westlich von Baden-Baden zu bleiben, um das durchzusetzen, was ihr Vater ohne sie nicht geschafft hatte – die Abkehr vom konventionellen Gartenbaubetrieb hin zur biozertifizierten Blumenproduktion.
Respekt, Sonia!




