Fußball-Bundesliga

Zurück in die Zukunft: Warum Pal Dardai der Richtige für Herthas Rettung ist

Kein anderer steht so sehr für den Berliner Weg wie Herthas ungarischer Rekordspieler, der das Bundesligateam schon zweimal vor dem Abstieg gerettet hat.

Pal Dardai ist zurück auf dem Trainingsplatz bei Hertha BSC und lacht, während seine Spieler Runden laufen.
Pal Dardai ist zurück auf dem Trainingsplatz bei Hertha BSC und lacht, während seine Spieler Runden laufen.Sebastian Räppold/Matthias Koch/imago

Am Montag zur Mittagszeit schlenderten im Berliner Olympiapark ein paar Jungs in Hertha-Trikots und neonroten Fußballschuhen den Berliner Teerweg am Schenckendorffplatz entlang. Ihre Pause zwischen Schule, Training und Mittagessen war kurz. Sie lachten, als sie an dem Rasenplatz vorbeikamen, auf dem Pal Dardai drei Stunden später sein erstes Training mit den Bundesligaprofis um Kevin-Prince Boateng, Marco Richter, Lucas Tousart und Tolga Cigerci im Regen mit Fußball-Tennis begann.

Ja, Pal Dardai war am Montag wirklich wieder da. Bei Hertha BSC. Auf dem Schenckendorffplatz. In der Geschäftsstelle. Im Pressekonferenzraum. Der 47 Jahre alte Ungar hat sich wirklich noch mal darauf eingelassen. Zum dritten Mal als Bundesligatrainer. Zum dritten Mal als Retter in großer Not. Warum macht Pal Dardai so was?

Sechs Spieltage vor Schluss ist Hertha BSC Tabellenletzter

Er sagt, er habe auch an die Jungs aus der Hertha-Akademie gedacht, als ihn Benjamin Weber nach der katastrophalen 2:5-Niederlage der Blau-Weißen gegen Schalke 04 anrief, an all die Jungs also, die in den vergangenen Jahren in schwarzen, blauen oder neonroten Schuhen über Herthas Berliner Wege liefen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Herthas Sportdirektor schon ein langes Gespräch mit dem bisherigen Trainer Sandro Schwarz am Sonnabendvormittag hinter sich – und an dessen Ende nicht mehr den Eindruck, dass Herthas bisheriger Trainer „noch die Leidenschaft aufbringen kann, um die Situation für uns zu drehen“.

Die Situation ist schnell zusammengefasst: Hertha BSC steht sechs Spieltage vor Saisonende auf dem letzten Tabellenplatz, 22 Punkte aus 28 Spielen bedeuten 0,78 im Schnitt. Das reicht hinten und vorne nicht für die Erste Liga. Auch das Geld reicht hinten und vorne nicht. Finanziell ist Hertha ein Sanierungsfall – trotz des neuen Investors 777 aus den USA. Und der aktuelle Kader, so beschrieb es der Kicker gerade erst anschaulich, „ist wie im Grunde der ganze Klub – eine Ruine des Größenwahns“.

Das macht die Sache in den kommenden Spielen natürlich spannend. So spannend, wie es bei Hertha BSC in den vergangenen Jahren eigentlich fast immer war. „Hertha würde auch als Dramödie wunderbar funktionieren. Eine gute Komödie braucht immer auch tiefe Abstürze, die hat Hertha immer schon geboten“, hat der Berliner Kabarettist und Hertha-Fan Frank Lüdecke vor kurzem in einem Interview gesagt und dem Klub ein satirisches Verhältnis zur Realität attestiert. Und nun dachte manch einer tatsächlich an Satire oder zumindest an den Film „Täglich grüßt das Murmeltier“, als er hörte, dass der immer gleiche Pal Dardai die Mannschaft wieder zurück in die Zukunft führen soll.

Aber im Grunde ist diese Wahl die einzige, die möglich war. Denn mehr Berliner Weg geht nicht. Mehr Herthaner als Pal Dardai kann niemand sein. Schließlich hielt der Rekordspieler des Vereins seine Knochen schon seit Januar 1997 als Mittelfeldantreiber für die Blau-Weißen hin, als die Mitspieler noch van Burik und Kiraly hießen und Jürgen Röber Trainer war. Schließlich übernahm der Ungar, der Hertha schon 2015 als Nachfolger von Jos Luhukay und 2021 als Nachfolger von Bruno Labbadia rettete, auch an der Akademie Aufgaben und trainierte verschiedene Jugendteams. Schließlich durchliefen auch seine Söhne Palko, Marton und Bence Herthas Nachwuchsausbildung – und wahrscheinlich hat Pal Dardai nicht mal übertrieben, als er sagte, durch seine Adern fließe blau-weißes Blut.    

Sandro Schwarz jedenfalls hatte sich völlig aufgerieben an diesem Kader, der mit den Windhorst-Millionen von 2019 erst wild und wahllos zusammengekauft, von acht Trainern in dreieinhalb Jahren wild und wahllos hin- und hergetrieben und seit mindestens zwei Jahren noch wilder und wahlloser auseinanderklamüsert wurde. Besonders im Spiel gegen Schalke, aber nicht erst dort, wurde noch mal augenscheinlich, dass es dem Kader an Organisation, Hierarchie, klaren Absprachen, klaren Verhaltensweisen, Selbstbewusstsein und eben Qualität fehlt. Bis zu seinem Rauswurf Ende Januar hatte Fredi Bobic wortreich die finanziellen Zwänge erläutert, unter denen er versucht haben wollte, die Blau-Weißen aus dem Westend mit erstligatauglichen Fußballern aus aller Welt zu versorgen. Letztlich stand über allem, was er sagte, dieses Zitat, das von Bobic selber stammt: „Man darf jetzt nicht alles so schlechtreden, wie es wirklich war.“

Pal Dardai, den Bobic wie zuvor schon Benjamin Weber abserviert hatte, kam am Montag nicht zurück, um irgendetwas schlechtzureden. Er atmete die Luft bewusst tief ein, und er blies sie kontrolliert aus, als er nun schon zum dritten Mal nach der Saison 2014/2015 und 2020/2021 in seiner Prada-Strickjacke in Herthas Presseraum als derjenige vorgestellt wurde, der den Abstieg des Klubs in die Zweite Liga verhindern soll. „Sie fragen sicher gleich, warum mache ich das? Warum mache ich das mit mir? Mit meiner Gesundheit? In so einer Situation, in der alle sagen: Der Klassenerhalt ist nicht mehr möglich. Oder: Wir brauchen ein Wunder.“

Dardai drehte den Kopf kurz nach links, zu Benjamin Weber hinüber, der bis zum Februar 2022 18 Jahre lang in Diensten von Hertha gestanden hatte und Leiter der Akademie gewesen war. Nach dem Rauswurf von Bobic hatte ihn Präsident Kay Bernstein als ersten Rückkehrer auf den neuen Weg geschickt. Auf einen Weg, der weg vom Big-City-Club-Image führen soll. Hin zu mehr Demut. Mehr Fan-Nähe. Mehr Bodenständigkeit. Es ist Herthas neuer Berliner Weg.

„Mit Benny haben wir die Akademie aufgebaut, wir haben maximale Sterne bekommen, das war eine Oase für den Nachwuchs“, schwärmte Dardai. Sein Plan sei gewesen, im Sommer zurückzukommen in die Akademie. Aber jetzt wolle er für die nächsten sechs oder vielleicht auch acht Spiele (eine mögliche Relegation eingerechnet) dafür sorgen, „dass Hertha-Jugendspieler die A-Mannschaft so sexy und gut finden, dass sie nicht weggehen. Dafür brauchen wir eine gute A-Mannschaft. Und wenn wir absteigen, dann mit mir. Entweder schaffe ich es oder die Mannschaft steigt mit mir ab“, sagte Dardai. Und: „Dieses mal reicht nicht nur die harte Arbeit, dieses mal braucht man auch ein Quäntchen Glück.“

Pal Dardai ist bei den Hertha-Fans beliebt

Der Ungar ist bei den Fans beliebt. Er bringt Glaubwürdigkeit mit. Wem sonst hätten Sportdirektor und Präsidium das Schicksal des Profiteams anvertrauen sollen, nachdem sie lange, vielleicht zu lange auf Sandro Schwarz gesetzt hatten? Nicht immer bleibt ein System dadurch stabil, dass man auf Kontinuität baut. „Wir sind 18. der Tabelle. Es geht mit allen Mitteln darum, für den Klassenerhalt alles zu tun. Viele haben uns schon abgeschrieben. Das ist auch ein Stück weit Ansporn. Pal kennt den Verein, er kennt hier jeden Grashalm, er kennt jede Tür, er kennt die Mannschaft. Er kennt die Verbindung in unseren Nachwuchsbereich, er kennt das Trainerteam. Er braucht keinerlei Einarbeitung“, sagte Weber am Montag. „Pal hat bereits zweimal gezeigt, dass er mit seiner klaren Art und seinem Plan eine Mannschaft stabilisieren und aus solchen Situationen herausführen kann. Davon sind wir auch jetzt überzeugt.“

Dardai sagt, er habe seit dem November 2021, als er von Bobic entlassen worden war, ein schönes Leben als Rentner gehabt. Er habe die Entwicklung von Palko, Marton und Bence verfolgt, sie zu ihren Spielen begleitet. Die Familie habe sich einen Hund gekauft, eine Pudel-Malteser-Mischung mit dem Namen Maltipoo. „Ja, und ich habe schon ein paar Dinge gesehen, die nicht funktionierten. Aber ich habe nicht angerufen, um zu sagen: Hey, das funktioniert nicht seit Wochen. Es muss niemand denken, dass ich mit der Bohrmaschine herumgelaufen bin.“

Sabotiert hat sich Hertha aus den Zwängen seiner Kaderzusammensetzung, seiner Unruhe im Umfeld, seiner finanziellen Not unter Trainer Sandro Schwarz schon selbst. Dardai sagt, er wolle das Glück nun mit Methoden zwingen. „Ich werde Einzelgespräche führen und versuchen, Vertrauen zu schaffen. Ich brauche keine Spieler mit Hemmungen.“ Stattdessen brauche er Führungsspieler. „Wenn in dieser Mannschaft nur Prince Führungsspieler ist, dann können wir einpacken.“ 

Vermutlich lässt Dardai auch wieder vermehrt Freistöße und Ecken üben, so wie Felix Magath, der vorige Saison als Retter kam und die Mannschaft mit Kevin-Prince Boateng erfolgreich durch die Relegation mit dem Zweitligadritten Hamburger SV führte. „Letztes Jahr haben sie bei Magath Tag und Nacht Standards geübt. Und mit Standards haben sie sich gerettet“, sagte Dardai und versprach: „Es werden bestimmt einige Jugendspieler nachgeholt.“ Talente, die Dardai selbst schon in den vergangenen Jahren in den Nachwuchsteams von Hertha BSC ausgebildet hat und von denen er sagt, er liebe sie wie seine eigenen Jungs. Genau diese Philosophie hat Präsident Kay Bernstein immer wieder propagiert. Genau so soll er verlaufen, der Berliner Weg – egal ob in schwarzen, blauen oder neonroten Schuhen. Am besten aber eben auch künftig in Liga eins.