Die Melbourne Docklands gelten als das Megaprojekt einer atemberaubenden Großstadt. Milliardenschwere Investitionen haben in den alten Hafenanlagen teure Wohnungen für 30.000 Menschen, ein tolles Football-Stadion und natürlich auch futuristische Hotels entstehen lassen. Eine komplett schwarz verglaste Luxusherberge steht an der Waterfront in zweiter Reihe hinter Palmen. Hier haben die deutschen Fußballerinnen nach dem Kantersieg gegen Marokko (6:0) eine weitere Nacht verbracht.
Am Dienstagmorgen unternahmen etliche Spielerinnen eine schnelle Shoppingtour, ehe es zum Flieger nach Newcastle und dann zurück ins Quartier nach Wyong ging. Mit Selbstvertrauen statt Selbstzweifeln.
Bevor die Vorbereitung aufs zweite WM-Gruppenspiel gegen Kolumbien (Sonntag 11.30 Uhr MESZ, ARD) anläuft, steht der Mittwoch zur freien Verfügung. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hält am Mix aus Anspannung und Entspannung fest. Schöne Plätze an der Central Coast gibt es noch genügend zu entdecken – man muss in diesem riesigen Land nur weit genug fahren. „Es wird bestimmt auch wieder einiges angeboten“, sagte Torhüterin Merle Frohms, die ihre Vorderleute dafür lobte, „auf den Punkt zu performen“. Sie selbst hatte sich am selben Abend mit einer Portion Pommes belohnt – passend zum Hashtag der DFB-Frauen (#hungriGER).
Alexandra Popp brennt wie kaum eine andere
Mittelfeldspielerin Lina Magull fand, es sei wichtig gewesen, „für uns selbst ein Zeichen zu setzen, natürlich auch ein gutes Gefühl nach Deutschland zu vermitteln“. Wobei in der Heimat ja viel mehr Menschen zusahen als gedacht: 5,61 Millionen beim ZDF bedeuteten eine überragende Quote, der Marktanteil lag in den Vormittagsstunden bei stolzen 60 Prozent. Nicht ausgeschlossen, dass am Wochenende schon mehr als zehn Millionen einschalten. Könnte alles damit zusammenhängen, dass die Protagonisten nach Erfolgen bodenständig bleiben. So wie am Montagabend Svenja Huth, die bereits in der Mixed Zone des Rectangular Stadium ganz ruhig, aber offen „zu viele Abspielfehler“ monierte. Und Magull meinte, man solle jetzt bloß „nicht übertreiben“.
Dennoch schien in der australischen Sportkapitale von einigen so viel Ballast abzufallen wie nach einer ekligen Dschungelprüfung. „Girl On Fire“ von Alicia Keys trällerte sogar die sonst doch eher schüchterne Stürmerin Jule Brand voller Inbrunst mit, als der Fifa-Bus zurück vom Olympic Park durch den Regen fuhr.
Mal wieder Feuer und Flamme scheint Alexandra Popp zu sein, die für die Mission zum dritten Stern brennt wie kaum eine andere. Die wegen ihres kürzlich verstorbenen Vaters einigermaßen sentimentale Doppeltorschützin hat sich einmal mehr als Unterschiedsspielerin herausgeschält. Nur hat das von der 32-Jährigen verletzt verpasste EM-Finale ausdrücklich belegt, dass eine alleine auch nicht alles richten kann.
Insofern eine gute Botschaft, dass ihre eingewechselte Vertreterin Lea Schüller vor dem Block mit den deutschen Fans traf. Da könnte jemand vielleicht noch so wichtig werden, wie es Sara Doorsoun oder Melanie Leupolz bereits sind. Deren Einsätze kamen für die Kaderhygiene zu einem idealen Zeitpunkt.
Gegen den mit Abstand schwächsten WM-Gegner blieben kleine Wackler folgenlos. Die bereits bei der WM 2019 in allen fünf Spielen zum Einsatz gekommene Doorsoun wisse, „wie man Dinge abläuft“, lobte die Bundestrainerin. „Ihre positive Energie tut uns gut.“ Die 31-jährige Abwehrspielerin hat über den Fußball zu sich selbst gefunden.
Was Leupolz von der Geburt ihres mit nach Australien genommenen Sohnes sagen kann. „Auf dem Weg zum Stadion musste ich mich selbst mal kneifen, dass ich wirklich wieder bei der Weltmeisterschaft bin, sogar in der Startaufstellung stehe und mein Land repräsentieren darf.“ Der (Mutter-)Stolz war der 29-Jährigen anzusehen. Vor den Augen des designierten DFB-Sportdirektors Sami Khedira sandte Leupolz aus der kosmopolitischen Großstadt die Botschaft: Es geht im Notfall ohne die in England überragenden Stützen Marina Hegering und Lena Oberdorf, wobei letztere hernach so viel herumwitzelte, dass sie bald wieder die grätschende Spaßverderberin spielen dürfte. „Ich bin zuversichtlich, aber das bin ich ja immer, in jeder Situation.“




