Für Lorne Donaldson ist die Angelegenheit ziemlich klar. Dass seine Spielerinnen aus Jamaika wie schon bei der WM 2019 in Frankreich auch jetzt bei der Endrunde in Australien und Neuseeland mitspielen, sei ein Segen für die „Reggae Girlz“. Und für den Fußball. Tatsächlich ist die auf den fünften Kontinent transportierte Fröhlichkeit ansteckend. Nach der Nullnummer gegen den Mitfavoriten Frankreich steht als Nächstes ein Außenseiterduell gegen Panama an. Danach könnte es gegen Brasilien tatsächlich darum gehen, ob ein möglicher Achtelfinalgegner Deutschlands vielleicht Jamaika heißt.
„Meine Spielerinnen entwickeln sich“, sagt Donaldson, „weil einige die Chance bekommen haben, in den Topligen zu spielen.“ Fast die Hälfte seines Kaders steht in den USA oder England unter Vertrag, Topstürmerin Khadija Shaw etwa bei Manchester City. Für den Nationalcoach schließt sich die Lücke gerade. „Kleine Länder haben verstanden: Wir haben nicht die Ressourcen wie die großen Nationen, aber bei den Trainern und beim Staff tun wir mehr.“ Kleine Stellschrauben mit großer Wirkung.
Die Bilanz am ersten Spieltag fällt ernüchternd aus
Frankreichs Nationaltrainer Hervé Renard findet ganz allgemein, dass der Fußball „immer näher zusammenrückt“. Der Mann muss es ja wissen: Er hatte Saudi-Arabien bei der Männer-WM in Katar zur Sensation gegen Argentinien gecoacht, und Lionel Messi damit den Ansporn zur Krönungsmesse gegeben. Jenes Turnier bot bekanntlich in der Gruppenphase Spannung ohne Ende. Die deutsche Nationalelf war ein Leidtragender der Dramatik am letzten Spieltag. Doch für die Frauen-WM ist die Wiederholung nicht unbedingt in Sicht.
Klar, Europameister England hat sich zu einem 1:0 gegen Haiti gequält, Olympiasieger Kanada ist über ein 0:0 gegen Nigeria nicht hinausgekommen. Doch die Bilanz der WM-Neulinge Irland, Portugal, Sambia, Marokko, Vietnam, Panama, Haiti und Philippinen fiel am ersten Spieltag ernüchternd aus: null Punkte, null Tore.
Am Dienstag gaben die Philippinen den Partycrasher für Neuseeland, siegten mit 1:0. Nationaltrainer Alen Stajcic sagte nach dem emotionalen Erfolg: „Es war vielleicht im Mannschaftssport der größte Erfolg für die Philippinen.“ Das goldene Tor durch den Kopfball von Sarina Bolden war bezeichnenderweise aber der erste Torschuss bei einer WM. Denn die Debütanten sind meist gut geordnet in der Defensive, aber oft überfordert in der Offensive. Manch einer scheint froh, nicht den Ball besitzen zu müssen.
Kam die Erweiterung der Teilnehmerteams zu früh?
Die Indizien verdichten sich, dass einige Topteams früh das Achtelfinalticket in der Tasche haben. Erst mit der K.o.-Runde würde die WM dann für USA, England, Spanien, Deutschland oder Brasilien so richtig beginnen. Dann hätte auch die fürs Trendscouting zuständige Silvia Neid recht, die die Erweiterung auf 32 Teilnehmer skeptisch beäugte: „Das ist aus meiner Sicht ein bisschen zu früh, aber das haben wir auch schon gesagt, als von 16 auf 24 Teams aufgestockt wurde.“
Es ist wie so oft eine Frage der Perspektive: Die Entwicklung durch ein WM-Erlebnis fördern – oder lieber warten? Fifa-Präsident Gianni Infantino hat analog zu den Männern auch für die Frauen die „beste und größte WM aller Zeiten“ ausgerufen.
Immerhin wächst auch die Anteilnahme. Zu fünf der ersten zwölf Partien kamen mehr als 40.000 Zuschauer. Bei der WM in Frankreich waren es insgesamt nur sechs Spiele. Der Besucherschnitt von vor vier Jahren (21.756) wird vermutlich deutlich übertroffen. Doch wenn es so einseitig abläuft, wie bei der deutschen Lehrstunde gegen Marokko, fehlen elementare Zutaten für eine gute Unterhaltung des Publikums. In dem nordafrikanischen Land werden den Fußballerinnen erst seit kurzem viel bessere Möglichkeiten eingeräumt. Fehlende Unterstützung ist in vielen afrikanischen Ländern noch das Kardinalproblem.
Einige Nationalspielerinnen bekommen für einen Sieg fünf oder zehn Euro
Am Rande des Freundschaftsspiels gegen Deutschland kam heraus: Sambias Nationalspielerinnen verdienen eigentlich nur ein Trinkgeld. Einige gehen umgerechnet mit 50 Euro nach Hause, bekommen für einen Sieg fünf oder zehn Euro. „Das Geld reicht nicht aus, um die Familie zu ernähren.“ Umso wichtiger wäre es, dass die von der Fifa angedachte WM-Grundprämie von 30.000 Dollar gerade in solchen Ländern bei jeder Spielerin ankommt. Aber das kann nicht mal die Fifa garantieren, wie Infantino auf der Auftaktpressekonferenz in Auckland zugab.




