Die vorangegangene Pressekonferenz hat Urs Fischer mal wieder Spaß gemacht. Trotzdem braucht es noch einen Becher Kaffee, bevor sich der Trainer des 1. FC Union auf den Weg zum Gespräch in Loge 16 macht. Hier sei er bislang noch nicht gewesen und zeigt Interesse an den Plakaten der verschiedenen Musikbands an den Wänden. In den nächsten Minuten aber geht es für ihn nicht um Musik, sondern um die am Sonnabend (15.30 Uhr) mit einem Heimspiel gegen Bochum endende Saison, die Abgänge wichtiger Spieler im Laufe der Spielzeit und das alljährliche Aufbauen einer neuen Mannschaft.
Herr Fischer, in der vergangenen Saison hat Union sich in der letzten Minute des letzten Spiels für Europa qualifiziert, dieses Jahr ist es sogar früher passiert. Müssen Sie sich bei dieser Entwicklung manchmal kneifen?
Nein, aber es ist trotzdem außergewöhnlich. Es ist immer gut, sich daran zu erinnern. Aber kneifen muss ich mich nicht, denn dafür betreiben wir viel Aufwand. Wir wollen erfolgreich sein. Dafür unternehmen wir alles. Sich im dritten Jahr zum zweiten Mal für das internationale Geschäft zu qualifizieren, ist außergewöhnlich.
Es heißt oft, dass man im Erfolg die größten Fehler macht – wie haben Sie es geschafft, die nicht zu begehen?
Wenn es läuft, sei wachsam. Tue mehr, wie wenn es nicht läuft. Das ist ein Prinzip von mir, das lebe ich auch. Es hat aber nicht mit mir allein zu tun. Es galt für den ganzen Verein wach zu bleiben, dranzubleiben.
Mainz, Augsburg und Freiburg sind gute Beispiele für Union
Der 1. FC Union geht im Sommer in seine vierte Bundesliga-Saison. Wo sehen Sie das Limit in der Entwicklung?
Es hat immer mit den Möglichkeiten zu tun, die man vorfindet. Wo das hingeht, ist immer schwierig zu sagen. Wichtig ist, dass man im Jetzt versucht, nichts falsch zu machen. Aber natürlich versucht man, sich zu entwickeln. Der ganze Klub hat sich in den drei Jahren Erste Liga entwickelt. Da kamen viele Dinge dazu, gerade im ersten Jahr hat man viele Erfahrungen gesammelt. Aber das hört nie auf. Mainz, Augsburg und Freiburg sind gute Beispiele, wie man eine Konstanz hinbekommt, um Teil dieser ersten Bundesliga zu sein und zu bleiben.
Würde ein zweites internationales Jahr etwas an der sportlichen Orientierung des 1. FC Union ändern?
Was sagen denn Vereine wie Augsburg, Mainz oder Freiburg? Christian Streich hat zu Beginn der Saison vom Klassenerhalt gesprochen. Und jetzt kommen wir nach drei Jahren, und weil wir zweimal international vertreten sind, und sagen, dass nach vier, fünf Jahren in der Bundesliga der europäische Wettbewerb Pflicht ist oder wir dort vielleicht noch überwintern? Das hat für mich nichts mit der Realität zu tun und das heißt dennoch nicht, dass wir nicht ambitioniert bleiben.
Es ist ja aber die Frage, ob man sagt, man möchte den Klassenerhalt schaffen oder wir wollen mit dem Abstiegskampf nichts zu tun haben. Das wäre von der Herangehensweise etwas forscher.
Das ist für mich immer noch das Gleiche. Da bedarf es einiger geruhsamerer Jahre, dass man ein Selbstverständnis und auch die Möglichkeiten dafür entwickelt, so zu denken. Aber wenn man sieht, wer alles hinter uns ist: Wolfsburg und Hertha BSC sind etwa zwei Vereine mit ganz anderen Möglichkeiten und bei Hertha ist es immer noch eng.
Adresse 1. FC Union ist auch für größere Namen interessant geworden
Sie verbessern aber trotzdem Ihre Möglichkeiten durch die Erfolge der vergangenen Jahre, weil mehr Etat möglich ist. Sie können bei Spielerkäufen in anderen Regalen denken, als noch in der Zweiten Bundesliga.
Wenn man europäisch spielen kann, wird man attraktiver für die Spieler. Aber vor allem haben wir eine Attraktivität aufgrund dessen, wie der Verein lebt. Aufgrund seiner Prinzipien und seiner Philosophie. Aufgrund dieses Stadions und unserer tollen Fans. Das darf man nicht außer Acht lassen. Natürlich kommt da sportlicher Erfolg hinzu, aber in erster Linie geht es um das Gesicht dieses Klubs. Das ist etwas, das für zukünftige Spieler etwas wert ist. In unserem ersten Jahr konnte sich niemand die Verpflichtung von Neven Subotic vorstellen – viele hätten Oliver Ruhnert für verrückt erklärt, ihn überhaupt zu fragen. Aber er hat gefragt und ein Spieler seines Renommees hat sich für uns entschieden. Christian Gentner ist ein gleiches Beispiel – der wollte eventuell seine Karriere beenden und hat sich für Union entschieden. Oder Max Kruse – ich glaube, und das hat nichts mit dem internationalen Erfolg zu tun, dass die Adresse 1. FC Union interessant ist.

Wie sehr hilft es bei der Verpflichtung von Spielern, dass sie sehen, wie sich etwa ein Nico Schlotterbeck beim 1. FC Union entwickelt hat und mittlerweile Nationalspieler geworden ist?
Das ist natürlich individuell und kommt auf jeden einzelnen Spieler an, warum er sich für einen Wechsel zum 1. FC Union entscheidet. Sicherlich zum einen, weil er die Aussicht auf mehr Spielzeit hat, aber auch, weil er einfach Bock hat. Ich glaube, all die neuen Spieler, die zu uns gestoßen sind, haben sich immer innerhalb von kürzester Zeit – da spreche ich jetzt von zehn Tagen, zwei Wochen – bei uns wohlgefühlt. Weil sie entsprechend aufgenommen wurden, weil man versucht hat, ihnen das Leben so leicht wie möglich zu machen, sich schnellstmöglich einzugewöhnen. Dazu sind bei uns die Wege sehr kurz. Also ja: Union hat viel zu bieten und es hat nicht nur mit dem sportlichen Erfolg zu tun.
Sie haben einige Spieler insoweit besser gemacht, dass etabliertere Vereine wie Hoffenheim, Leverkusen oder Frankfurt diese Spieler verpflichtet haben. Ist das Fluch und Segen zugleich, ein indirektes Lob für die Arbeit hier oder nervt es, jedes Jahr aufs Neue etwas aufbauen zu müssen?
Es ist schon ein Lob und es nervt, logisch. Auch in der neuen Spielzeit wird es wieder Veränderungen geben. Aber: Das ist eine neue Herausforderung, eine neue Challenge (lacht). Spieler wie Robert Andrich, Max Kruse oder Marvin Friedrich zu verlieren, ist hart. Dazu noch Christopher Lenz, Christian Gentner und Marcus Ingvartsen, der für uns wichtig war – da spricht man schnell von sechs, sieben Stammspielern, Achsenspielern, die wegfallen. Und da kommt noch Grischa Prömel für die neue Spielzeit dazu. Man verliert ein Gerüst, aber es ist eine Herausforderung für die neuen Spieler und die, die dableiben.
Man spricht ja aber auch von Abnutzung, wenn jemand so lange da ist als Trainer. Sie haben jedes Jahr eine halbe neue Mannschaft, da kann keine Abnutzung eintreten. Ist das ein positiver Nebeneffekt?
(lacht) Logisch, logisch. Wenn man den Trainer nicht wechselt, muss man die Mannschaft wechseln.
Eine neue Erfahrung war ja diesmal, nicht nur im Sommer ein Team neu aufbauen zu müssen, sondern dass mitten in der Serie zwei Korsettstangen wegfielen mit Marvin Friedrich und Max Kruse. Wie machen Sie so etwas?
Ein Rezept dafür gibt es nicht. Das habe ich nicht. Aber ich versuch’s. Es hilft, wenn man nach vorne schaut. Was gewesen ist, wirst du nicht mehr beeinflussen können. Entscheidend ist, was machst du ab jetzt. Ich habe der Mannschaft stets nahegelegt, dass bei uns jeder wichtig ist. So hat es die Mannschaft angenommen. Da hat jeder noch ein bisschen was draufgepackt und noch mehr investiert. Wir konnten es als Team auffangen. Und ja, wir hatten unsere Phase mit sieben Spielen und nur vier Punkten. Dann hatten wir gegen Köln das Erfolgserlebnis zur richtigen Zeit. Manchmal braucht’s auch ein bisschen Glück. Aber entscheidend war sicherlich, dass wir den Abgang von Marvin und Max akzeptiert haben und uns nie dahinter versteckt haben.
In schwieriger Phase hat der 1. FC Union einfach weitergemacht
Wie wichtig war, dass in diesen sieben Spielen nicht alles schlecht war oder beim Sieg gegen Köln nicht alles gut?
Das half sicherlich, weiter an sich zu glauben. Wir hatten ja beispielsweise eine Torflaute. Darauf wurdest du jede Woche angesprochen. Was kann man machen, gibt es ein Rezept? Was haben wir gemacht? Wir haben genau gleich weitergemacht. Vielleicht die eine oder andere Torabschlussübung mehr. Aber wir haben nicht die ganze Woche aufs Tor geschossen, man kann es dann eben auch übertreiben. Ich glaube, es gilt, solche Phasen auch zu akzeptieren und sie auszusitzen. Es wäre schön, wenn du für jegliche Situationen, wenn es nicht läuft, einen Knopf hättest, wo du draufdrücken könntest. Das macht es aber auch umso spezieller, umso schöner, solche Herausforderungen anzugehen.

Waren Sie bei den personellen Entscheidungen auch mal komplett anderer Meinung als Oliver Ruhnert und wie löst man diese Konflikte?
Hoffentlich gibt es Konflikte und hoffentlich ist man nicht immer gleicher Meinung. Denn am Schluss hilft es auch, dass man mal unterschiedlicher Meinung ist. Man fällt eine Entscheidung und wichtig ist, dass man dann dahintersteht. Eine Mannschaft auszuwechseln, ist unheimlich schwierig, wenn man sich nur nach den Bedürfnissen des Trainers richtet. Es kann ja sein, dass der Trainer sechs Monate später nicht mehr da ist und man dann Spieler hat, die der alte Trainer wollte, und ein Neuer kommt und es passt überhaupt nicht mehr. Dafür ist Oliver Ruhnert zuständig und verantwortlich. Und natürlich waren wir nicht immer einer Meinung, aber umso sicherer ist man dann in der Entscheidung, wenn man andere Meinungen zulässt. Am Schluss, wenn eine Entscheidung gefallen war, standen wir dahinter und das ist entscheidend. Das spürt man dann auch, weil man es entsprechend lebt.
Urs Fischer wird auch von Spielern um Rat gefragt
Reden eigentlich die Spieler, wenn sie den Verein verlassen und den nächsten Schritt machen wollen, mit Ihnen vorher über das Thema?
Das ist unterschiedlich. Meist reden sie mehr mit dem Manager. Die Spieler selbst werden ja auch betreut von ihren Beratern. Da diskutiert man auch, was könnte der nächste Schritt sein, was würde dir helfen. Aber logisch, ich wurde auch schon angesprochen. Dann gebe ich ihm eine ehrliche Antwort. Man muss die Antworten dann dementsprechend auch aushalten können.
Was sagen Sie denjenigen, die sagen, der 1. FC Union ist doch längst zu klein für Sie, bei welchem Angebot würden Sie schwach werden?
Das ist für mich nicht entscheidend. Zum Schluss muss ich mich wohlfühlen, muss ich Spaß haben. Das habe ich nicht fertig im Kopf oder einen Masterplan. Ich hatte nie auf dem Zettel, dass ich nach Thun gehen werde und dann zu Basel oder irgendwann zu Union. Ich will da, wo ich bin, bestmögliche Arbeit machen und da sind für mich natürlich jetzt die Arbeitsbedingungen ideal.
Und für Ihre Arbeit bekommen Sie viel Lob von den Kollegen. Wie nehmen Sie das an?
Natürlich erfüllt mich das auch mit Stolz und freut mich, logisch. Aber ich sage ja da auch immer, es ist nicht allein mein Verdienst. Ich brauche auch meine Leute um mich, um solche Komplimente zu bekommen. Denn am Schluss ist es ja auch immer eine Teamarbeit.
Europa wird in der kommenden Saison wieder die Herausforderung mit sich bringen, in der Liga nicht abzustürzen und die Dreifachbelastung aushalten zu können. Also gilt es, dieses Jahr zu bestätigen?



