1. FC Union Berlin

Verrückt nach Union: Ein Tag in Oslo mit dem Fanclub „Bamsegjengen“

Dieser Fanclub ist der erste offiziell eingetragene Union-Fanclub außerhalb von Deutschland. Und seine Mitglieder sind großartig, wie sich vor Ort zeigt.

Stammgäste im Bohemen Sportspub in Oslo: die Mitglieder des Bamsegjengen-Fanclub
Stammgäste im Bohemen Sportspub in Oslo: die Mitglieder des Bamsegjengen-FanclubMarkus Lotter

Es ist der Satz des Tages. Weil Andras Ruppert mit diesen acht Worten all das, was man beim Treffen mit den Mitgliedern des Union-Fanclubs Bamsegjengen zu sehen, zu hören und zu spüren bekommt, tatsächlich auf den Punkt bringt. „Wir gucken nicht nur Union, wir leben Union“, sagt der Vize-Präsident der in Oslo beheimateten Anhängergemeinschaft. Und an einem saukalten, aber äußerst vergnüglichen Sonnabend in der norwegischen Hauptstadt, insbesondere in der Bamsegjengen-Stammkneipe, wird dies offenbar.

Draußen, in der nahen Fußgängerzone und auf der prächtigen Karl-Johans-Straße, vergnügen sich die Menschen noch beim Einkauf oder Schaufensterstaunen, drinnen haben sich die nordischen Unioner im Bohemen Sportspub unter einem großen Bildschirm rund um einen ausladenden Tisch versammelt. Das Bier, das hier für norwegische Verhältnisse noch ziemlich günstig ist, fließt. Das Spiel, der Anlass für die Bamsegjengen-Zusammenkunft, läuft.

Es ist das erste Spiel des 1. FC Union Berlin nach der längsten Winterpause in der Geschichte der Bundesliga, in der Alten Försterei ist die TSG Hoffenheim zu Gast. Anpfiff: 15.30 Uhr. Ruppert und seine Gefährten sind schon seit zwei Stunden im Bohemen. Spieltag ist für sie Feiertag. Und das Bohemen ist ihre Base. Wobei ein jeder von ihnen nichts unversucht lässt, um möglichst oft im Stadion An der Alten Försterei, aber auch bei den Auswärtspartien der Eisernen live mit dabei zu sein.

Ein Versprechen an den Wirt

„Wir sind die lautesten hier“, sagt Ruppert. Wobei diese Eigenschaft dem einen oder anderen Stammgast zunächst durchaus missfallen hat, wer weiß, vielleicht auch noch immer missfällt. Das Bohemen, eine Fußballkneipe, so atmosphärisch wie eine gute Fußballkneipe es sein muss, ist nämlich zuvorderst ein Treffpunkt für die Anhänger von Vålerenga Oslo. Ein Pub, geführt von Fans für Fans. Aber auch ein Pub für die Freunde der Premier League, die sich an diesem Sonnabendnachmittag ebenfalls hier eingefunden haben. Eher still verfolgen sie auf anderen Bildschirmen das Geschehen bei Leicester vs. Brighton und Southampton vs. Aston Villa. Ein paar wenige gucken auf einem weiteren Screen Eishockey, norwegische erste Liga.

„Wir haben versprochen, dass wir uns benehmen“, sagt Ruppert, „und als sie uns hier dann akzeptiert hatten, haben wir den Wirt gefragt, ob er bei Union-Spielen den Fernseher nicht etwas lauter machen könnte, damit wir die Fangesänge mitbekommen und mitsingen können.“ Inzwischen verhält es sich so, dass der für Oslo doch eher exotische Fanclub seinen Stammplatz im Bohemen hat. Dass das Trikot von Julian Ryerson, zu dem sie natürlich eine besondere, ja persönliche Verbindung haben, einen Ehrenplatz hat. „Das ist die Evolution, die wir durchgemacht haben. Früher hatten wir den Katzentisch, bis der Wirt gesagt hat, dass wir uns auch hier breitmachen können. Zum einen, weil wir so leidenschaftlich mitgehen, zum anderen, weil wir doppelt so viel trinken wie die anderen“, so Ruppert.

Ehrenplatz im Bohemen Sportpub: das Trikot von Julian Ryerson
Ehrenplatz im Bohemen Sportpub: das Trikot von Julian RyersonMarkus Lotter

Das mit Ryerson ist natürlich ein Thema für sich, für Union, im Besonderen natürlich für diesen Fanclub, established in Norway. Es gibt Bilder von der Feier der Eisernen nach dem Einzug in den Europapokal, bei der Ryerson mit einem Bamsegjengen-Schal vom Balkon der Haupttribüne in die tobende Menge grüßt. Auch im Bohemen war der norwegische Nationalspieler, geboren in der südnorwegischen Kleinstadt Lyngdal, schon zu Gast. Papa Ryerson ebenfalls. Und für einen Moment dachte Ruppert, dass es in der Redaktion des Eisern Magazins nach dem Wechsel von Ryerson zu Borussia Dortmund kein Interesse mehr für ihre Geschichte gebe. Aber nein doch.

Gemeinsam skandieren sie: Eisern Union! Eisern Union!

Union gerät in der 43. Spielminute in Rückstand, das Entsetzen bei den Leuten von Bamsegjengen hält sich aber in Grenzen, sie skandieren im Chor: Eisern Union! Eisern Union! Sie tragen alle Rot und Weiß, einer hat den für Union so typischen Fischerhut auf dem Kopf. Ein anderer aus der Runde sagt: „Das biegen wir schon noch um.“ Ruppert bemerkt: „Wir identifizieren uns total mit unserem Klub. Wir sind keine Touristen-Nummer. Es gibt andere Union-Fangruppen außerhalb von Deutschland, wir sind aber die einzige Fangemeinschaft außerhalb von Deutschland, die auch Eingetragener Union Fan Club, also ein EUFC, ist.“ Im Stadion An der Alten Försterei ist Halbzeit, es steht 0:1, im Bohemen ist es Zeit für eine Vorstellungsrunde. Diese Unioner sind anwesend:

Vorneweg Rune Holtmoen (55), der „El Presidente“ genannt wird, weil er, dreimal raten, Präsident des Fanclubs ist. Er hat sich etwa vor zehn Jahren bei einem Kurztrip zunächst in Berlin, dann auch gleich in Union verliebt. „Wow. Das ist wirklich cool, das ist wirklich anders, dachte ich mir, als ich das erste Mal im Stadion war. Ich habe mich sofort heimisch gefühlt.“ Als gebürtiger Osloer hat er viel über seine Stadt und die Norweger zu erzählen, zum Beispiel das hier: „Wir sind Farmer. Wir sind es nicht gewohnt, in Städten zu leben.“ Aber auch das hier: „Es ist nicht so einfach, einen Norweger als Freund zu gewinnen. Die Liebe zum Fußball, zu Union verbindet uns.“

Eng ist es im Bohemen Sportspub – und laut, wenn Union spielt.
Eng ist es im Bohemen Sportspub – und laut, wenn Union spielt.Markus Lotter

Dann Kristian Eikre (45), der in Bergen Wirtschaft studiert hat und sich inzwischen bei einer norwegischen Investitionsgesellschaft um eines der größten Familienvermögen Norwegens kümmert. Er stammt aus Hemsedal, einem Dorf auf halbem Weg zwischen Oslo und Bergen. Wie er zu Union gekommen ist? Eikre erzählt: „Vor zehn Jahren hat mich Andras mit zu einem Union-Spiel genommen. Die Erwartungen waren, um ehrlich zu sein, nicht allzu hoch. Ein bisschen Fußball gucken, ein paar Bier trinken, okay. Aber nach diesem ersten Mal in der Alten Försterei war ich hin und weg, obwohl wir damals das Spiel gegen Paderborn verloren haben. Seither hat sich meine Leidenschaft für Union noch weiter gesteigert. Ich habe seit 2015 sogar eine Dauerkarte.“

Plätzchen mit Union-Logo drauf

Peter Lind (61), gebürtiger Schönebecker, seit den Achtzigerjahren Fan der Eisernen, zog es der Liebe wegen von Berlin nach Oslo, 1991 war das. „Sachen eingepackt, Hund eingepackt. Und dann ging es hierher.“ Er hat Plätzchen von zu Hause mitgebracht, typisch norwegische, aber mit einem Union-Logo drauf. Er hat viele Jahre lang als Psychotherapeut mit Kindern und Jugendlichen zusammengearbeitet, seit zwei Jahren ist er Jobberater beim Arbeitsamt in Oslo. Arbeitsplätze gibt es genug in Norwegen, aber nicht alle Norweger wollen arbeiten. Lind versucht, diese Menschen zu motivieren.

Er hat Kristian vor ein paar Jahren mal in der U-Bahn in Oslo angesprochen, weil Kristian wie er ein Trikot des 1. FC Union Berlin trug. „Hey, kommst du aus Deutschland?“, fragte Peter damals, schließlich bemerkten die beiden, dass sie in Oslo nur 400 Meter voneinander entfernt leben, also nicht nur Fans desselben Klubs, sondern auch Nachbarn sind. „Das hier macht immer einen großen Spaß“, sagt er nun. Und: „Viele verstehen das immer noch nicht, wenn wir in Union-Trikots durch Oslo laufen.“

Die aus Schweden stammende Aktionskünstlerin Matilda Höög (42), die mal in Berlin studiert und sich dort in Union verliebt hat, ist ebenfalls zugegen. So wie Anne Lyngnes (52), die seit 25 Jahren auf einer Ölplattform im Atlantik als Maschinenfahrerin arbeitet und an diesem Tag extra von Stavanger nach Oslo gekommen ist, um mit den anderen Bamsegjengen-Mitgliedern das Spiel zu gucken. Zudem Dr. Kåre Mensch (54), dessen Vorname ein wenig in die Irre führt, weil er in Berlin geboren ist. Seit August 2022 ist er in Oslo, unterrichtet an der Deutschen Schule Mathematik. Ruppert nennt ihn aus entsprechenden Gründen „unseren West-Berliner“.

Per-Ivar Johansen (51), Redakteur beim Männermagazin Vi Menn, zählt zur Runde, auch Børre Austmann (76), ein pensionierter Schlagerbarde. Außerdem der bei einem Internet-Provider beschäftigte Tore Torset (55), „unser Hipster“, wie Ruppert bemerkt. Schließlich auch Martin Hanseth (35), der als Innenrevisor bei der norwegischen Eisenbahn sein Geld verdient und seine Freundin Hilde (34) mitgebracht hat. Jan Heymans (52) ist da, der der Liebe wegen von Krefeld nach Oslo gezogen ist, mal Anhänger von Bayer Uerdingen war, aber schon längst zu Union konvertiert ist. Und natürlich nicht zu vergessen: der schon mehrmals zitierte Andras Ruppert. Er liefert auch konkrete Mitgliederzahlen: „Acht Deutsche, die in Norwegen leben, 17 Norweger, eine Schwedin und zwei Deutsche, die in Deutschland leben und ihre Freizeit in Norwegen verbringen.“ Und „unsere Community wächst und wächst und wächst“, sagt er mit einem Hinweis auf die Bamsegjengen-Facebook-Seite.

Während der Pandemie zur Improvisation gezwungen

Der 55-Jährige, studierter Volkswirt und als Strategieberater für die pharmazeutische Industrie ein weitreisender Mann, ist zusammen mit Rune Holtmoen die treibende Kraft im Fanclub. Union-Fan von Jugendbeinen an ist er, geboren wie Peter Lind bei Magdeburg, aufgewachsen in Berlin-Karlshorst. Auch er ist der Liebe wegen, also wegen der Liebe zu seiner norwegischen Frau, einer an der Humboldt-Universität promovierten Linguistin, nach Oslo gezogen, vor 20 Jahren. Eine Familie hat er gegründet (ein Sohn, zwölf Jahre alt) – und eben auch diesen Fanclub, den er als „sozialen Ankerpunkt“ in seinem Leben bezeichnet.

Kristian kommt bei diesem Stichwort sogleich auf die Corona-Pandemie zu sprechen. Über Monate hinweg waren in Oslo deshalb alle Kneipen geschlossen gewesen, sagt er und fährt fort: „Wir mussten also eine kleine Einheit schaffen, eine Art Fußball-Familie. Man konnte sich ja nur in Gruppen treffen, mal waren fünf Menschen erlaubt, dann zehn Menschen. Zumeist haben wir uns bei Peter getroffen. Wir waren da wirklich sehr kreativ. Und klar: Das hat uns noch mehr zusammengeschweißt.“

Gruppenbild mit Freunden vor dem Hauptmann in Köpenick
Gruppenbild mit Freunden vor dem Hauptmann in KöpenickBamsegjengen

Die Gründung des Fanclubs datiert allerdings vom 4. November 2017, steht also in keinem Zusammenhang mit der Pandemie. Was hat euch damals dazu bewogen?, lautet die Frage. Ruppert erinnert sich bei seiner Antwort auf diese Frage an ein Spiel in der Alten Försterei: „Das war vor ein paar Jahren, da habe ich auf der Gegengerade, Höhe Mittellinie, da wo wir mit unseren Leuten immer stehen, eine Diskussion mitbekommen, in der es um die ausländischen Fans ging, die den Union-Fans die Tickets wegnehmen. Ich habe mich nicht eingemischt, dachte mir aber: Wenn wir es nicht anders machen, werden wir weiterhin nicht als echte Fans, sondern als Fußball-Touristen aus Norwegen wahrgenommen, die sich über alle möglichen Kanäle Tickets erschleichen. Die nur da sind, weil Ryerson bei Union spielt und weiterziehen, wenn Ryerson weiterzieht. Wir wollten Teil des Ganzen sein, deshalb haben wir einen Fanclub gegründet. Wir wollten Teil von Union sein.“

Aber das ist, wenn man es ernst meint, gar nicht so einfach. Voraussetzung dafür ist die Erlangung des Status „Eingetragener Union Fan Club“. Und dafür braucht es eine Satzung, ein Präsidium, einen Kassenwart, eine Mindestanzahl von Mitgliedern, 15 sind es für einen offiziellen Eintrag ins „EUFC-Register“. Und noch einiges mehr. Schließlich wollte man aber nicht nur irgendein Fanclub, sondern auch ein offiziell registrierter EUFC sein. „Das war ein langwieriger Prozess“, sagt Ruppert. Samt zweijähriger Probezeit, samt allerlei Formularkram, bis im Dezember vergangenen Jahres vom 1. FC Union das Okay kam. „Man muss sichtbar sein. Das ist verständlich. Union will sehen, dass das nicht nur eine Laune ist“, so Ruppert, der mit seiner Frau zu Drittligazeiten einen Deal ausgehandelt hat: Zehn Reisen zu zehn Heim- und Auswärtsspielen des FCU dürfen es sein, jetzt in der Bundesliga auch einige mehr.

Nächste Woche geht es auf Reisen

Union dreht schließlich noch das Spiel gegen Hoffenheim. Danilho Doekhi trifft doppelt, Jamie Leweling spät zum 3:1. Die Frauen und Männer vom Bamsegjengen-Fanclub feiern. Noch eine Runde Bier. Und nächstes Wochenende geht es für sie auf Reisen. Destination: Berlin. Pflichttermin: Das Derby am Sonnabend gegen Hertha. „Viele von uns werden im Stadion sein“, sagt Ruppert, der zu guter Letzt bezüglich des Fanclub-Namens eine ziemlich gute Geschichte parat hat.

Nur nichts mit Wikinger sollte es sein, schon eher einen Bezug zu Berlin haben. Bamse, also Bärchen und damit auch Berliner Bärchen vielleicht, dazu Klubben für Klub, und schon haben wir es: Bamseklubben. So wollten sie sich nennen. Bis ein Bekannter sie darauf aufmerksam machte, dass bereits eine andere Interessensgruppe in Norwegen diesen Begriff für sich in Anspruch nehmen würde: nämlich die Lederschwulen. Deshalb lieber Bamsegjengen wie Bärchen-Gang.

Dieser Text ist zuerst im Eisern Magazin Nr. 7 erschienen, erhältlich im Aboshop der Berliner Zeitung (aboshop.berliner-zeitung.de), im Union-Zeughaus und natürlich am Kiosk.