Manchmal möchte man sich ankuscheln bei Robert Habeck. Jetzt zum Beispiel: Habeck steht einfach nur so da an seinem kleinen Rednerpult und fuchtelt mit den Händen. Ständig sind sie in Bewegung. Er legt sie zusammen und öffnet sie wieder. Handflächen nach oben, dann wieder nach unten. Wenn er die Knoten in der Weltgeschichte beschreibt, ringt er mit ihnen. Sind es Lösungen, die aufgezeigt werden können, führt er die Hände auseinander und weist uns den Weg. So sieht es zumindest aus.
Es sind zwei verschiedene Impulse, die man verspürt, wenn man in diesen Tagen den deutschen Wirtschafts- und Klimaschutzminister bei seinen Terminen begleitet, ihn betrachtet mit seinem Dreitagebart und hört, was er gerade zu sagen hat. Man möchte von ihm beschützt werden, wenn er klar die Schwierigkeiten der aktuellen Krisen benennt und nicht rumschwafelt. Wenn er seine Ideen für einen Ausweg skizziert, folgt man ihm gern durch diese Tür, auch, weil er nicht behauptet, dass es die einzige wäre, die man öffnen kann.
Habecks Zweifel sind auch unsere Zweifel
Die zweite Reaktion ist eine ganz entgegengesetzte. Wenn er seine Zerknirschung und seine Zweifel zeigt, möchte man ihn beschützen. Es ist ein bisschen so wie bei Kindern, die ihre Eltern in den Arm nehmen, wenn die ihr Schwanken benennen. Klingt kitschig, wir sind keine Kinder. Aber das Zweifeln des Ministers löst Reflexe aus. Habeck spricht über die Kehrseiten und Abgründe seiner Erwägungen. Und es sind ja schließlich auch unsere Zweifel, die er formuliert. Er – Habeck – muss aber die Entscheidungen treffen, nicht wir. Und das tut er auch – viel stärker, als es gemeinhin den Eindruck hat.
Es ist eine schwierige Woche. Für die Ukraine im Besonderen. Aber auch für uns andere. Am Montag ist die Welt dem Ruf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach Butscha gefolgt. Ganz bewusst stößt auch Selenskyj dort eine Tür auf, damit die Welt das Grauen in Augenschein nehmen mag, das mit allergrößter Wahrscheinlichkeit russische Soldaten dort angerichtet haben, auch wenn die Umstände noch nicht bis ins Letzte untersucht worden sind. Journalisten im Schlepptau spaziert Selenskyj durch eine verwüstete Zone. Die Schilderungen von vergewaltigten Frauen, gefolterten und gefesselten Menschen reichen aus, dass man Bilder vor Augen hat und den Blick nicht mehr abwenden kann. Das ist genau so gemeint. Man weiß das und es schmerzt trotzdem.
Wir bräuchten jetzt Trost und eine Idee, was zu tun wäre. Aber außer Habeck scheint keiner da zu sein. Der Kanzler Olaf Scholz schweigt. Wir spüren ihn nicht. Das war schon früher so, aber jetzt haben sich die Dinge zugespitzt. Man schaut also auf den Vizekanzler, denn der ist wenigstens präsent.
Am Montag steht Robert Habeck in Berlin an seinem Rednerpult und ringt die Hände. Er ist zu Gast im Bundesumweltministerium und erklärt gemeinsam mit seiner Partei- und Ministerkollegin Steffi Lemke, wie jetzt der Klimaschutz bei der Windkraft vorankommen soll. Vollkommen anderes Thema also. Oder auch nicht. Habeck kündigt erst mal weitere Sanktionen gegen Russland an. „Wir können noch deutlich weiter gehen“, sagt er. Um die russische Wirtschaft zu destabilisieren und zu schwächen. Auch bei Waffenlieferungen an die Ukraine sieht er weitere Möglichkeiten. Die Ausfuhr von Kriegsgerät sei „unbegrenzt“.
Robert Habeck zeigt plötzlich eine autoritäre Seite. Er droht. Das denkt man gar nicht von Habeck, dem Zerknirschten, dem Gefühligen. Und doch ist vieles von dem, was er jetzt beschließt, erklärt und einfädelt, autoritär. Er hat einen Plan. Sein ganzes Ministerium arbeitet zurzeit an der Energiewende, und das hat er im Januar auch schon so angekündigt. Wir haben nur nicht richtig hingehört. Die Energiebeschaffung für die Zwischenzeit kommt jetzt nur dazu. Nach den Gesetzesänderungen durch Habecks Osterpaket – dem Entfesseln der Erneuerbaren, wie Habeck den Bürokratieabbau nennt – werden wir ein Land erleben, das sich optisch völlig verändert.
Kriegsgerät ist ein anderes Beispiel. Im Nachhinein erfährt man, dass bereits in den ersten drei Monaten dieses Jahres so viele Waffen und andere Kriegsgerätschaften exportiert worden sind wie lange nicht. Habecks Ministerium genehmigte die Ausfuhr von Rüstungsgütern im Wert von fast drei Milliarden Euro. Im ganzen Jahr zuvor war es nicht mal eine. Das meiste ging dieses Jahr an die Niederlande. Aber auch die Ukraine ist bedacht worden – im Wert von 186 Millionen Euro.
Im Moment geht einfach alles über Habecks Tisch – Energiewende, Klimaschutz, Rüstung, Wirtschaftshilfen nach Corona, der Krieg und seine Folgen für die Wirtschaft und damit auch für die Bürger. Kriegswirtschaftsminister hat ihn der Spiegel genannt. Das stimmt aktuell, er bereitet die Wirtschaft vor auf das Gasembargo. Aber da ist noch mehr. Es geht ihm nicht nur um die Wirtschaft.
Unerbittlich eine Vision umsetzen
Es ist mehr eine Vision, die unerbittlich umgesetzt wird. Beim Klimaschutz wird der durchgreifende Stil gerade spürbar. Gesetze werden geändert im Wochenrhythmus. Vermieter zahlen für die Heizkosten ihrer Mieter, damit sie die Häuser sanieren. Erneuerbaren Energien wird überragendes öffentliches Interesse bescheinigt. Sie dienen der öffentlichen Sicherheit und gewinnen Vorrang vor anderen Interessen. Solarenergie? Ein Muss. Windkraft? Prinzipiell überall möglich, sogar in Landschaftsschutzgebieten.
Und trotzdem jubeln die meisten ihm zu. Das Wort „alternativlos“, bei Angela Merkel eine Methode, um Widerspruch im Keim zu ersticken, gewinnt bei Habeck Sinn, denn er erklärt und erklärt, bis vernünftige Menschen es einsehen. Es geht eben nicht anders.
Es ist die Woche, in der Habeck endlich zum klimagerechten Umbau der Republik zurückkehren will nach all den Problemen mit der deutschen Energiesicherheit. Es ist eine harte Woche auch schon ohne Butscha. Am Montag beseitigt er die Probleme, die den Windrädern im Naturschutz im Weg stehen. Am Dienstag sind die deutsche Flugsicherung und die Wetterstationen dran. Die zuständigen Minister Steffi Lemke, Naturschutz, und Volker Wissing, Verkehr, stehen ihm zur Seite – aber ein bisschen wie Statisten.
Am Mittwoch ist sein Osterpaket, mit dem er zahlreiche Gesetze durch den Bundestag bringen will, im Kabinett. Nun ist der Vorrang für alle Projekte der Erneuerbaren zementiert. Fehlt nur noch die Parlamentszustimmung, aber die wird auch noch kommen, glauben Beobachter.
Auch nach fünf Wochen Krieg in der Ukraine ist nicht absehbar, wie sich das ganz konkret in Deutschland niederschlagen wird. Nur dass alles viel teurer wird, das ist sicher. Die deutsche Energiefrage ist aber viel komplizierter, als man denkt. Tausende deutsche Unternehmen basteln gerade an Notfallplänen, wie sie ohne russisches Gas auskommen können. Habeck hat sie dazu aufgefordert, aber sie erwarten auch Schutz von ihm. Die Industrie steht ständig bei Habeck auf der Matte, um ihm ihre Systemrelevanz zu beweisen. BASF ohne Gas reißt Hunderte andere Firmen in den Tod. Die Wirtschaft geht energetisch gebremst wahrscheinlich langfristig in die Knie. Viele Tausend Menschen werden dann zu Hause sitzen.
Gemessen an der Post, die seit Jahresbeginn jeden einzelnen Tag aus seinem Ministerium die Redaktionen des Landes erreicht, ist Habecks Arbeitspensum gewaltig. Er erklärt das Klimageld, die KfW-Förderung und die Energieversorgung. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine und auch schon kurz zuvor ist er laufend unterwegs. Er reist in die USA, nach Norwegen, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate, um irgendwo und irgendwie Ersatz für russisches Öl, Kohle und vor allem Gas zu beschaffen. Plötzlich ist die deutsche Energieversorgung ein geostrategisches Problem und ein moralisches dazu. Mittlerweile hat er durch seine Beschaffungstouren die russischen Gaslieferungen von 55 Prozent immerhin auf 40 drücken können.
Es gibt kaum Widerspruch und das liegt zum einen an einer Art Panikstarre, mit der alle auf das Geschehen blicken, und zum anderen keine Lösung zu wissen. Wie froh sind wir dann, dass da wenigstens Habeck ist. Denn er macht einfach und erklärt anschließend, warum das nötig ist und wie ihm etwas gelungen ist. Was er als Nächstes macht, sagt er nicht.
Seine Methoden, das Volk zu erreichen, sind durchaus vielfältig. Vor sommerlicher Kulisse steht er zum Beispiel in Katar vor einem Wasserbecken, im weißen Hemd, die Ärmel hochgeschoben, und erzählt, warum wir jetzt von einem Regime, das, freundlich formuliert, es nicht so hat mit Menschenrechten, Flüssiggas und später Wasserstoff kaufen müssen. Seine Mitarbeiter filmen und posten das Video später auf Twitter. Das kommt an. Eine halbe Million Menschen haben es bereits nach einem Tag angesehen. Nicht alle sind einverstanden mit Habecks Verbeugung vor homophoben totalitären Staaten mit Menschenrechtsproblemen und neuen Abhängigkeiten. Aber weil niemand bessere Ideen hat, ist es dann eben so.
Habeck spricht und erklärt – ständig
Und Habeck hört ja nicht auf mit dem Erklären. Er spricht ständig. Habeck ist im „heute-journal“ und in den „Tagesthemen“, bei Anne Will und RTL. Habeck ist omnipräsent. Schon in den vergangenen Wochen war das so, als das Gasembargo immer näher rückte. Habeck erklärt dann sein Notfallszenario. In dieser Woche, die so besonders ruppig begonnen hat, verdichtet sich der Takt. Mühelos scheint Habeck dabei die Rollen zu wechseln.
Am Montag, nachdem er morgens als Klimaschutzminister die Windräder über den Naturschutz gestellt hat, tritt er abends als Wirtschaftsminister mit einer Quasi-Verstaatlichung einer russisch gesteuerten Firma auf, die dummerweise Zugriff auf unsere Energieversorgung hat. Ein Fehler der Vorgängerregierungen. Habeck wird nicht müde, das zu wiederholen – ohne zu triumphieren allerdings.
So eben habe er eine Anordnung unterzeichnet, teilt er kühl mit, und der deutschen Gazprom-Tochter einen Vormund verpasst. Weil das Unternehmen, das unter anderem zahlreiche deutsche Gasspeicher betreibt, plötzlich an eine Firma mit Sitz in Petersburg verkauft werden sollte, hat er eine seiner Behörden, die Bundesnetzagentur als Treuhänderin eingesetzt. Gazprom kann nun nichts mehr allein entscheiden. Über sämtliche Vermögenswerte bestimmt nun der deutsche Staat. Es ist eine Cowboy-Aktion, wie beim Wild-West-Duell im Film-Western. Habeck gewinnt.
Morgens Windräder, abends Gazprom verstaatlichen. Das klingt alles unheimlich. Wie macht er das? Wie fühlt er sich? Er ist 52 Jahre alt, hat ja auch Familie, vier im Grunde erwachsene Kinder. Wenn man ihn fragt, schweigt er. Er zeigt schon genug von sich, findet er.
Und das stimmt vielleicht auch. Das Volk bekommt ja viel Habeck zu sehen. Wir sehen ihn unsicher, wenn er über Gazprom spricht. Er hat nicht viel Zeit. Drei Fragen, drei Antworten. Brille auf, Brille ab, Brille wieder auf steht er da und liest ab, was die Experten und Juristen seines Hauses ihm aufgeschrieben haben. Souverän ist er, wenn er zwei Tage später in der Bundespressekonferenz erklärt, was er im Osterpaket verpackt hat. Länder wie Bayern, die die Windkraft mit enormen Abstandsregeln behindern, wird er auch noch entmachten. „Kommt noch“, sagt er – im Sommerpaket.
Habeck ist auch deshalb so interessant, weil Scholz fehlt. Mittlerweile ist der Unterschied deutlicher geworden. Scholz, der Deutschland die Zeitenwende verkündet hat, ist nicht da. Nur wenige Auftritte, kaum Versuche zu erklären. Dabei ist die Lage wirklich kritisch. Scholz schweigt oder sitzt bei seinen wenigen Talkshow-Auftritten da mit versteinertem Gesicht.



