Wird Russland verlieren?

Ukrainische Gegenoffensive: Bewunderung bei Bundeswehrführung

Deutscher Panzergeneral vergleicht Rückeroberung mit Angriffsoperation der alliierten Kräfte zu Beginn des Golfkrieges 1990/91. Die ukrainische Armee ist den Russen an vielen Fronten operativ überlegen.

Ein Plakat im Westen der ukrainischen Stadt Lwiw 
Ein Plakat im Westen der ukrainischen Stadt Lwiw AFP/Yury Dyachyshyn

Vor wenigen Tagen hat der Generalinspekteur der Bundeswehr Eberhart Zorn ein gedämpftes Lagebild zur ukrainischen Offensive gezeichnet. Im Focus-Interview lobt Eberhard Zorn die ukrainische Armee und gibt zu, dass er vor wenigen Monaten nicht daran geglaubt hätte, dass die Ukrainer solche Erfolge für sich verzeichnen könnten. Dennoch ist er der Auffassung, dass die Ukraine die russische Armee nicht auf breiter Front zurückdrängen werden kann. Diese Äußerung verärgerte die alliierten Nato-Partner und bestärkte viele, die der Meinung sind, dass die russische Armee in der Ukraine nicht zu besiegen ist und dass deutsche Waffenlieferungen eingestellt werden müssen.

Die Einschätzung vom obersten deutschen Militärführer der Bundeswehr wird innerhalb der Bundeswehrführung aber nicht einheitlich geteilt. In einem YouTube-Video der Bundeswehr wird Brigadegeneral Christian Freuding zur Gegenoffensive der Ukraine in der Region Charkiw befragt. Er ist Leiter des Lagezentrums Ukraine im Bundesministerium der Verteidigung und sieht die Schlagkraft der ukrainischen Verteidiger gegenüber den Russen optimistischer.

Christian Freuding war kürzlich selbst für einige Tage in Kiew. Im Interview mit dem Bundeswehrmedium Andernach lobt er die „unglaublichen Erfolge“ der ukrainischen Streitkräfte. „Es ist eine euphorische Stimmung in der Bevölkerung und in den Streitkräften. Was da erreicht wurde, darauf können die ukrainischen Streitkräfte mit Recht stolz sein.“

Zur Frage, wie die Ukrainer so schnelle und große Erfolge vorweisen konnten, antwortete der Bundeswehrgeneral: „Überraschung ist das Kernelement für Erfolg im Gefecht. Den Ukrainern ist auf operativer Ebene ein Täuschungsmanöver gelungen, da kann man nur sagen: à la bonne heure.“ Er vergleicht die ukrainische Offensive mit der Angriffsoperation der alliierten Kräfte zu Beginn des Golfkrieges 1990/91.

Die grünen Pfeile zeigen die Bewegung der ukrainischen Streitkräfte. Die rote Markierung mit WP zeigt die Fluchtbewegung der russischen Armee. Die helle Fläche ist das zurückgewonnene Gebiet. Rot ist das von den Russen besetzte ukrainische Staatsgebiet markiert. 
Die grünen Pfeile zeigen die Bewegung der ukrainischen Streitkräfte. Die rote Markierung mit WP zeigt die Fluchtbewegung der russischen Armee. Die helle Fläche ist das zurückgewonnene Gebiet. Rot ist das von den Russen besetzte ukrainische Staatsgebiet markiert. Bildausschnitt: YouTube-Video Bundeswehr

Die Russen sind in vielen Punkten unterlegen

Generalinspekteur Eberhard Zorn hat im Focus-Interview die Kraft für eine Gegenoffensive und die Überlegenheit der ukrainischen Armee angezweifelt und gesagt: „Sie bräuchten eine Überlegenheit von mindestens 3:1.“ Die ist nach Zorns Meinung nicht gegeben. Im YouTube-Video kommt der Leiter Lagezentrum Ukraine aber zu einer ganz anderen Erkenntnis: Nach einer detaillierten Ausführung zur ukrainischen Offensive in der Region Charkiw zeigt der Brigadegeneral auf, dass durch die hervorragende Taktik die ukrainische Armee eine Überlegenheit von 4:1 hatte.

Diese Überlegenheit der ukrainischen Streitkräfte begründet Brigadegeneral Freuding damit, dass die Ukrainer den „Einbruch zu einem Durchbruch“ ausbauen konnten. „Wenn man im Nachhinein drauf guckt, dann muss man sagen, dass die ewigen Gesetze der Landkriegsführung vorbildlich angewandt wurden.“ Für Freuding war dies ein Einsatz wie aus dem Lehrbuch.

Zweifel gibt es auch an der Darstellung der russischen Führung. Hier spricht Freuding von einer „Fluchtbewegung“ der russischen Truppen. „Wir sehen Essen auf den Tischen. Wir sehen Waffen, die zurückgelassen wurden. Wir sehen Großgerät, was zurückgelassen wurde.“ Waffensysteme, die nun von der ukrainischen Armee genutzt werden können.

Der Brigadegeneral zitiert im Interview einen Nato-Verteidigungsminister: „Dies ist die größte Schenkung der Russen, die die ukrainischen Streitkräfte bekommen haben.“ Eine Schenkung, die den Umfang einer Brigadengröße hat.

Westliche Waffen sind entscheidend für den Erfolg der Ukrainer

Eine große Rolle für den Erfolg spielen dabei auch die deutschen Waffen. „Ganz generell kann man schon sagen, dass die westlichen Waffensysteme einen entscheidenden Anteil auch in dieser Offensive haben.“ Der deutsche Brigadegeneral betont, dass die unglaublich große Motivation der Soldaten zum Erfolg beiträgt. Mit einem Wink zu westlichen Waffenlieferungen betont Freuding: „Die Ukraine kann solche Erfolge erzielen, wenn sie gut ausgestattet ist – was sie jetzt ist.“

Es muss die Frage gestellt werden, ob die ukrainischen Verteidigungserfolge früher hätten eintreten können, wenn der deutsche Kanzler bei den Waffenlieferungen nicht gezögert hätte. Und hätte dies wohlmöglich Leben geredet? Nach den Rückeroberungen der Region um Charkiw und Isjum sieht die Welt erneut Bilder des Todes und des Grauens mit Hunderten von zivilen Opfern.

Mit dem ukrainischen Achtungserfolg gibt es für die russische Angriffsstrategie neue Schwierigkeiten. So kann das russische Heer nur noch frontal und nach Süden operieren, wohingegen die ukrainische Armee die Möglichkeit hat, breiter und vielfältiger gegen den russischen Besatzer vorzugehen.

Hier ist das Eisenbahnnetz sehr entscheidend. Mit der Rückeroberung des wichtigen Eisenbahnknotens in Kupyansk hat die Ukraine einen weiteren strategischen Vorteil. Anders als das westliche Militärmaterial ist das russische Kriegsmaterial von Schienentransporten abhängig.

Auch bei der Luftabwehr hat die Ukraine eine operative Überlegenheit: Da zu Beginn des Angriffskrieges die russische Militärführung es nicht geschafft hat, die ukrainische Luftwaffe zu zerstören, hat Russland die weitere Nutzung der eigenen Luftwaffe zurückgefahren. Durch die internationale Hilfe konnten die ukrainischen MIGs mit westlichen Waffen aufgerüstet werden. Diese sind im Kampf präziser als die Waffensysteme der russischen MIGs. Gleichzeitig hat die russische Armeeführung es versäumt, die russische Luftwaffe mit der Frontlinie zu verlegen. Dadurch müssen ihre Kampfflugzeuge von russischen Heimatbasen starten, was eine Verlängerung der Flugzeit bedeutet und die Durchhaltemöglichkeit in der Kampfhandlung verringert. Kurz gesagt: Der Sprit ist fast alle, wenn russische MIGs  das Kampfgebiet erreicht haben.

„Die russische Seite muss sich konsolidieren. Das ist eine unglaublich schwierige Situation – psychologisch, organisatorisch. Es wird schwierig, eine neue Verteidigungslinie festzulegen und zu stabilisieren“, sagte Freuding. Er sieht selbst das russische Minimalziel, den Donbass zu halten, mittlerweile mit Skepsis.

Deutsche Waffenlieferungen: Der Brückenpanzer Biber kommt zum Einsatz

Auch zu den deutschen Waffenlieferungen äußert sich der deutsche General: „Nicht jeder Austausch zwischen Deutschland und der Ukraine zu Waffenlieferungen wird über die Medien laufen“, sagt er. „Was man sagen kann, ist, dass in den nächsten Wochen die ersten Brückenlegepanzer Biber an die ukrainischen Streitkräfte ausgeliefert werden.“ Aktuell werden die ukrainischen Soldaten daran ausgebildet. Freuding betont, dass man die Verfügbarkeit deutscher Waffen mit der eigenen Ausbildungsfähigkeit und der Einsatzbereitschaft bemessen muss.

Der Brückenpanzer Biber soll da eingesetzt werden, wo durch die russische Armee Brücken zerstört wurden.
Der Brückenpanzer Biber soll da eingesetzt werden, wo durch die russische Armee Brücken zerstört wurden.IMAGO/Sven Eckelkamp

Neben Biber und Mars liefert die Bundeswehr in den nächsten Wochen weitere Waffensysteme und Munition an die Ukraine. Gleichzeitig müssen auch Ersatzteile für Wartungsarbeiten der im Einsatz befindlichen Panzerhaubitzen geliefert werden. Durch den Ringtausch mit Deutschland erhalten die ukrainischen Streitkräfte 40 Schützenpanzer aus dem Bestand Griechenlands.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), machte vergangene Woche noch einmal klar, dass „die Erfolge der Ukraine nur untermauert werden können, wenn sie jetzt die Waffen haben, die sie brauchen, und dazu gehört auch ein Kampfpanzer“.

In den Augen vieler Militärexperten kann Putin nur mit einer Generalmobilmachung das Blatt für sich wenden. Dies hat aber innenpolitische Explosionskraft: Bei einer Generalmobilmachung besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, dass Präsident Putin den Rückhalt in der Bevölkerung und in der Politik verlieren wird. Vermutet wird, dass es zu einer massenweisen Fahnenflucht kommen und Russland am Ende einen ähnlich desaströsen Ausgang erleben wird wie 1989 in Afghanistan.