Koalitionspoker nach der Bundestagswahl

Selfies der Königsmacher, SPD auf Kuschelkurs und eine abgetauchte Union

Der Koalitionspoker geht weiter: Die SPD will netter zu Grünen und FDP sein. Doch beide Parteien wollen auch mit der Union sprechen. Die taumelt weiter.

Loten Brücken über Trennendes aus: FDP-Generalsekretär Volker Wissing, Grünen-Chefin Annalena Baerbock, FDP-Chef Christian Lindner und Robert Habeck, ebenfalls Parteichef der Grünen (v.l.). Das Selfie aus der Nacht.
Loten Brücken über Trennendes aus: FDP-Generalsekretär Volker Wissing, Grünen-Chefin Annalena Baerbock, FDP-Chef Christian Lindner und Robert Habeck, ebenfalls Parteichef der Grünen (v.l.). Das Selfie aus der Nacht.AFP/Volker Wissing

Berlin-Das Selfie der Zuversicht ploppte in der Nacht zu Mittwoch auf den Mobiltelefonen der Nation auf. Vier bekannte Gesichter lächeln auf dem Social-Media-Kanal Instagram in die Welt. Volker Wissing und Robert Habeck außen, Annalena Baerbock und Christian Lindner in ihrer Mitte. Dem Foto folgen die Zeilen: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten“. Auf diese Weise teilen FDP und Grüne zeitgleich und mit denselben Worten auf vier Kanälen mit, dass sie sich aneinander annähern. Alles weitere bleibt erst mal bis weit in den Mittwoch hinein rätselhaft.

Es ist schon ein ungewöhnliches Schauspiel, was da zurzeit zu beobachten ist. Die vier Spitzenleute der höchst wahrscheinlich neuen Regierungsparteien FDP und Grüne haben sich getroffen. Das sagt dieses Foto aus. Und sonst: Nichts! Weder weiß man, worüber sie genau gesprochen haben, noch, was dabei herausgekommen ist. Ob es Streitpunkte gibt, Differenzen, Vorschläge, wie sie zu überwinden wären. Denn auch am Tag danach, gibt es parteiseits keinerlei Informationen dazu.

Gespräche am Freitag, Samstag und Sonntag

Die Geheimniskrämerei geht einfach weiter. Am frühen Mittwochnachmittag trat zwar FDP-Generalsekretär Volker Wissing vor die Presse. Er wollte aber weder über den Inhalt des Gesprächs am vorangegangenen Abend, noch über Ort und Dauer etwas sagen. Es sei Vertraulichkeit vereinbart. Wissing teilte außerdem mit, dass die FDP ein weiteres Gespräch mit den Grünen für Freitag vereinbart habe, eine Einladung der Union für Sonnabend und eine der SPD am Sonntag sei angenommen worden. Die Grünen sprechen ebenfalls am Sonntag mit der SPD. Für ein Gespräch mit der Union gibt es keinen Termin. Sie schicken ein zehnköpfiges Team in Sondierungsgespräche. Über Inhalte: weiterhin nichts.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sprach sich unterdessen am Mittwoch erneut für eine Ampel-Koalition von SPD, FDP und Grünen aus. Es gebe viele Gemeinsamkeiten, bekräftigte er. Scholz möchte verhindern, dass die Grünen und FDP sich vielleicht doch für Jamaika-Runden mit der Union entscheiden. „Armin Laschet macht in seiner Situation alle Zugeständnisse an die zwei Parteien, nur um doch noch Kanzler der Union zu werden“, sagt ein Genosse.

Angeblich soll Scholz daher auch die Widersacher in der eigenen Partei zurückgepfiffen haben, die in der vergangenen Zeit vermehrt gegen Grüne und FDP gegiftet hatten. Dazu zählen die Linken Kevin Kühnert sowie die Parteichefs Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken, die seit der Wahl Richtung FDP und Grüne sticheln. Vor allem bei den Liberalen wird das als Zumutung empfunden. Werben sieht für sie anders aus. 

Dass es bislang nicht gerade nach einer SPD-FDP-Liebesheirat aussieht, zeigte sich bereits am Dienstagabend, als bei Markus Lanz SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil und Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP saßen. Die Politikerin nannte den SPD-Mann Kevin Kühnert, der FDP-Chef Christian Lindner im Wahlkampf als „Luftikus“ bezeichnet hatte, als „nicht die hellste Kerze auf der sozialdemokratischen Torte“. Und Klingbeil beschwerte sich, dass FDP-Politiker Wolfgang Kubicki Karl Lauterbach als „Spacko“ bezeichnet hatte. Doch mit den Nach-Wahlkampfs-Wehen soll wohl nun Schluss sein – denn, so heißt es in der SPD, man wolle vernünftig verhandeln.

Die SPD bestätigte am Mittwoch wie erwartet ihren Fraktionschef Rolf Mützenich. Der sprach diesmal sehr gemäßigt in Richtung der „zwei kleinen Parteien“. Er hoffe auf Vernunft und konstruktive Gespräche. Mit Blick auf die Selfies reagierte er recht beleidigt: „Deutschland braucht keine Fotos, sondern eine Regierung.“   

Durchhalteparolen bei der Union

Bei der Union hat sich der Vorsitzende der Jungen Union, Tilman Kuban, am Mittwoch zu Wort gemeldet und die Erneuerung der Partei gefordert. Bei der Union dürfe kein Stein auf dem anderen bleiben, sagte er dem RND. In der Fraktionssitzung von Dienstag hatte er Kritik vermieden. Dort sprachen offenbar hauptsächlich Frauen die Misere der Partei offen an. Die scheidende Abgeordnete Sylvia Pantel übte scharfe Kritik am Wahlkampf. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gitta Connemann fragte mehrfach danach, wer nun Verantwortung übernehme. Eine Antwort bekam sie offenbar nicht. Viele Teilnehmer hätten nicht gewagt, etwas zu sagen, zumal die anwesenden Bundesminister Durchhalteparolen ausgegeben hätten, hieß es. „Wir haben gerade keine gute Debattenkultur“, sagte ein Teilnehmer der Berliner Zeitung.