Drohende Haft gegen einen Partner muss die Geschäftsaussichten nicht trüben. Der Haftbefehl des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin hat den Staatschef des volksreichsten Landes der Welt wenig beeindruckt.
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping bekannte sich zu Beginn seines Besuches in Moskau in einem Gastbeitrag in der russischen Regierungszeitung Rossiskaja gaseta zur „ewigen Freundschaft“ mit Russland und zur „für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit“. Russlands Pariastatus in der westlichen Welt ist gut für die Auftragsbücher Chinas, dem Land, das von der KP geführt wird. Xi erwähnte in seinem Artikel in dem Kreml-Blatt, der Warenaustausch beider Länder habe 2022 eine „Rekordhöhe“ von 190 Milliarden US-Dollar erreicht.
Autowaren in China
Der Blick auf die Statistik zeigt, dass der russisch-chinesische Handel damit gegenüber dem Vorjahr um 29 Prozent zugenommen hat, Tendenz steigend. Russland verkauft nach China neben Energieträgern vor allem Lebensmittel, etwa Getreide und Mehl.
Die Chinesen haben im Jahr 2022 dreimal mehr Stahl und Stahlprodukte aus Russland importiert als im Vorjahr, insgesamt 2,3 Millionen Tonnen im Wert von 1,34 Milliarden US- Dollar. Dieser Anstieg ist eine Reaktion auf das Embargo der EU gegen Stahlimporte aus Russland. China wiederum versorgt die Russen seit Beginn der westlichen Sanktionen mit Smartphones, Laptops, Haushaltsgeräten, Computerchips und Autos. Chinesische Pkw wie Havel, Chery und Geely haben ihren Marktanteil in Russland innerhalb eines Jahrs von 10 Prozent auf 38 Prozent steigen können.
Chinesische Anteile am Öl-Chemieunternehmen Sibur
Auf dem russischen Automarkt setzen die Chinesen auf Expansion. Der Autobauer Great Wall Motor aus der Provinz Heben im Nordosten Chinas betreibt im Gebiet Tula südlich von Moskau ein großes Werk im Wert von 500 Millionen US-Dollar. In der Industriestadt, ansonsten vor allem durch die Produktion von Waffen bekannt, rollen seit Mai 2019 Geländewagen der Marke Haval vom Band. Der russische gehobene Mittelstand setzt zunehmend auf Fahrzeuge aus dem Reich der Mitte.
Insgesamt wuchsen die chinesischen Investitionen in Russland im vergangenen Jahr um ein Drittel auf 200 Millionen US-Dollar. Erheblichen Anteil haben Investoren aus China auch am größten russischen Investitionsprojekt der letzten fünf Jahre, dem Gasversorgungsbetrieb Jamal LNG auf der Halbinsel Jamal nördlich des Polarkreises. Dort sollen jährlich 16,5 Millionen Tonnen Flüssiggas hergestellt werden.
An dem Werk hält die staatliche China National Petroleum Corporation (CNPC) 20 Prozent der Anteile, weitere 9,9 Prozent besitzt der ebenfalls staatliche chinesische Silk Road Fund. Diesen Investitionsfond hat Xi selbst initiiert. Den Fond leitet einer seiner Vertrauten, der frühere Vize der chinesischen Nationalbank. Chinesische Investoren halten auch Anteile von 20 Prozent an dem größten Öl-Chemieunternehmen Sibur und an einem Tochterunternehmen des russischen Ölkonzerns Rosneft in Sibirien.
Potenzial für chinesische Investoren
Der bislang größte Business-Park mit chinesischen Teilnehmern, Greenwood, befindet sich am Nordwestrand Moskaus. Der Bürogebäudekomplex Greenwood hat 23.000 Quadratmeter Büroraum. Er ist das Zentrum der Gesсhäftswelt Chinas in Russland. Dort bewegen sich zahlreiche chinesische Geschäftsleute und Manager, darunter viele junge Leute unter 40 zwischen sechsgeschossigen Bürohochhäusern auf einem Gelände von 20 Hektar.
Sie helfen dabei, die 13 Millionen Einwohner zählende Dienstleistungsmetropole Moskau mit den asiatischen Märkten zu verbinden. In den Gebäudekomplexen herrscht zwischen Konferenzsälen und Verhandlungsräumen, Restaurants und Cafés reges Treiben. Das Spektrum der dort tätigen chinesischen Unternehmen reicht von der staatlichen Fluglinie Air China über den Baukonzern China State Construction bis zur Computerfirma Lenovo.
Die Voraussage von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock von Ende Februar 2022, man werde durch Sanktionen „Russland ruinieren“, scheint sich hier nicht zu erfüllen. Der Businesspark Greenwood ist ein Stabsquartier von Sanktionsgewinnern.
Auch im Stadtzentrum Moskaus, an der Straße Wosdwischenka, in bester Lage, haben sich chinesische Investoren etabliert. Sie übernahmen das am Ende der Zaren-Ära errichtete spätere große Militärkaufhaus Woentorg, als Developer. Auch für den anhaltenden Bauboom in der russischen Hauptstadt haben chinesische Investoren nach dem Abzug der westlichen Konkurrenz viel Potenzial. Sie genießen das Wohlwollen der Stadtregierung und den Segen des Kremls.
Beide Staatsführungen wenden sich gegen „bunte Revolutionen“
Bereits bei einer Videokonferenz mit dem chinesischen Staatschef am 30. Dezember hatte Putin das „Rekord-Wachstumstempo beim gegenseitigen Warenaustausch“ gerühmt. Xi hatte dabei bekannt, was ihm bei den Wirtschaftsbeziehungen mit Russland das Wichtigste ist: „Das Zusammenwirken im Bereich der Energie ist für uns ein Grundstein.“ Doch er fügte auch hinzu: „Es kräftigen sich die gesellschaftlichen Grundlagen unserer Freundschaft.“
Die dezente Formulierung von Xi spiegelt die Erkenntnis, dass Russlands Abwendung vom liberalen Westen strategischen Charakter trägt. Und dass hier zwei autoritär geführte Staaten ein Gegenmodell zu den westlichen Demokratien formieren. Putin fasste diese Sicht bei der Begrüßung in Xi in die Worte, die Chinesen hätten „ein sehr effektives System der Entwicklung der Wirtschaft und der Stärkung des Staats geschaffen“.
Damit setzt sich fort, was die Führungen Chinas und Russland am 4. Februar 2022 in einer „gemeinsamen Erklärung“ proklamiert hat. Darin heißt es, dass die beiden Staaten „in eine neue Epoche eintreten“. Beide Staatsführungen wenden sich darin gegen „bunte Revolutionen“, wie etwa 2014 auf dem Maidan in Kiew beim Sturz des Präsidenten Wiktor Janukowytsch.
Die gemeinsame Deklaration enthält auch den Satz: „Die Freundschaft zwischen den beiden Staaten kennt keine Grenzen“. Es gebe dabei „keine verbotenen Zonen“ – eine Anspielung auf eine militärische Kooperation, knapp drei Wochen vor dem Beginn des groß angelegten Angriffs Russlands auf die Ukraine. Unklar ist, ob China bereit ist, Russland Waffen zu liefern. Zumindest aber ist es entschlossen, die russische Wirtschaft und damit auch die Stabilität des Systems zu stützen.
Kulturelle Nähe zu Russland
Xi Jinping hatte schon früh darauf gesetzt, eine Achse zwischen Beijing und Moskau zu schmieden. Bereits bei seinem ersten Staatsbesuch in Moskau 2013 hatte der chinesische KP-Chef in einer Vorlesung an der Diplomatenhochschule MGIMO (Moskauer Staatliche Institut für Internationale Beziehungen, Anm. d. Red.) davon gesprochen, das „strategische Zusammenwirken“ Chinas mit Russland habe eine „langfristige Perspektive“.
In Interviews hatte Xi mehrfach deutlich gesagt, dass er nicht nur eine geopolitische Nähe, sondern auch eine kulturelle Nähe zu Russland empfindet. Der chinesische Staatsführer sprach davon, wie sehr er russische klassische Literatur schätzt, von Iwan Turgenjew und Nikolai Gogol bis zu Anton Tschechow und Fjodor Dostojewski.
Chinas strategische Kalkulationen
Die wirtschaftlichen Beziehungen mit Russland sind im Verständnis des chinesischen Staatschefs eingebettet in eine geopolitische Strategie. China ist nicht daran interessiert, dass Russland den Krieg in der Ukraine verliert. Denn in diesem Fall, so sehen es Analytiker im Umfeld der chinesischen Führung, gewännen die USA als größter geopolitischer Konkurrent Chinas international an Gewicht.
Auch wäre eine Instabilität oder ein Zerbrechen Russlands in rivalisierende, von Warlords geführte Quasi-Staaten für China ein großes Sicherheitsrisiko. Denn beide Länder verbindet eine 4300 Kilometer lange Grenze. Daher will China Russland dazu bewegen, den Krieg in der Ukraine zu beenden, ohne dass dies in Russland als Niederlage wahrgenommen werden müsste – eine Aufgabe, die kurzfristig aber kaum umsetzbar erscheint.
Eine Studie des amerikanischen Wilson-Center über „Chinas strategische Kalkulationen“ im Krieg zwischen Russland und der Ukraine analysiert, die chinesische Position bestehe in einem „vorsichtigen Balance-Akt“. China sei „nicht interessiert an einem langfristigen, hoch intensiven Konflikt“ in der Ukraine. Zugleich aber wolle Beijing „nicht Russlands totale Niederlage“. Denn diese könne zur „Errichtung eines pro-westlichen demokratischen Regimes in Moskau“ führen. Dies aber sei für China ein „Worst-Case -Szenario“.
In Moskau ist viel Chinesisch zu hören
Xi bestätigte diese Analyse bei seinem Auftritt mit Putin in Moskau. Da bescheinigte er dem russischen Präsidenten, dank dessen „starker Führung“ habe Russland „in den letzten Jahren bedeutende Erfolge erreicht“, beim „Erblühen des Landes“. Zu dieser chinesischen Sicht auf Russland passt auch, dass Xi sich auch für die Ausweitung des beiderseitigen Tourismus aussprach.
Seit dem Ende der Covid-Beschränkungen in der Volksrepublik besuchen wieder zahlreiche Chinesen das nördliche Nachbarland. Vor der Covid-Pandemie war der chinesische Besucherstrom in Russland 2018 auf 803.600 Touristen angewachsen. Im sibirischen Irkutsk und am Baikal-See waren chinesische Reisende gegenüber Europäern deutlich in der Überzahl. Hotels boten kostenlos Stadtpläne auf Chinesisch an.
In Moskau sind es vor allem klassische Ziele, die Chinesen anziehen: das Lenin-Mausoleum am Roten Platz, das zu Stalins Zeiten errichtete Gebäude der Moskauer Staatlichen Universität, die Metro und der Zirkus am Zwetnoi Boulevard. Ihre Rechnungen zahlen die Chinesen mit den chinesischen Karten UnionPay und WeChatPay. Denn die sind anders als Visa und Mastercard nicht durch Sanktionen für den Einsatz in Russland blockiert.
Die russische staatliche Nachrichtenagentur RIA nutzt die Präsenz chinesischer Besucher als Beleg, um zu zeigen, das Russland nicht isoliert ist in der Welt. Und es lässt den chinesischen Touristen Li Tschuanjue zu Wort kommen. Der lobt die „reiche Kultur und schöne Architektur“ Moskaus und, ganz auf der Linie seines Staatschefs, die „besonderen Beziehungen zwischen dem russischen und dem chinesischen Volk“.
Im Frühjahr 2023 ist auf Moskauer Straßen und Plätzen Chinesisch häufiger zu hören, als Englisch oder Deutsch. Mit wachsendem Interesse drängen die Chinesen jetzt auf Plätze, die Westler verlassen haben. Russen zitieren dazu schon mal die Volksweisheit: „Ein heiliger Platz bleibt nicht lange leer.“
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