Berlin-Wer Schwangerschaftsabbrüche anbietet, geht in Deutschland (noch) immer auf einem schmalen Grat zum Rechtsbruch. Im Strafgesetzbuch regelt das der im europäischen Vergleich einzigartige Paragraf 219a, der den irreführenden Namen „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ trägt: Wenn praktizierende Ärztinnen Informationen zum chirurgischen oder medikamentösen Abbruch veröffentlichen, werden sie mit bis zu zwei Jahren Haft oder hohen Geldsummen bestraft. Für ungewollt Schwangere sind das schwere Barrikaden vor dem dringenden Zugang zu Informationen in einer Notsituation.
Auf Initiative der Länder Berlin, Brandenburg, Hamburg, Thüringen und Bremen will der Bundesrat am Freitag über eine Gesetzesinitiative zur ersatzlosen Streichung von § 219a entscheiden. Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hatte den Beschluss auf die Tagesordnung gesetzt. Winkt der Bundesrat den Vorschlag durch, muss die Bundesregierung den Entwurf innerhalb von sechs Wochen dem Bundestag vorlegen. Doch der wird in einer Woche neu gewählt.
Gynäkologinnen zogen schon vors Bundesverfassungsgericht
„Ich bin davon überzeugt, dass das jetzt der richtige Zeitpunkt ist, weil wir das Thema dringend bei Koalitionsverhandlungen im Bund auf den Tisch legen müssen“, sagte Behrendt der Berliner Zeitung. In der Begründung zum Gesetzesentwurf zur Aufhebung des Paragrafen steht, es „sei nicht einzusehen“, dass über Schwangerschaftsabbrüche – die unter eng definierten Voraussetzungen straffrei sind – „nicht auch rechtmäßig informiert werden dürfe“.
Ärztinnen und Ärzte wehren sich seit langem gegen diese faktische Einschränkung in ihrem Beruf – eine breite Öffentlichkeit erzeugte die Debatte nach der Verurteilung der Gießener Gynäkologin Kristina Hänel im Jahr 2017. Anfang dieses Jahres legten Hänel und die ebenfalls verurteilte Berliner Ärztin Bettina Gaber Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Klagen gegen gynäkologische Praxen kommen meist von sogenannten Lebensschützern – einem Sammelbecken christlicher Fundamentalisten sowie rechtskonservativen Gruppen und Politikern.
2019 wurde der Paragraf 219a reformiert. Seither dürfen Praxen informieren, dass ein Abbruch zu ihren Leistungen gehört. Doch jedes weitere Wort zur Methode oder den Abläufen des medizinischen Vorgangs gilt weiterhin als Straftat. „Es ist doch absurd, dass wir Ärzten auf der einen Seite verbieten, sachlich über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren und gleichzeitig können Lebensschützer Angst, Schrecken und Lügen über Abtreibungen verbreiten“, sagt Behrendt.
Auch das Verzeichnis der Bundesärztekammer zu Praxen, die einen Abbruch anbieten, ersetze die Informationszugang für ungewollt Schwangere nicht, finden Verbände. Das Register sei unvollständig und die medizinische Erklärung ungenau, sagt etwa die Berliner Ärztin Alicia Baier. Sie ist im Vorstand des Vereins „Doctors for choice“. Der Paragraf müsse unbedingt gestrichen werden, sagt Baier. „Wir haben ja eine Berufsordnung, wir dürfen sowieso nicht werben. Da braucht es auch keine Sonderregelung im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs.“
Rechtskonservative Kräfte blockieren Schwangerschaftsabbrüche
Die Verwendung des Begriffs „Werbung“ sei außerdem bezeichnend, sagt Baier. „Da steckt ein bestimmtes Frauenbild dahinter, das davon ausgeht, Frauen seien so naiv, dass sie sich von Werbung leiten ließen.“ Als wäre die Entscheidung für ein Leben ohne Kind dasselbe wie die Entscheidung für den Kauf eines Produkts. „Ein Abbruch ist eine gut überlegte Entscheidung, die nur die Betroffene treffen kann.“
Ein Zufall, dass sich bislang vor allem die christlich-konservativ regierten Länder gegen eine Gesetzesinitiative aussprechen? Drei Ausschüsse haben Empfehlungen für die Abstimmung im Bundesrat formuliert. Der Ausschuss für Frauen und Jugend sowie der Gesundheitsausschuss sind dafür, der Rechtsausschuss – wo die Justizminister der Länder vertreten sind – ist dagegen. Es sei schließlich „kein Geheimnis, dass die Mehrheit der Justizminister der Länder von CDU/CSU gestellt werden“, sagt Berlins Senator Behrendt.




