Organisierte Kriminalität

Neuköllns Stadtrat: Wer Clan-Kriminalität leugnet, vergeht sich an Migranten

Berliner Clan-Mitglieder rauben und morden. Dennoch behaupten viele Linke, Clan-Kriminalität sei ein rassistisches Konstrukt. Davon verschwindet sie aber nicht.

Das Wandbild von Nidal Rabih 2018 in Berlin. Ganz in der Nähe wurde er erschossen.
Das Wandbild von Nidal Rabih 2018 in Berlin. Ganz in der Nähe wurde er erschossen.Falko Liecke

Im Morgengrauen ging es los. Drei Einsatzwagen der Berliner Polizei, zwei Dutzend Beamte und zwei Maler, die ihr Gesicht hinter Atemmasken versteckten, entfernten gegen sechs Uhr des 21. September 2018 das Wandbild des ersten Berliner Intensivtäters Nidal Rabih, der bundesweit als „Mahmoud“ große Aufmerksamkeit erregt hatte.

Mit erst zehn Jahren wurde er das erste Mal auffällig, mit 15 Jahren wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung zu 23 Monaten Haft verurteilt. Raub, Gewalt und Haft prägen sein Leben. 2003 wurde nicht zuletzt seinetwegen die Intensivtäterabteilung der Berliner Staatsanwaltschaft gegründet.

Gemeinsam mit dem Leiter des örtlichen Polizeiabschnitts beobachtete ich mit einiger Zufriedenheit, wie schnell das Konterfei des Mannes entfernt wird. Es dauerte nur Minuten, und aus dem bundesweit bekannt gewordenen Sinnbild für die Glorifizierung eines Intensivtäters wurde eine weiße Wand. Am Ende war der Polizeischutz unnötig. Aber es hätte auch anders ausgehen können, wie mir vom langgedienten und erfahrenen Abschnittsleiter zur Verabschiedung zugeraunt wurde.

Wenn Verbrechensbekämpfung Rassismus sein soll

Ich muss hin und wieder an diesen Morgen vor über drei Jahren denken, wenn – meist dem weit linken politischen Spektrum zugehörige – Politiker und Aktivisten das Bekämpfen von Organisierter Kriminalität geißeln. Da heißt es dann beispielsweise, die Übermalung des Bildes am Tatort sei ein „triumphaler Akt“ einer rassistischen Staatsgewalt, die nicht einmal diese menschliche Regung zulassen will: die Trauer um den Tod des Bruders und Freundes – ich ergänze: des Familienvaters! – Nidal Rabih.

Der Neuköllner Bezirksstadtrat Falko Liecke
Der Neuköllner Bezirksstadtrat Falko LieckeAnnette Hauschild OSTKREUZ

Es war anders. Das Graffito, das kurz nach der Tat als heroisierendes Andenken von Unbekannten am Tatort angebracht wurde und tagelang zu sehen war, wurde weithin als Provokation empfunden. Als Machtdemonstration und als Verherrlichung eines kriminellen Lebensstils. Auch deshalb habe ich mich als damaliger Jugendstadtrat darum gekümmert, das Wandbild in unmittelbarer Nähe zu zwei meiner Jugendklubs entfernen zu lassen.

Vorbilder wie Nidal Rabih sind das Letzte, was die Jugendlichen in Neukölln brauchen. Für mich war das auch ein sehr wichtiges Signal an die Neuköllnerinnen und Neuköllner, dass der Staat solche Wallfahrtsorte nicht unwidersprochen hinnimmt und klare Kante zeigt.

Verklärung von Schwerverbrechern zu harmlosen Familienmenschen

Zunächst hat sich aber keine der zuständigen Verwaltungen wirklich dafür interessiert. Von der Staatsmacht, die angeblich jegliches Gedenken brachial verhindern wollte, war nichts zu sehen. Der Eindruck, hier wurde systematisch Trauer an einen geliebten Menschen behindert, ist also auch im Rückblick falsch. Zehn Tage hat es gedauert. Und die ebenfalls am Tatort platzierten Blumen und Beileidsbekundungen blieben natürlich vor Ort.

Ich schildere das so ausführlich, weil schon der oft sehr deutlich an der Realität vorbeireproduzierte Schlüsselmoment untauglich ist, solche These zu stützen. Politische Maßnahmen gegen Clan-Kriminalität sind nicht rassistisch, weil sie nicht auf Abstammung, Herkunft oder kulturelle Identität zielen. Sie orientieren sich an der besonderen Mechanik dieser Form der Organisierten Kriminalität. An kriminellen Vorgehensweisen und Strukturen, die die Taten erst ermöglichen und die Aufklärung erschweren. Und an den gesellschaftlichen Bedrohungen, die sie mit sich bringen.

Es geht nicht um Ethnien, es geht um Organisierte Kriminalität

„Clan-Kriminalität ist die Begehung von Straftaten durch Angehörige ethnisch abgeschotteter Subkulturen.“ So definiert der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) das Phänomen. „Sie ist bestimmt von verwandtschaftlichen Beziehungen, einer gemeinsamen ethnischen Herkunft und einem hohen Maß an Abschottung der Täter, wodurch die Tatbegehung gefördert oder die Aufklärung der Tat erschwert wird. Dies geht einher mit einer eigenen Werteordnung und der grundsätzlichen Ablehnung der deutschen Rechtsordnung.“

Die ethnische Zugehörigkeit ist also keine reine Zufälligkeit, kein beliebiges Merkmal, das die Täter unfreiwillig teilen und für das sie anlasslos verfolgt werden. Die ethnische – und familiäre – Zugehörigkeit ist vielmehr Tatmittel. Sie kennzeichnet diese besondere Form der Organisierten Kriminalität derart, dass polizeiliche Instrumente, die in anderen Kriminalitätsbereichen wirkungsvoll eingesetzt werden können, wie verdeckte Ermittler oder V-Leute, nicht einsetzbar sind.

Wer die Rechtsordnung durchsetzen will, muss das nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern darauf reagieren. Und er darf dabei nicht auf das Einlenken der Täter vertrauen. Der Islamwissenschaftler und Migrationsforscher Dr. Ralph Ghadban schilderte es mir gegenüber mit Blick auf die Gruppe der türkisch-libanesischen Mhallami einmal ganz unmissverständlich so: „Das private Fremdeigentum wird in ihrer Kultur nicht respektiert, sein Entwenden wird deshalb nicht als Diebstahl wahrgenommen. Sie handeln nach dem Prinzip: Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, darf genommen werden. Dabei haben sie keine moralischen Hemmungen, sie existieren in ihrem Wertesystem nicht. Sie respektieren nur die Gewalt, der Stärkere hat immer recht. Daher haben sie keine Hemmungen, Gewalt anzuwenden, wenn sie fühlen, sie wären in einer Machtposition. Das geschieht insbesondere, wenn sie als Gruppe auftreten.“ Ein Blick in die ganze Breite der allein 2020 durch Clan-Angehörige begangen Straftaten bestätigt diesen Befund eindrucksvoll.

388 Clan-Angehörige begehen 1013 Straftaten – allein im Jahr 2020

Von 388 Clan-Angehörigen wurden 1013 Straftaten begangen. Verkehrsstraftaten, Betäubungsmittel, Diebstahl und Betrug oder Rohheitsdelikte, also blanke Gewalt, führen die Statistik an. Mehr als die Hälfte aller Taten entfällt auf diese Deliktstypen. Aber auch fünf Morde sind dabei. Widerstand gegen Polizisten in neun Fällen, Verstöße gegen das Waffengesetz ganze 30 Mal, Beleidigungen 40 und Stalking neun Mal.

Nur in zehn Fällen konnte bisher Geldwäsche nachgewiesen werden. Zu den eher untypischen Straftaten gehören Stromklau, Bankrott – ja, das ist eine Straftat –, Sexualdelikte und Beförderungserschleichung. Es lässt sich durchaus fragen, inwiefern diese Taten noch zur Organisierten Kriminalität gehören oder ob es eher allgemeine Nebenerscheinungen der vollkommenen rechtsstaatlichen Verwahrlosung von Teilen dieser Familien sind. So oder so ist es gut, diesen Einblick zu erhalten.

Bei einem einzigen Einsatz finden sich 91 Waffen

Beispielhaft soll ein Verbundeinsatz von Polizei, Finanzamt, Zoll und Ordnungsamt am 3. Juli 2020 stehen. In 19 Ladengeschäften wie Cafés, Wettbüros, Barbershops und Shishabars wurden 20 Straftaten und 74 Ordnungswidrigkeiten festgestellt. Neben Waffen wurde außerdem Bargeld in Höhe von 37.000 Euro sichergestellt, die auf einmal niemandem mehr gehören wollten.

Ich bin überzeugt: So etwas könnte man in Neukölln und andernorts jeden Tag mit gleichem Erfolg durchziehen. 2020 hat die Polizei Berlin mit den Verbundeinsätzen 525 Läden kontrolliert. 85 davon wurden behördlich geschlossen. 67 Personen wurden festgenommen und 91 Waffen sowie Hunderte Schuss scharfer Munition sichergestellt.

Harte Jungs fühlen sich plötzlich ganz schnell traumatisiert

Da ist es nicht übergriffig, sondern notwendig, dass Kontrollen durch die Berliner Polizei mit angemessenem Eigenschutz stattfinden. Und es ist weder unverhältnismäßig, rassistisch noch – wie immer wieder mit mitleidigem Blick geraunt wird – traumatisierend, wenn Polizistinnen und Polizisten wehrhaft auftreten. Wer die Berliner Polizei mit Mörderbanden in „Failed States“ vergleicht, hat von Polizeiarbeit in unserem Land wirklich keine Ahnung.

Screenshot eines Tweets von Ferat Ali Kocak.
Screenshot eines Tweets von Ferat Ali Kocak.Twitter @der_neukoellner

Ganz klar: Die Logiken der Täter sollen und dürfen wir für unsere demokratische Mehrheitsgesellschaft keinesfalls übernehmen. Unser Menschenbild muss weiterhin das des grundsätzlich wertegeleiteten und rechtstreuen Bürgers sein, das nur im Ausnahmefall nicht zutreffend ist. Und das gilt auch für diejenigen Clan-Angehörigen, die eben nicht kriminell sind. Es geht nicht um Clans. Es geht um Clan-Kriminalität. Wer diese beiden Begriffe vermischt, tut das absichtlich, um Vorwürfe zu konstruieren.

Rechtschaffene Clan-Mitglieder leiden unter ihrem Nachnamen

Ich hatte mal eine sehr intensive telefonische Debatte mit einer jungen Frau, die unter ihrer Zugehörigkeit zu einem bekannten Clan sehr gelitten hat. Die kannte keinen einzigen der kriminellen Cousins, hatte aber wegen ihres Namens Probleme, eine Wohnung zu finden oder ein Konto zu eröffnen. So etwas darf in unserer Gesellschaft nicht sein. Es bleibt dabei, dass die individuelle Schuld entscheidend ist. Nichts anderes.

Wer das entschlossene Einschreiten des Staates gerade in migrantisch geprägten Stadtvierteln verurteilt, blendet dabei zudem fahrlässig aus, dass gerade Gewerbetreibende in diesen Kiezen oft am stärksten von der Kriminalität von Teilen arabischer Clans betroffen sind. Sie sind es, die unter Schutzgelderpressungen, unter Einschüchterung und Gewalt, unter Massenschlägereien mitten auf der Sonnenallee oder gezielten Racheakten leiden.

Viele Opfer von Clan-Gewalt sind selbst Migranten

Wer auf der Sonnenallee ein Gewerbe betreibt, muss früher oder später mit dem Besuch der Clans rechnen. Es ist richtig, dass der Staat dieses Klima der Angst einzudämmen versucht. Und ich vermisse regelmäßig die Perspektive dieser Betroffenen in den von Linken angefeuerten Rassismusdebatten. Die Opfer der im Gegensatz zu Millionencoups oft verdeckten Clan-Kriminalität haben dort keinerlei Stimme.

Dennoch ist Kritik am Vorgehen gegen die Clan-Kriminalität richtig. Denn der Staat tut noch immer zu wenig. Nadelstiche sind zwar gut. Aber wir brauchen auch mal den Hammer. Mir fehlt bei vielen politisch Verantwortlichen noch immer die Einsicht, dass wir an allen Fronten kämpfen. Nicht nur Ordnungsamt, Polizei und Staatsanwaltschaft müssen ihren Job machen. Auch Gewerbeamt, Jugendamt, Jobcenter, Kfz-Zulassung und Finanzamt müssen mitspielen. Es darf keine Rückzugsräume für die Täter mehr geben.

Der Senat bekämpft die Verbrecher nur oberflächlich

Wenn die bundesweit bekannte Familie R. Behördenmitarbeiter zu bestechen versucht und Monat für Monat allein 1400 Euro Miete vom Jobcenter für die vom Sohn an die Mutter vermietete Villa kassiert, machen wir uns sonst lächerlich. Der oberflächliche „Fünf-Punkte-Plan“ des Berliner Senats reicht vorne und hinten nicht aus. Hier liegen längst sehr viel weitergehende Vorschläge auf dem Tisch, die auch den oft schon in frühen Jahren kriminellen Nachwuchs der kriminellen Teile der Clans in den Blick nehmen muss.

Eine von mir einberufene Expertengruppe aus anerkannten Expertinnen und Experten der Fachbereiche Rechtswissenschaft, Rechtspsychologie, Sozialwissenschaft, Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Jugendhilfe kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass die Gefährdung durch ein kriminelles familiäres Umfeld bei der Beurteilung von Kindeswohlgefährdungen bisher sowohl in der Jugendhilfe als auch in der Familiengerichtsbarkeit nicht hinreichend berücksichtigt wurde.

Insbesondere dann, wenn es sich um familiäre Verflechtungen mit der Organisierten Kriminalität handelt, ist ein geeigneter Zugang für die Jugendhilfe erschwert und die notwendige Kooperationsbereitschaft der Eltern oft nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Die Situation kann durch bio-psycho-soziale Faktoren wie kulturelle, genetische und Umwelteinflüsse noch weiter erschwert werden. Ein angemessener Umgang mit solchen Familien setzt demnach mehr Handlungssicherheit bei staatlichen Institutionen voraus. Diese Handlungssicherheit fehlt oftmals noch immer und wird durch reflexhaft vorgetragene Rassismusvorwürfe gezielt untergraben.

Clan-Kriminalität ist real. Und wir werden sie weder wegreden noch umdeuten können. Das gilt für linke Rhetorik genauso wie für einfach gestrickte Forderungen vom rechten Rand. Alle Tatverdächtigen des Einbruchs im Grünen Gewölbe in Dresden sind deutsche Staatsangehörige. „Alle abschieben“ ist darum keine passende Lösung. Clan-Kriminalität ist ein deutsches Problem, das wir mit unseren rechtsstaatlichen und demokratischen Mitteln lösen müssen.

Falko Liecke ist seit 2009 Bezirksstadtrat in Neukölln und stellv. Vorsitzender der CDU Berlin. Am 25. Februar erschien sein Buch „Brennpunkt Deutschland“ bei Quadriga, das von den Herausforderungen Neuköllns und den Auswirkungen für das ganze Land handelt.