Landespolitik

Neues Ausländerwahlrecht in Berlin wackelt

Die rot-grün-rote Koalition will, dass auch Ausländer wählen dürfen. Doch für eine verfassungsändernde Mehrheit braucht es mehr Unterstützung. Das wird knapp.

Stimmabgabe in einem Berliner Wahllokal.
Stimmabgabe in einem Berliner Wahllokal.Berliner Zeitung/Paulus Ponizak

Wahlen sind in Berlin ein heikles Thema. Noch immer ist unklar, ob die Pannen-Abstimmung vom vergangenen September bestehen bleibt oder wiederholt wird. Jetzt kommt ein weiteres Thema hinzu: das Ausländerwahlrecht. Dafür müsste die Verfassung geändert werden. Eine Volksinitiative macht Druck und findet Unterstützer in der Berliner Politik. Doch eine verfassungsändernde Mehrheit für das neue Ausländerwahlrecht ist wacklig.

Der Verein Mehr Demokratie, ein Bündnis aus Aktivisten und Bürgerrechtlern, will ein Wahlrecht auch für Berliner ohne deutschen Pass. Der Name: Volksinitiative „Demokratie für Alle!“

In ihrer Massenpetition fordert die Initiative, dass das aktive Wahlalter bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und für Volksentscheide von 18 auf 16 Jahre gesenkt wird. Vom passiven Wahlrecht ist nicht die Rede.

Darüber hinaus wird das Berliner Parlament aufgefordert, sich gegenüber dem Senat für eine Bundesratsinitiative einzusetzen. Ein volles aktives und passives Wahlrecht soll für alle Menschen gelten, die seit mindestens drei Jahren in Deutschland wohnen. Das neue Wahlrecht soll die Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen umfassen, aber auch die Europawahlen.

In Deutschland haben bisher nur EU-Bürger das Recht, bei Europa- und bei Kommunalwahlen ihre Stimme abzugeben. In Berlin betrifft das die Wahlen zu den Bezirksversammlungen. Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus und zum Bundestag bleiben Nichtdeutsche bisher außen vor.

Seit Anfang des Jahres hat „Demokratie für Alle!“ mehr als 25.000 Unterschriften gesammelt – 20.000 gültige Stimmen waren notwendig. Im Juni übergaben sie diese dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses. Seitdem ist die Politik am Zug.

„Wir erwarten eine öffentliche Anhörung im Abgeordnetenhaus“, sagt eine Sprecherin. „Und dann gucken wir, wie es weitergeht, wir werden weiter Druck machen.“

Diesen Druck wird es brauchen, denn es gibt eine massive Hürde: Wahrscheinlich müsste die Verfassung geändert werden – das gilt für Berlin und für den Bund. Und dafür würde eine Zweidrittelmehrheit in den jeweiligen Parlamenten benötigt.

FDP macht bei Wahlalter ab 16 mit

Nun haben in Berlin Rot-Grün-Rot und die FDP bereits angekündigt, die Absenkung des Wahlalters zu befürworten und die dafür nötige Verfassungsänderung auf den Weg bringen zu wollen. Bereits im April verkündeten die Spitzen von SPD und FDP Einigkeit: Ja, das Alter für aktives Wahlrecht bei der Abgeordnetenhauswahl solle auf 16 Jahre gesenkt werden. Bislang ist dies in Berlin nur bei der Europawahl und der Wahl zu den Bezirksverordnetenversammlungen möglich.

Deutlich schwieriger wird die Änderung des Wahlrechts für Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Sympathien und grundsätzliche Zustimmung gibt es innerhalb der rot-grün-roten Berliner Koalition.

400.000 Berliner könnten eingebürgert werden

Die SPD sieht das Wahlrecht in einem größeren Zusammenhang. Es gehe um gesellschaftliche und politische Teilhabe, heißt es. Und dazu gehöre auch eine verstärkte Einbürgerung. Rund 400.000 Menschen in Berlin könnten eingebürgert werden, doch pro Jahr gehen nur wenige Tausend diesen Weg. Für die SPD ist klar: Die Hürden sind zu hoch, das Tempo bei der Einbürgerung ist zu niedrig. Derzeit dauern die Verfahren oft mehr als zwei Jahre. Abhilfe verspricht sich der Senat von einem zentralen Landeseinbürgerungszentrum. Partei- und Fraktionschef Saleh hat sich dafür starkgemacht, einer Eröffnung im kommenden Jahr sollte nichts im Wege stehen.

Der SPD-Integrationspolitiker Orkan Özdemir will noch einen Schritt weiter gehen. Parallel zur vereinfachten Einbürgerung sollte nach Möglichkeiten gesucht werden, „auch Menschen das Wahlrecht zu geben, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben“, sagt der Friedenauer Abgeordnete.

Ein Weg zu einer Zweidrittelmehrheit in Berlin geht derzeit nur über die Liberalen. Doch sicher ist deren Zustimmung keineswegs.

„Es gibt noch keine Abstimmung dazu in der Fraktion“, sagt der einflussreiche FDP-Innenpolitiker Björn Matthias Jotzo der Berliner Zeitung. Während das Wahlrecht für Jugendliche im Parteiprogramm stehe, gebe es bei einem Wahlrecht für Ausländer noch Abstimmungsbedarf. Gelegenheit dazu bestehe frühestens im September. Er wolle jedenfalls keine Vorgaben machen, so Jotzo, der parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion ist.

Das Thema bleibt also heikel, gerade für die Oppositionspartei FDP. Außerdem hat Berlin zuletzt schlechte Erfahrungen mit verfassungsrechtlich strittigen Gesetzen gemacht, sei es zum Mietendeckel, zum kommunalen Vorkaufsrecht oder ganz aktuell zur Straßensondernutzung für Carsharing-Unternehmen.

CDU hält Ausländerwahlrecht für den komplett falschen Weg

Auf die CDU als Mehrheitsbeschafferin auf dem Weg zur Zweidrittelmehrheit wird die Koalition jedenfalls nicht bauen können. Dort hält man eine Reform für rechtlich ausgeschlossen und auch inhaltlich für den komplett falschen Weg. Das gilt selbst für eine Öffnung des Wahlrechts für 16- und 17-Jährige. Auch das lehnt die CDU ab.

„Wir sollten bei dem bestehenden System bleiben“, sagt Partei- und Fraktionschef Kai Wegner. Für ihn ist klar: „Wahlrecht hat auch etwas mit Pflichten zu tun.“ Ein Wahlrecht könne immer erst am Ende einer gelungenen Integration stehen. „Ein pauschales Wahlrecht für alle bleibt grundgesetzwidrig“, sagt Wegner. „Wir warnen Rot-Grün-Rot davor, mit einem nicht grundgesetzkonformen Ausländerwahlrecht jetzt die Verfassung zu ihrem politischen Spielball zu machen. Da wäre die nächste gerichtliche Ohrfeige programmiert.“