Für & Wider: Wahlrecht ändern?

Wahlrecht: Die Fünfprozenthürde muss endlich abgeschafft werden!

Grüne und FDP scheitern im Saarland an der Fünfprozenthürde. Eine niedrigere Sperrklausel würde der Demokratie dienen. Warum stellen sich die Parteien quer?

Fast jede Stimme zählt.
Fast jede Stimme zählt.Imago

Berlin-Genau 23 Stimmen fehlten den Saarländer Grünen für den Einzug ins Saarbrücker Landesparlament. 22.621 Stimmen hätten sie gebraucht, 22.598 Menschen entschieden sich am Sonntag für die Umweltpartei. Zu wenig, mit 4,99502 Prozent der Stimmen scheiterten sie knapp an der Fünfprozenthürde. Am Montag forderte der gemeinnützige Verein „Mehr Demokratie“ auch deshalb die Absenkung der Sperrklausel auf drei Prozent. Der politischen Vielfalt, so die Begründung, könne man mit der bisherigen Klausel nicht mehr gerecht werden. Sinn der Fünfprozenthürde sei es lediglich, die Regierungsbildung zu vereinfachen – jetzt werde die Sperrklausel aber zu einer Hürde, die zu parteipolitischen Monokulturen führe.

Lange hat man sich in Deutschland über Sinn und Unsinn der Klausel keine Gedanken mehr gemacht. Vor über zehn Jahren entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Fünfprozenthürde zumindest für das Europawahlrecht nicht mehr verfassungskonform sei und gegen „die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit der politischen Parteien“ verstoße. Auch, weil das Europäische Parlament keine Regierung bilden und eine Mehrheitsbildung durch eine Sperrklausel deshalb nicht erleichtert werden müsse. Erst Mitte März dieses Jahres beschlossen dagegen die vier größten Fraktionen im EU-Parlament eine Wahlrechtsreform für Straßburg. Auch dort soll es künftig eine Zweitstimme geben – und für Deutschland wieder eine Sperrklausel von 3,5 Prozent.

Außer den etablierten Parteien käme so keine mehr ins Europaparlament. Bisher findet man aus Deutschland dort Promis wie den Satiriker Martin Sonneborn, dazu die proeuropäische Bürgerbewegung Volt oder die Tierschutzpartei. Auch die Ampel fordert im Koalitionsvertrag die Einführung der Sperrklausel auf europäischer Ebene.

Die Sperrklausel dient dem Machterhalt von Altparteien

Alles nur zum eigenen Machterhalt? Denn vor allem kleine Parteien haben bei einer hohen Sperrklausel das Nachsehen. Würde es statt einer Fünfprozent- eine Dreiprozenthürde geben, hätte es am Sonntag neben den Grünen auch die FDP in den Saarländischen Landtag geschafft. Statt drei wären fünf Parteien im Parlament vertreten. Das wäre auf jeden Fall pluralistischer, eine absolute Mehrheit der SPD wäre so nicht denkbar – und  eine solche ist für politische Entscheidungsprozesse selten etwas Gutes.

Bei einer immer größer werdenden Parteienlandschaft wäre eine niedrigere Sperrklausel zumindest demokratischer. Die ehemaligen Volksparteien SPD und CDU verlieren zusehends an Zuspruch, immer mehr Stimmen verteilen sich auf Parteien außerhalb der sogenannten Mitte. Linke, Grüne, FDP und seit einigen Jahren auch AfD bekommen bei Wahlen mehr und mehr Rückhalt, scheitern bei Landtagswahlen aber immer mal wieder an der Fünfprozenthürde. Gültige Stimmen werden so nicht nur wertlos, sondern kommen den übrigen, dann im Parlament vertretenen Parteien zugute, die dadurch  mehr Plätze bekommen, als ihnen nach Wählervotum eigentlich zustehen.

Dreiprozenthürde stärkt Demokratie

Die Sperrklausel um einige Prozentpunkte abzusenken wäre zudem eine geeignete Maßnahme gegen die zunehmende Politikverdrossenheit. Fühlen sich die Wählerinnen und Wähler – auch durch das Wahlrecht – wieder gehört, ihre Interessen durch die gewählte Partei auch im Parlament vertreten, gehen sie vielleicht wieder eher an die Wahlurne. Denn fehlende Wählende gefährden die demokratische Legitimation einer jeden Regierung.

Im Saarland ging weniger als die Hälfte der gültigen Stimmen an die SPD, trotzdem bekommt die Partei knapp 57 Prozent der Sitze im Landtag und wird die kommenden Jahre nun allein regieren. Wie hoch wird das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler in eine Regierung sein, die sie mit dieser Machtfülle gar nicht gewählt haben?

Niedrige Sperrklauseln stärken also am Ende vor allem die parlamentarische Demokratie. Etablierte Parteien müssen mit ihren Ideen wieder mehr um Wählerinnen und Wähler werben, statt auf die Gunst der Klausel zu setzen. Wer sich dem entgegenstellt, wie die selbsternannte Fortschrittskoalition im Koalitionsvertrag, hat von freier Marktwirtschaft am Ende nicht allzu viel verstanden. Dabei soll gerade das doch das Steckenpferd der federführenden Liberalen sein.

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.