Das Bundeskanzleramt hat den Leiter der palästinensischen Vertretung in Berlin einbestellt und ihm „unmissverständlich“ erklärt, dass Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet, dass sich Palästinenserpräsident Mahmud Abbas von seinen „unsäglichen Äußerungen“ distanziert. Das sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch vor Journalisten in Berlin.
Man werde an den politischen Beziehungen aber erst einmal festhalten. Ob das auch für die finanzielle Unterstützung für die Palästinensergebiete gilt, blieb unklar.
Abbas hatte am Dienstag während einer Pressekonferenz im Kanzleramt für einen Eklat gesorgt, als er Israel vorwarf, es habe seit 1947 „50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen“. Die Äußerung spitzte er noch weiter zu: „50 Massaker, 50 Holocausts“, so Abbas. Der Bundeskanzler, der Abbas zuvor bei einer anderen Israelkritik widersprochen hatte, ging darauf nicht ein. Das löste einen Sturm der Entrüstung aus.
Ein unfassbarer Vorgang im Kanzleramt. Der #Bundeskanzler hätte dem Palästinenserpräsident klar und deutlich widersprechen und ihn bitten müssen, das Haus zu verlassen! (FM)https://t.co/brx6pA7vXc
— Friedrich Merz (@_FriedrichMerz) August 16, 2022
Den Fehler für die fehlende Intervention nahm Hebestreit auf sich. Er habe nach den „sehr länglichen“ Ausführungen von Abbas nicht schnell genug reagiert und die Pressekonferenz beendet. Er habe in dem Moment keinen Blickkontakt mit dem Kanzler gehabt. „Das war mein Fehler und sollte nach Möglichkeit nicht mehr vorkommen“, sagte er. Scholz habe ihn bereits im Hinausgehen deswegen „angeraunzt“. Die Mikrofone seien aber bereits ausgeschaltet und die Teilnehmer der Pressekonferenz im Aufbruch gewesen. „Man hätte sie quasi zurückpfeifen müssen“, so Hebestreit.
Lapid: Holocaust-Vergleich eine „monströse Lüge“
Er kündigte gleichzeitig an, dass Scholz am Donnerstag ein Telefongespräch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Jair Lapid führen werde. Dieser hatte auf Twitter geschrieben, dass Abbas Holocaust-Beschuldigung auf deutschem Boden nicht nur eine moralische Schande, sondern eine ungeheuerliche Lüge sei. Die Geschichte werde Abbas niemals verzeihen.
Ob das Versäumnis des Bundeskanzler so schnell verziehen wird, ist noch nicht ausgemacht. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, erklärte am Mittwoch, mit der Relativierung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik trete Abbas das Andenken an sechs Millionen ermordete Juden mit Füßen. Daneben äußerten sich zahlreiche Politiker zu dem Vorfall im Kanzleramt, unter anderem EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas, der auf Twitter betonte: „Die Verzerrung des Holocausts ist gefährlich.“
„Durch seine Holocaust-Relativierung hat Präsident Abbas jegliche Sensibilität gegenüber uns deutschen Gastgebern vermissen lassen“, sagte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Mittwoch. „Er erweist den berechtigten palästinensischen Anliegen dadurch keinen Dienst.“
Auch der neue deutsche Botschafter in Israel, der frühere Regierungssprecher Steffen Seibert meldete sich zu Wort. Die Äußerungen des Palästinenserpräsidenten seien „falsch und inakzeptabel“, schrieb er auf Twitter. Deutschland werde Versuche, die „einmalige Dimension der Verbrechen des Holocaust“ zu relativieren, niemals hinnehmen.
What President #Abbas said in Berlin about „50 holocausts“ is wrong and unacceptable. Germany will never stand for any attempt to deny the singular dimension of the crimes of the Holocaust.
— Steffen Seibert (@GerAmbTLV) August 16, 2022
Auschwitz-Komitee: Zögern von Scholz „erstaunlich und befremdlich“
CDU-Chef Friedrich Merz hingegen machte dem Bundeskanzler selbst Vorwürfe. Scholz „hätte dem Palästinenserpräsident klar und deutlich widersprechen und ihn bitten müssen, das Haus zu verlassen“, schrieb Merz auf Twitter. Während der gemeinsamen Pressekonferenz hatte sich Scholz an anderer Stelle durchaus von Abbas distanziert: Der Palästinenserpräsident hatte Israel ein „Apartheid-System“ vorgeworfen. Scholz entgegnete, er lehne den Begriff in diesem Kontext ab.
Auch das Internationale Auschwitz-Komitee äußerte Kritik an der zögerlichen Haltung der Bundesregierung. „Es ist erstaunlich und befremdlich, dass die deutsche Seite auf Abbas’ Provokationen nicht vorbereitet war und seine Äußerungen zum Holocaust in der Pressekonferenz unwidersprochen geblieben sind“, teilte Vizepräsident Christoph Heubner am späten Dienstagabend mit. Dies bekräftigte Zentralratspräsident Schuster. Das Schweigen des Kanzlers zu Abbas’ Aussagen während der Pressekonferenz in Berlin halte er für „skandalös“.
Ich bin zutiefst empört über die unsäglichen Aussagen des palästinensischen Präsidenten Mahmoud #Abbas. Gerade für uns Deutsche ist jegliche Relativierung des Holocaust unerträglich und inakzeptabel. Ich verurteile jeden Versuch, die Verbrechen des Holocaust zu leugnen.
— Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) August 17, 2022



