Holocaust-Vorwürfe gegen Israel

Nach Holocaust-Eklat im Kanzleramt: Scholz verlangt Erklärung von Abbas

Die Aussagen des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas sorgen für Empörung - aber auch der Kanzler, der nicht darauf reagierte. Heute wurde das Kanzleramt aktiv.

Scholz verfolgt sichtlich angespannt die Ausführungen des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas im Kanzleramt.
Scholz verfolgt sichtlich angespannt die Ausführungen des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas im Kanzleramt.dpa/Wolfgang Kumm

Das Bundeskanzleramt hat den Leiter der palästinensischen Vertretung in Berlin einbestellt und ihm „unmissverständlich“ erklärt, dass Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet, dass sich Palästinenserpräsident Mahmud Abbas von seinen „unsäglichen Äußerungen“ distanziert. Das sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch vor Journalisten in Berlin.

Man werde an den politischen Beziehungen aber erst einmal festhalten. Ob das auch für die finanzielle Unterstützung für die Palästinensergebiete gilt, blieb unklar.

Abbas hatte am Dienstag während einer Pressekonferenz im Kanzleramt für einen Eklat gesorgt, als er Israel vorwarf, es habe seit 1947  „50 Massaker in 50 palästinensischen Orten begangen“. Die Äußerung spitzte er noch weiter zu: „50 Massaker, 50 Holocausts“, so Abbas. Der Bundeskanzler, der Abbas zuvor bei einer anderen Israelkritik widersprochen hatte, ging darauf nicht ein. Das löste einen Sturm der Entrüstung aus.

Den Fehler für die fehlende Intervention nahm Hebestreit auf sich. Er habe nach den „sehr länglichen“ Ausführungen von Abbas nicht schnell genug reagiert und die Pressekonferenz beendet. Er habe in dem Moment keinen Blickkontakt mit dem Kanzler gehabt. „Das war mein Fehler und sollte nach Möglichkeit nicht mehr vorkommen“, sagte er. Scholz habe ihn bereits im Hinausgehen deswegen „angeraunzt“. Die Mikrofone seien aber bereits ausgeschaltet und die Teilnehmer der Pressekonferenz im Aufbruch gewesen. „Man hätte sie quasi zurückpfeifen müssen“, so Hebestreit.

Lapid: Holocaust-Vergleich eine „monströse Lüge“

Er kündigte gleichzeitig an, dass Scholz am Donnerstag ein Telefongespräch mit dem israelischen Ministerpräsidenten Jair Lapid führen werde. Dieser hatte auf Twitter geschrieben, dass Abbas Holocaust-Beschuldigung auf deutschem Boden nicht nur eine moralische Schande, sondern eine ungeheuerliche Lüge sei. Die Geschichte werde Abbas niemals verzeihen.

Ob das Versäumnis des Bundeskanzler so schnell verziehen wird, ist noch nicht ausgemacht. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, erklärte am Mittwoch, mit der Relativierung der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik trete Abbas das Andenken an sechs Millionen ermordete Juden mit Füßen. Daneben äußerten sich zahlreiche Politiker zu dem Vorfall im Kanzleramt, unter anderem EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas, der auf Twitter betonte: „Die Verzerrung des Holocausts ist gefährlich.“

„Durch seine Holocaust-Relativierung hat Präsident Abbas jegliche Sensibilität gegenüber uns deutschen Gastgebern vermissen lassen“, sagte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland am Mittwoch. „Er erweist den berechtigten palästinensischen Anliegen dadurch keinen Dienst.“

Auch der neue deutsche Botschafter in Israel, der frühere Regierungssprecher Steffen Seibert meldete sich zu Wort. Die Äußerungen des Palästinenserpräsidenten seien „falsch und inakzeptabel“, schrieb er auf Twitter. Deutschland werde Versuche, die „einmalige Dimension der Verbrechen des Holocaust“ zu relativieren, niemals hinnehmen.

Auschwitz-Komitee: Zögern von Scholz „erstaunlich und befremdlich“

CDU-Chef Friedrich Merz hingegen machte dem Bundeskanzler selbst Vorwürfe. Scholz „hätte dem Palästinenserpräsident klar und deutlich widersprechen und ihn bitten müssen, das Haus zu verlassen“, schrieb Merz auf Twitter. Während der gemeinsamen Pressekonferenz hatte sich Scholz an anderer Stelle durchaus von Abbas distanziert: Der Palästinenserpräsident hatte Israel ein „Apartheid-System“ vorgeworfen. Scholz entgegnete, er lehne den Begriff in diesem Kontext ab.

Auch das Internationale Auschwitz-Komitee äußerte Kritik an der zögerlichen Haltung der Bundesregierung. „Es ist erstaunlich und befremdlich, dass die deutsche Seite auf Abbas’ Provokationen nicht vorbereitet war und seine Äußerungen zum Holocaust in der Pressekonferenz unwidersprochen geblieben sind“, teilte Vizepräsident Christoph Heubner am späten Dienstagabend mit. Dies bekräftigte Zentralratspräsident Schuster. Das Schweigen des Kanzlers zu Abbas’ Aussagen während der Pressekonferenz in Berlin halte er für „skandalös“.

Mahmud Abbas selbst relativierte seine Aussagen am Mittwoch. Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa schrieb,  Abbas habe in Berlin nicht die Einzigartigkeit des Holocaust infrage stellen wollen. Mit seinen Äußerungen habe er  auf „die Verbrechen und Massaker gegen das palästinensische Volk, die Israels Streitkräfte seit der Nakba begangen haben“ hinweisen wollen. „Diese Verbrechen haben bis zum heutigen Tage nicht aufgehört.“ Es ist unklar, ob diese Erklärung dem Kanzleramt genügt.