Landesparteitag

Trotz drohender Neuwahl: Berliner SPD hält sich für eine „geile Partei“

Die Berliner SPD zeigt sich auf ihrem Landesparteitag ungewöhnlich einig – und beginnt mit dem Wahlkampf. Warum der überhaupt nötig ist, wird verdrängt.

Raed Saleh, Co-Vorsitzender der SPD, und Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin, vor Beginn des Landesparteitages der SPD Berlin.
Raed Saleh, Co-Vorsitzender der SPD, und Franziska Giffey, Regierende Bürgermeisterin von Berlin, vor Beginn des Landesparteitages der SPD Berlin.dpa/Carsten Koall

Es ist ein sehr kurzer Film, der am Samstagmittag in der Convention Hall I im Neuköllner Hotel Estrel gezeigt wird. Hier hat sich die Berliner SPD zum Landesparteitag zusammengefunden. In wenigen Tagen wird das Urteil des Landesverfassungsgerichts erwartet, von dem mittlerweile so gut wie alle erwarten, dass es eine komplette Neuwahl auf Landesebene anordnen wird. Der Parteitag ist daher auch so etwas wie ein inoffizieller Wahlkampfauftakt. Vermutlich hätte es im anderen Fall diesen Film gar nicht gegeben. Er soll zeigen, was die SPD in der neuen Legislaturperiode schon auf den weg gebracht hat – und ist nach wenigen Sekunden vorbei.

Hingewiesen wird auf das verbilligte Ticket im öffentlichen Nahverkehr, das Mietenmoratorium in den landeseigenen Wohnungen sowie auf 2,6 Milliarden Euro an Entlastung. Mit letzterem ist der Nachtragshaushalt gemeint, der in der nächsten Woche verabschiedet werden soll und der durch die erhöhten Steuereinnahmen in Berlin möglich wurde. Das Mietenmoratorium war eine Idee der Grünen, die dann von der Linken und schließlich auch von der SPD aufgegriffen wurde. Doch bis zum 12. Februar, dem mutmaßlichen neuen Wahltermin, kämpft jede der Koalitionsparteien erst mal allein gegen alle.

Die SPD hat dafür bereits einen neuen Slogan erfunden: „Zusammen Berlin“. Die SPD lässt die Menschen in der Krise nicht allein. So lautet die Botschaft, die der Parteitag nach außen tragen soll, Arbeitsminister Hubertus Heil macht als Gastredner aus der Bundesregierung den Anfang. In der Krise zeige sich der Charakter, habe Helmut Schmidt einmal gesagt, sagt Heil und schon ist nicht mehr ganz klar, ob er sich auf den Leitantrag des Parteitags bezieht oder auf die drohende Neuwahl.

Heil eilt aber gedanklich sofort weiter, erinnert an die Zeitenwende, den Krieg in der Ukraine und die unabdingbare Solidarität mit dem angegriffenen Land. Es dürfe Putin nicht gelingen, die demokratischen Staaten zu spalten. „Viele Menschen machen sich Sorgen, wie sie angesichts gestiegener Kosten über die Runden kommen“, sagt Heil. „Unser Signal ist: Wir lassen sie nicht allein.“ Das wird der Tenor aller nachfolgenden Reden sein.

Auch die drohende Wahlwiederholung behandeln alle Rednerinnen oder Redner ähnlich, als vermutlich unabänderliches Ereignis, ähnlich wie eine Naturkatastrophe. Der für das Desaster politisch verantwortliche fühere Innensenator Andreas Geisel sitzt im Saal. Er wird aber nur in seiner neuen Eigenschaft als Bausenator mal kurz erwähnt.

Heils Empfehlung für die anstehende Wahlwiederholung lautet: „Rührt die Trommeln und fürchtet euch nicht.“ Die SPD habe gute Argumente, um zu gewinnen, sagt er und setzt eine kleine Warnung: „Ihr habt Geschlossenheit, was ja auch schon mal anders war.“ Die SPD Berlin sei ein diskussionsfreudiger Landesverband, aber sie solle es auch nicht übertreiben. „Franziska Giffey ist eine gute Bürgermeisterin, es gibt keine bessere.“

Die Ermahnung war unnötig. Die SPD scheint zu wissen, dass sie nur Geschlossenheit vor einem Absturz bewahren kann. So bekommt die Landesvorsitzende und Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey nach ihrer Rede stehenden Applaus – im Juni hatte man sie noch mit einem schlechten Wahlergebnis abgestraft.

Das steht im SPD-Leitantrag:
  • Auf 15 Seiten hat die Berliner SPD Maßnahmen und Forderungen an den Bund zusammengetragen, mit denen Berlin durch die Energiekrise und die Inflation kommen soll.
  • Kündigungsmoratorium: Wer wegen der Krise seine Betriebskosten nicht bezahlen kann, soll deshalb seine Wohnung nicht verlieren. Das soll gesetzlich für die landeseigenen Wohnungen festgelegt werden. An private Vermieter wird appelliert, sich dem anzuschließen. Auch auf Bundesebene soll es ein Kündigungsmoratorium geben.
  • 29-Euro-Ticket: In Berlin ist es bis März 2023 gesichert, soll aber über diesen Zeitraum hinweg fortgesetzt werden. Wie genau das aussehen wird, ist noch unklar.
  • Bei Energieschulden soll ein Härtefallfonds helfen, der private Haushalte mit geringem und mittleren Einkommen unterstützen soll. Dafür stellt Berlin Geld im Nachtragshaushalt bereit.
  • Soloselbstständige und kleine Unternehmen sollen mit einer Berliner Energiekostensoforthilfe entlastet werden – allerdings nur, wenn der Bund nicht derartige Angebote schafft.

Sie hält ihre Rede wie Heil und nach ihr der Co-Landesvorsitzende Raed Saleh nicht von der Bühne aus, sondern auf einem Podium, das in die Mitte des Saals geschoben wurde. Näher an den Leuten, Gemeinsamkeit ist jetzt alles. „Wir kümmern uns, um die, die zu uns kommen. Aber wir kümmern uns genauso um die, die hier sind. Und das ist das, was uns einzigartig macht“, sagt Giffey und dreht sich dabei nach links und rechts zu den Delegierten. „Wann, wenn nicht jetzt ist die Zeit, in der es sozialdemokratische Führung braucht?“

Franziska Giffey zur Wahlwiederholung: „Vielleicht wird die Truppe auch größer“

Erwartungsgemäß zählt sie ausschließlich Erfolge auf: Die Messe sei voll mit Veranstaltungen, man habe „einen Super-Marathon“ organisiert. Da wird es kurz unruhig unter den Delegierten und Giffey setzt nach: „Ich meine den in diesem Jahr!“ Erleichtertes Lachen im Saal. Und dann setzt sie noch einen drauf: „Es gibt ja ein paar, die denken, vielleicht schaffen die es ja nicht“, sagt sie in Bezug auf die Chancen der SPD bei einer Wahlwiederholung. „Ich sag euch eins: Vielleicht wird die Truppe auch größer.“ Es ist genau das, was die Genossinnen und Genossen hören wollen.

Der Nachmittag bleibt harmonisch, was die Delegierten geradezu euphorisiert. Einer erklärt, die SPD sei einfach eine „geile Partei“. Der Leitantrag „Berlin gut und solidarisch durch die Krise führen“ wird am Samstagnachmittag mit überwältigender Mehrheit verabschiedet. Bei den nachfolgenden Diskussionen gibt es nichts, was auch nur ansatzweise für Streit sorgt. Um kurz nach 16.30 Uhr ist der Landesparteitag vorbei. "Denkt an Eure Familien", hatte Hubertus Heil in seiner Rede gesagt und gemahnt, dass spätestens um 18 Uhr Schluss sein sollte. Die Delegierten dachten wohl vor allem ans Wahlergebnis.