Heiß-und-kalt-Momente gibt es auf Parteitagen ja öfter. Beim Grünen-Parteitag am Sonnabend in Moabit, dem ersten seit den Berliner Wiederholungswahlen und dem Gang in die Opposition, ereignete sich so einer, als die drei scheidenden Senatoren verabschiedet wurden. Erst gab es stehenden Applaus von den allermeisten der Delegierten als Dank für die 16 Monate Senatsarbeit, dann die kalte Dusche von Ulrike Gote, bis vor kurzem noch Gesundheitssenatorin. „Persönlich geht es mir gut, aber wenn ich den Deutschlandtrend sehe, geht es mir richtig schlecht“, sagte sie.
Die Grünen in Berlin befinden sich gerade in doppelter Hinsicht in einer schwierigen Lage. Raus aus dem Senat in Berlin und dann auch noch abgesackt im Bundestrend. Die jüngste Umfrage von Infratest dimap sieht die Grünen bundesweit nur noch bei 15 Prozent, und besonders bitter für die Partei, die AfD steht bei 18. Für Ulrike Gote ein Grund zu grundsätzlicher Sorge. „Angesichts der Erfolge der AfD treibt mich die Sorge um die Demokratie um.“
Klein beigeben will sie allerdings nicht. Die Grünen hätten es ja gewusst, sobald sich die Klimakrise zuspitze, werde sie der Gegenwind voll erwischen, sagte Gote. Umso wichtiger findet sie es, jetzt Stärke zu beweisen. „Es ist wichtig, dass die Berliner Grünen stark sind. Die 16 Monate waren toll, aber jetzt packen wir weiter an“, sagte sie. Kein Pessimismus, sondern wieder in den Arbeitsmodus gehen, „ihr könnt das, wir schaffen das.“
„Die Stadt tickt grün“, ein anderer Satz, der auf diesem Parteitag fiel, der sich allerdings auch in Berlin nicht durch jüngste Umfragen decken lässt. „Keine Zeit für Rückschritt“ – unter diesem Motto stand dieser Parteitag. Das bezog sich gleichermaßen auf den Neustart nach sechseinhalb Jahren Regierungsbeteiligung wieder in der Opposition, aber auch auf eine Notwendigkeit für die Partei, sich neu zu erfinden.
Kämpferisches war dementsprechend auch zu hören an diesem Tag – Kampfansagen an den neuen schwarz-roten Senat von Kai Wegner. So versprühte Parteivorsitzende Susanne Mertens erst mal gute Laune, als sie auf die Bühne trat. Um dann aber den neuen Senat ausführlich in Grund und Boden zu treten als Rückschritts-Koalition mit einer CDU, die mehr Geld für neue Stellen für Parteigänger spendiere, und einer SPD im Tiefschlaf. Nur hohle Phrasen höre man von dort, es sei eine reine Zweckkoalition ohne Inhalt und gemeinsame Basis.
Susanne Mertens: Den Menschen nicht genau genug zugehört
Nachdenkliches trug Susanne Mertens allerdings auch vor. Die Grünen hätten den Menschen nicht genau genug zugehört. Sie seien nicht die besseren Handwerkerinnen und Expertinnen. Das habe die Partei im Wahlkampf nicht deutlich gemacht. Ihre Aufgabe sei es aber, zuzuhören und den Menschen zu helfen, damit sie nicht den Anschluss verlieren.
Hört man anderen Rednern an diesem Tag zu, ist dieses Schwanken immer wieder zu spüren. Durch die Wortmeldungen auf dem Parteitag zog sich am Sonnabend ein Hin und Her zwischen Abarbeiten an der politischen Konkurrenz, Einsicht in eigene Fehler und dem Wunsch, sich selbst anders aufzustellen.
Benjamin Gögge-Feiersinger aus dem Kreisverband Lichtenberg beschrieb zum Beispiel die Ablehnung, die ihm im Wahlkampf vor dem Linden-Center in Hohenschönhausen entgegengeschlagen sei. Nun will er genau dort überzeugen. Auch Dara Kossok-Spieß (Kreisverband Spandau), noch ein Bezirk außerhalb des S-Bahn-Rings, wo die Grünen sehr wenig Erfolg hatten, findet es zu einfach, jetzt anderen die Schuld dafür zu geben, wie die Wahlen ausgegangen sind. „Wir brauchen Diskussion“, sagt sie, innerhalb der Partei, aber auch mit den Menschen draußen in der Stadt und besonders an ihren Rändern.




