Meinung

Die ewige Debatte ums Sternchen: Gendern spiegelt nur die Wirklichkeit wider

Der deutsche Rechtschreibrat nimmt das Gendern nicht in das amtliche Regelwerk auf, obwohl es längst an der Zeit wäre, sagt unsere Autorin. Ein Kommentar. 

An der Genderfrage scheiden sich die Geister.
An der Genderfrage scheiden sich die Geister.Steinach/imago

Vor kurzem tagte der deutsche Rechtschreibrat im belgischen Eupen und beriet über geschlechtergerechte Sprache. Das Ergebnis fiel allerdings für viele unbefriedigend aus. Denn der Rechtschreibrat bleibt bei seiner Empfehlung von 2021: Gendersternchen, Doppelpunkt, Bindestrich oder weitere Kennzeichnungen von mehrgeschlechtlichen Bezeichnungen im Wortinneren sollen weiterhin nicht als Bestandteil der deutschen Orthografie gelten.

Immerhin schlägt der Rechtschreibrat vor, unter anderem Asterisk – also Sternchen – als Phänomen zum Thema Sonderzeichen im amtlichen Regelwerk zu ergänzen. Folge: Frauen haben wieder das Nachsehen. Für den Rechtschreibrat reicht die Sichtbarmachung der zweiten Hälfte der Bevölkerung nur für das Kapitel Sonderzeichen aus. Dabei sind sie mit 51 Prozent Anteil an der deutschen Gesamtbevölkerung definitiv keine Minderheit – in der deutschen Sprache aber bleiben sie es nach wie vor. 

Die Sorgen, die da mitunter geäußert werden, sind teilweise absurd. Henning Lobin, Direktor des Leibnitz-Instituts für Deutsche Sprache und Mitglied des Rechtschreibrats, begründete seine Kritik im Deutschlandfunk damit, dass bei bestimmten Begriffen wie Kollege und Kollegin, im Plural Kolleg:innen, die männliche Form im Plural nicht mehr erkennbar sei. Also Frauen brauchen im Plural nicht sichtbar sein, Männer dagegen schon? 

Die Gesellschaft unterliegt einem ständigen Wandel, auch die Sprache entwickelt sich fortwährend weiter. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Die Texte von Walther von der Vogelweide, eines der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker des Mittelalters, würden wir heute ohne moderne Übersetzung nicht verstehen. Oder dass zu Goethes Zeiten merkwürdig nicht seltsam, sondern wortwörtlich des Merkens würdig hieß. 

Auch die Globalisierung wirkt sich auf unseren Sprachgebrauch aus. Anglizismen sind mittlerweile tief in der deutschen Sprache verankert. 2018 wurde das Gendersternchen sogar als Anglizismus des Jahres gekürt. Die Jury setzte damit ein bedeutendes Zeichen und verwies auf die Wichtigkeit der sprachlichen Gleichbehandlung aller Geschlechter. Selbst der Duden führte in seiner letzten Auflage 2020 auf, dass mit dem generischen Maskulinum sprachlich nicht eindeutig sei, „ob nur auf Männer referiert wird oder ob auch andere ­Personen gemeint sind“. Unter dem Kapitel Geschlechtergerechter Sprachgebrauch werden verschiedenste Möglichkeiten zur Sichtbarmachung genannt – vertreten sind auch Asterisk, Glottisschlag, Binnen-I und andere Sonderzeichen. 

Sprache ist Macht: Das generische Maskulinum ist nicht generisch

Sprache ist das Spiegelbild unserer Gesellschaft und sollte daher – und das ist längst überfällig – einem Gerechtigkeitsideal folgen. Denn Demokratie kann nur gelebt werden, wenn auch die Sprache die Gesellschaft in all ihren Facetten repräsentiert. 

Bewusst wird das oft an Beispielen wie diesen: Wenn man von protestierenden Grundschullehrern spricht und nach den Regeln des generischen Maskulinums geht, dass Lehrerinnen mitgemeint seien, ist es schon deswegen problematisch, da an Grundschulen 90 Prozent Frauen arbeiten. Wäre hier nicht eher ein generisches Femininum angebracht? Denn Sprache ist Macht, kreiert Bilder im Kopf und schafft Wirklichkeit. Und wenn Linguist:innen von der Wirklichkeit sprechen, dann meinen sie die soziale. 

„Umgekehrt können wir auch sagen, wenn nie über etwas gesprochen wird, dann existiert es nicht in der sozialen Welt“, so präzisiert es die Philologin Heidrun Deborah Kämper. Ein Experiment mit knapp 600 Grundschulkindern zeigte, dass Sprache auch unsere Jobwahl beeinflusst. Bei der Nennung von beiden Formen, so etwa bei Ingenieur und Ingenieurin, trauten sich auch mehr Mädchen, typische Männerberufe zu ergreifen. Aber auch Jungs konnten sich stärker für weiblich deklarierte Berufe interessieren, wenn gegendert wurde. 

Wie viel Gleichstellung verträgt die Gesellschaft?

Viele sehen aber im Gendern eine Ideologie, mitunter auch eine fanatische. Dabei folgt es dem Grundwert der Gerechtigkeit und setzt ein Zeichen, dass man die andere Hälfte der Bevölkerung ernst nimmt und auch diejenigen berücksichtigt, die sich dazwischen orientieren. Dennoch wird das Gendern sowohl von links als auch von rechts in einem endlosen Identitätskampf instrumentalisiert. Und oftmals auch in eine Elitediskussion umgewandelt. Doch Gendern sollte einfach und einladend sein. 

Mit Gendern werde ein Sprachkorsett auferlegt, es bevormunde. Das Gendern schreibe dem Geschlecht eine viel zu große Bedeutung in Fällen zu, die nichts mit dem Geschlecht zu tun hätten. Unterschiede träten dadurch noch mehr in den Vordergrund. Das Gendern trage zur Sexualisierung der Sprache bei und würde sie nur unnötig politisieren. So heißt es von Team Gender-Gaga. Doch all diese Argumente sind leicht zu entkräften.

Denn für mehr Sichtbarkeit in der Sprache zu sorgen, folgt keiner vorschreibenden Agenda. Und wenn die Benutzung von Sonderzeichen immer noch wie ein Dorn im Auge scheint, gibt es die Alternative, aktiv auf das generische Maskulinum zu verzichten. Als Kompromiss können neutrale Begriffe wie zum Beispiel Lehrende und Studierende oder sowohl die weibliche als auch die männliche Form gebraucht werden. 

Daher sollten wir darüber reden. Gendern muss nicht zur Pflicht werden, aber ein sensiblerer Umgang wäre endlich wünschenswert. Das Gendern schafft keine Probleme, es spiegelt einfach nur die Wirklichkeit wider.