Sprachwissenschaftler und Philologen aus ganz Deutschland haben sich mit ihrer Kritik an geschlechtergerechter Sprache im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) mit einem offenen Brief an sämtliche 450 Rundfunkräte gewandt. Zuerst berichtete die Tageszeitung Die Welt. Es sind dieselben, die 2022 einen entsprechenden Aufruf gestartet hatten, die Liste der Unterzeichner ist seither stark angewachsen. Rund 700 Menschen mit einem sprachwissenschaftlichen Hintergrund haben unterschrieben, darunter Mitglieder des Rates für deutsche Rechtschreibung, Angehörige der Gesellschaft für deutsche Sprache und des PEN Deutschland. Im Aufruf heißt es: Die sogenannte Gendersprache sei ideologisch, missachte gültige Rechtschreibnormen und produziere „sozialen Unfrieden“. Im aktuellen offenen Brief beklagen die Unterzeichner, dass sich die Sendeanstalten bis zum heutigen Tag nicht substanziell zu den im Aufruf erhobenen Vorwürfen geäußert hätten.
Im Aufruf heißt es: „Wir fordern die Abkehr von einem Sprachgebrauch, der stark ideologisch motiviert ist und überdies – so zeigen es alle aktuellen Umfragen – von der Mehrheit der Bevölkerung (circa 75–80 Prozent) eindeutig abgelehnt wird.“ Auf die Ablehnung der Gendersprache durch die Mehrheit macht auch der offene Brief wieder aufmerksam: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk kennt all diese Umfragen und wird überdies mit wütender Zuschauerpost geflutet – und gendert dennoch unverdrossen und beharrlich weiter. Wenn viele Journalisten aus den Sendeanstalten an einem vermeintlich progressiven und ‚geschlechtergerechten‘ Jargon festhalten, dokumentiert das eine tiefe Entfremdung zwischen Medienmachern und ihrem Publikum. Dass die Mehrheit ihrer Rezipienten den gewohnten Sprachgebrauch präferiert, scheint vielen Journalisten gleichgültig zu sein. Sie beharren auf ihrem pädagogischen Sprachprojekt und bemerken nicht, dass sich das Publikum abwendet, weil es keine Umerziehung wünscht.“
Die Sprachverwendung des ÖRR sei Vorbild und Maßstab für Millionen von Zuschauern, Zuhörern und Lesern, schreiben die Verfasser. Daraus erwachse für die Sender die Verpflichtung, sich in Texten und Formulierungen an geltenden Sprachnormen zu orientieren und mit dem Kulturgut Sprache regelkonform, verantwortungsbewusst und ideologiefrei umzugehen.
Gendersprache wird als Jargon einer Elite wahrgenommen
Die Initiatoren des Aufrufs bitten die Adressaten, ihren Einfluss als Mitglieder des Rundfunkrates geltend zu machen und auf folgende Punkte hinzuweisen:
„1. Das Vertrauen der Bürger in die öffentlich-rechtlichen Medien nimmt seit Jahren ab. Hierzu trägt auch die ‚gendergerechte Sprache‘ maßgeblich bei, die von vielen als Jargon einer Elite wahrgenommen wird.
2. Der ÖRR missachtet durch Nutzung einer ideologisch motivierten Sprache die Vorgaben des Medienstaatsvertrags, der ihn zu Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, zu Meinungsvielfalt sowie Ausgewogenheit seiner Angebote verpflichtet: § 26 (2).
3. Der ÖRR stiftet mit seinem Sprachgebrauch beachtlichen sozialen Unfrieden und schwächt damit zugleich seine wichtige Rolle in einer freien und unabhängigen Medienlandschaft, die eine ganz wesentliche Säule unserer Demokratie ist. Für die ‚gendersensible‘ Umgestaltung der Sprache gibt es keinerlei demokratische Legitimation. Wer den vielfach eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen der großen Mehrheit der Sprachgemeinschaft missachtet, um den eigenen – vorgeblich geschlechtergerechten – Soziolekt durchzusetzen, verhält sich undemokratisch.
4. Durch den fortgesetzten Gebrauch alternativer Sprachformen riskiert der ÖRR die Beschädigung einer verbindlichen und verbindenden Sprache, die alle Menschen unserer Sprachgemeinschaft erreicht – und erschwert die Integration jener, die unsere Sprache erst von Grund auf erlernen müssen.
5. Der ÖRR propagiert einen edukativen Sprachgebrauch, der bei der Mehrheit der Bevölkerung starke Ablehnung erfährt. Die Menschen möchten verständlich und unkompliziert kommunizieren, ohne den Zwang, ständig Signale politisch korrekter Gesinnung in ihre Texte einbauen zu müssen.“
Der ÖRR sei kein Ort für politischen Aktivismus
Der mündige Bürger verdiene eine wertschätzende und diskriminierungsfreie Ansprache durch den ÖRR, heißt es weiter. Er müsse davon ausgehen, dass der ÖRR ihn als vernunftbegabtes Wesen adressiert und nicht als erziehungsbedürftigen Gebührenzahler, der auf die Sprachtugenden eines begrenzten politischen Spektrums eingeschworen werden muss. Der ÖRR sei kein Ort für politischen Aktivismus. Gleichzeitig heißt es im offenen Brief: „Wir begrüßen mit Nachdruck jedes sinnvolle Engagement für Gleichberechtigung.“




