Washington präsentiert der Ukraine ein erweitertes Angebot für Sicherheitsgarantien nach dem Vorbild von Artikel 5 der Nato. Eine hochrangige Militärdelegation der USA unter Leitung von Heeresminister Dan Driscoll legte dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag in Kiew neben dem 28-Punkte-Friedensplan ein zweites Dokument vor, wie das amerikanische Nachrichtenportal Axios berichtet.
Darin verpflichten sich die USA und ihre Verbündeten, jeden künftigen „signifikanten, vorsätzlichen und anhaltenden bewaffneten Angriff“ Russlands auf die Ukraine als Angriff auf die gesamte transatlantische Gemeinschaft zu betrachten. Im Falle eines solchen Angriffs würden die USA entsprechend reagieren, auch mit militärischer Gewalt. Die Sicherheitsgarantie soll zunächst für zehn Jahre gelten und könnte im gegenseitigen Einvernehmen verlängert werden.
Wie berichtet, lag der Berliner Zeitung bereits im Vorfeld exklusiv ein Papier mit genau diesen Sicherheitsgarantien vor. Das Dokument und seine Kernpunkte fanden über informelle Kanäle der sogenannten Track-2-Diplomatie Eingang in die Verhandlungen. Diese inoffiziellen diplomatischen Initiativen zwischen ukrainischen und russischen Akteuren aus Elitezirkeln sowie Staatsangehörigen mit Pässen der EU, Israels und der USA fanden an verschiedenen Orten statt, darunter Moskau, Genf und Istanbul.
Verhandlungsmasse für schmerzhafte Kompromisse
Die Trump-Regierung betrachtet die vorgeschlagenen Sicherheitsgarantien als „großen Gewinn“ für Selenskyj, wie ein hochrangiger Beamter des Weißen Hauses mitteilte. Das Angebot markiert einen bedeutenden Kurswechsel Washingtons, das sich bisher geweigert hatte, weitreichende Sicherheitsgarantien für die Ukraine zu übernehmen.
Die Garantien werden nun als Verhandlungsmasse eingesetzt, um Kiew zu schmerzhaften territorialen Zugeständnissen zu bewegen. Der 28-Punkte-Plan sieht vor, dass der gesamte Donbass an Russland fällt und die Ukraine eine Armee von maximal 600.000 Soldaten unterhalten darf – deutlich weniger als die derzeit etwa 850.000 Soldaten, aber erheblich mehr als die 250.000 in Friedenszeiten vor dem Krieg.
Laut dem russischsprachigen Exilnachrichtenportal Meduza umfassen die diskutierten Zugeständnisse weitere heikle Punkte: Russland würde auf eine offizielle Anerkennung seiner „neuen Grenzen“ verzichten, müsste aber formal annektierte Gebiete in Cherson und Saporischschja aufgeben, die es noch nicht besetzt hält. Moskau würde seine Stellungen in den Regionen Charkiw und Dnipropetrowsk räumen. Zudem würde Russland eingefrorene Vermögenswerte in Höhe von 280 Milliarden Dollar verlieren, wovon 100 Milliarden für den Wiederaufbau der Ukraine vorgesehen wären.
Druck aus Washington auf Ukraine nimmt zu
Reuters berichtet unter Berufung auf zwei mit der Angelegenheit vertraute Personen, dass Washington den Druck auf die Ukraine massiv erhöht habe. Die US-Regierung drohe damit, die Weitergabe von Geheimdienstinformationen und Waffenlieferungen einzustellen, sollte Kiew dem Vorschlag nicht zustimmen. Die USA wollen demnach, dass die Ukraine bis zum kommenden Donnerstag ein Rahmenabkommen unterzeichnet.
„Sie wollen den Krieg beenden und wollen, dass die Ukraine den Preis dafür zahlt“, sagte eine der Personen gegenüber Reuters. Die Regierung in Kiew stehe unter größerem Druck aus Washington als bei allen früheren Friedensgesprächen.
Der ukrainische Präsident hatte wiederholt darauf beharrt, dass die Ukraine für einen Friedensschluss belastbare Sicherheitsgarantien benötige – entweder als Nato-Mitglied oder nach Nato-Vorbild. Selenskyj erklärte mehrfach, dass die Ukraine ohne echte Sicherheitsabkommen mit dem Westen ihre „eigene Nato“ bräuchte – eine starke Armee zur Abschreckung Russlands. Die nun diskutierte Truppenstärke von 600.000 Mann entspräche immer noch Europas größter Armee.
Berlin bleibt außen vor
Während Washington, Kiew und Moskau über die Details verhandeln, scheint Berlin keine aktive Rolle zu spielen. Wie die Berliner Zeitung berichtete, liegen übereinstimmende Berichte vor, wonach das Kanzleramt bereits am 4. November über den Friedensplan informiert wurde. Sicherheitskreise, die den Kanzler und seinen Stab in geopolitischen Angelegenheiten beraten, sollen sogar schon am 29. Oktober Bescheid gewusst haben.
Auch deutsche Nachrichtendienste kannten die Details; der Nationale Sicherheitsrat diskutierte sie am 11. November. Der Entwurf wurde über gesicherte Kanäle ins Kanzleramt getragen, begleitet von Signalen, dass an einem Deal zur schrittweisen Konfliktbeilegung unter Einbeziehung der Ukraine gearbeitet werde.




