„Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“, das ist die wohl bekannteste Stelle des berühmten „Pippi Langstrumpf“-Lieds. Die kommt einem unwillkürlich in den Sinn, wenn man den Tweet der Kommissionspräsidentin der Europäischen Union, Ursula von der Leyen, zu ihrem Gas-Deal mit Baku liest: „Die EU setzt auf vertrauenswürdige Energielieferanten. Aserbaidschan ist einer von ihnen.“ Echt jetzt?
Die EU-Staaten, insbesondere Deutschland, müssen ihre Gasimporte diversifizieren. Das ist bekannt, und Fehler der vergangenen Jahrzehnte sollen innerhalb weniger Monate ausgebügelt werden. Angesichts des russischen Krieges in der Ukraine versucht die westliche Staatengemeinschaft die Gasabhängigkeit von Moskau zu verringern. Deutschland bezog im vergangenen Jahr 55 Prozent seiner Erdgasimporte aus Russland. Vor dem aktuellen Lieferstopp durch die Wartungsarbeiten an Nord Stream 1 waren es noch 35 Prozent.
Aber ist Aserbaidschan wirklich eine „zuverlässige“ Alternative zum russischen Gas, wie es von der Leyen Anfang dieser Woche der europäischen Öffentlichkeit verkauft?
Irgendwo zwischen Putin und Lukaschenko
Einige Fakten zu Aserbaidschan: Das Land ist im Demokratieindex 2021 auf Rang 141. Selbst Wladimir Putins Russland war vergangenes Jahr 15 Plätze besser, aber immerhin hat es der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev knapp fünf Plätze vor Alexander Lukaschenkos Belarus geschafft.
Reporter ohne Grenzen betrachten die Lage der Pressefreiheit in Aserbaidschan als „sehr ernst“. Das Land ist damit in einer Kategorie mit Nordkorea, Kuba, Venezuela und natürlich Russland und Belarus.
The EU is turning to trustworthy energy suppliers.
— Ursula von der Leyen (@vonderleyen) July 18, 2022
Azerbaijan is one of them.
With today's agreement, we commit to expanding the Southern Gas Corridor, to double gas supplies from Azerbaijan to the EU.
This is good news for our supplies of gas this winter and beyond. pic.twitter.com/j1sVcv10z6
Im Korruptionsindex von Transparency International liegt Aserbaidschan auf Rang 128 von 180. Und auch im Global Gender Gap Report von 2022 schneidet das Land am Kaspischen Meer mit Platz 101 eher im unteren Mittelfeld ab, obwohl doch auch von der Leyen sich vornahm, weltweit die Geschlechtergerechtigkeit zu fördern. Wie kommt also die Kommissionspräsidentin darauf, dass Baku ein „vertrauenswürdiger“ Partner sei?
Die Formulierungen wie „Baku sei ein Partner“ erinnern stark an deutsche Außenminister der Ära Merkel. Von Steinmeier bis Maas haben deutsche Minister russisches Gas und Nord Stream 2 stets verteidigt und das gegen die Interessen und Bedenken der Ukraine und ihrer östlichen Partner in der EU. Seit dem 24. Februar 2022 ist es nun ruhig um sie geworden. Der Schock über die fundamentalen Fehleinschätzungen der europäischen Sicherheitspolitik sitzt tief.
Wieso begeht von der Leyen dann fünf Monate nach der russischen Invasion denselben Fehler – Deals mit Diktaturen abzuschließen – wie ihre deutschen Kollegen vor fünf, zehn oder 20 Jahren? In ihrem veröffentlichten Statement zum Aserbaidschan-Deal kommen jedenfalls die Worte Frieden oder Demokratie nicht vor. Aber um was geht es denn der Europäischen Union bei der Gasdiversifizierung, wenn nicht um Frieden?


