Streit in der Ampelkoalition

Kinder, Flüchtlinge, Ehepaare: Bei diesen Themen kann die Ampel scheitern

In der Ampel geht der Zoff trotz Sommerpause weiter. SPD, Grüne und FDP streiten ums Geld, aber auch über Grundsatzfragen. Das sind die größten Baustellen.

Sind sich nicht immer einig: Wirtschaftsminister Robert Habeck (l.), Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner (r.).
Sind sich nicht immer einig: Wirtschaftsminister Robert Habeck (l.), Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner (r.).Michael Kappeler/dpa

Das Zeugnis für die Bundesregierung fällt kurz vor der Sommerpause miserabel aus. Die Wähler sind laut Umfragen immer unzufriedener mit der Arbeit von SPD, FDP und Grünen. Nicht gerade dienlich ist dabei, dass weiter gestritten wird in der Koalition – sei es übers Ehegattensplitting, das Elterngeld oder das gerade ausgebremste Heizungsgesetz. Doch auch der Umgang mit Migration und der Arbeitswelt wird die Ampel weiter beschäftigen. In allen Punkten zeigt sich erneut, dass die Interessen der einzelnen Parteien oft weit auseinanderliegen. Ein Überblick.

1. Der Streit ums Geld

Kein Steuersplitting mehr für künftig Neuvermählte, Elterngeld nur noch für geringere Gehaltsgruppen und dann zu guter Letzt die Frage, was mit der im Koalitionsvertrag vereinbarten Kindergrundsicherung ist. An Vorschlägen, die für Zoff zwischen den Koalitionären sorgen, mangelt es vor allem in diesem Bereich nicht.

Alle Themen sind angesiedelt im Bundesfamilienministerium von Lisa Paus (Grüne), die ermahnt worden war, den Gürtel enger zu schnallen. Sie machte Vorschläge – und brachte die FDP auf die Barrikaden. Und dann holte die SPD diese Woche auch noch zum Doppelschlag aus – und erzürnte die Liberalen erneut. Die selbsternannte Fortschrittskoalition steckt auch damit in einer weitestgehend hausgemachten Krise.

Darum geht es beim Elterngeld: SPD und Grüne waren sich einig, dass dort kräftig gespart werden könne, wenn die Einkommensgrenze gesenkt wird. Dass Paare, die ab 150.000 Euro jährlich verdienen, ausgeschlossen werden sollten. Die Grenze geht bis zu 300.000 Euro jährlichen Einkommens. Der FDP passt das gar nicht. Auch Gutverdiener sollten diesen Anreiz erhalten, bis zu 14 Monate lang 65 Prozent des Nettogehalts zu beziehen. Das Streitpotenzial bleibt hoch, denn beim Elterngeld soll es schnell gehen: Der Bundeshaushalt soll im Dezember beschlossen werden, die Streichung des Elterngeldes für Wohlhabende gilt dann schon ab Januar.

Der zweite Streich der SPD folgte sogleich: Parteichef Lars Klingbeil forderte das Ende des Ehegattensplittings, als eine Variante, das Elterngeld nicht anzutasten. Dem schloss sich Generalsekretär Kevin Kühnert an, der mit einer „gerechteren Form der  Einkommensteuer“ argumentierte.

Wer immer neue Vorschläge macht, die dem Koalitionsvertrag widersprechen, der provoziert immer wieder neu Widerspruch und Streit.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai Richtung SPD

Bislang habe das Gemeinwesen auf fast 20 Milliarden Euro pro Jahr verzichtet, indem „wir uns ein Steuerprivileg leisten, das insbesondere viele Frauen vom Arbeitsmarkt fernhält“, sagte Kühnert. Hintergrund: Das Ehegattensplitting ist vor allem für Paare vorteilhaft, deren Einkommen weit auseinanderklaffen. Kritiker sehen darin einen Anreiz dafür, dass insbesondere Ehefrauen weniger arbeiten und verdienen. Zudem wird eine finanzielle Bevorzugung verheirateter Paare gegenüber unverheirateten Paaren beklagt.

Die Lunte war dennoch gelegt, die FDP protestierte und Generalsekretär Bijan Djir-Sarai warnte: „Wer immer neue Vorschläge macht, die dem Koalitionsvertrag widersprechen, der provoziert immer wieder neu Widerspruch und Streit.“

Diese Themen werden eine der großen Baustellen nach der Sommerpause bleiben, gerade beim Ehegattensplitting. Denn auch die Union will es beibehalten. Dazu gesellen wird sich ein Streit zur Kindergrundsicherung, die manche Politiker bereits jetzt schon am liebsten aus dem Koalitionsvertrag streichen würden. Laut Finanzminister Christian Lindner (FDP) sind dafür zwei Milliarden Euro als „Merkposten“ angesetzt. Familienministerin Paus, die sich von Kanzler Olaf Scholz kritisieren lassen musste, noch gar kein Konzept gemacht zu haben, rechnete zunächst mit zwölf Milliarden Euro. Diese Ansprüche schraubte sie aber mittlerweile runter.

Dann wird die Kindergrundsicherung wohl nicht mehr ganz so hoch ausfallen, obwohl sie armen Familien helfen sollte. Sie wird sich aus einem Garantiebetrag und einem Zusatzbetrag zusammensetzen. Mit dieser Summe sollen einige Sozialleistungen für Kinder wie Kindergeld, Kinderfreibetrag oder Kinderzuschlag gebündelt werden und Familien zufließen, ohne dass sie einzeln beantragt werden müssen. Spätestens im Herbst wird darüber gestritten werden. Dann soll der Gesetzentwurf eingebracht werden.

2. Das leidige Heizungsgesetz

Auch in diesem Bereich wird der Streit nicht weniger. Erst wochenlange Debatten, der Zoff zwischen Grünen und FDP. Letztere weigerten sich, dass der Gesetzentwurf in den Bundestag kommt. Es gab Krisenrunden, Einigkeit – und verbreitete Zuversicht, dass das Gesetz vor der Sommerpause verabschiedet wird. Mitnichten. In letzter Minute machte das Bundesverfassungsgericht nach einer Klage des Berliner CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Heilmann der Koalition einen Strich durch die Rechnung und legte alles auf Eis. Die Begründung der höchsten Richter: Der Bundestag benötige mehr Beratungszeit für das Gesetz, um gegebenenfalls weiter nachbessern zu können.

Inzwischen droht neuer Streit rund um die Wärmepumpen. Wirtschaftsverbände erwägen laut Medienberichten zu klagen, weil sie sich übergangen fühlen. Die Ampelkoalition habe deren Verbesserungsvorschläge nicht berücksichtigt, so der Vorwurf. Dabei hätten SPD, Grüne und FDP zuvor extra Experten um ihre Meinung gebeten, was noch geändert werden sollte.

Es bleibt also turbulent, auch wenn alle sichtlich erschöpft wegen dieses Heizungs-Traras sind. Es kann gut sein, dass die Verabschiedung des Gesetzes weiter nach hinten verschoben wird.

3. Ungelöste Migrationsfragen

Geht es nach Olaf Scholz, war der Migrationsgipfel im Mai nichts anderes als ein Erfolg. Das ist natürlich wenig überraschend, immerhin ist dieser Kanzler nicht für seine Bescheidenheit bekannt. Eine Milliarde Euro, so das zentrale Ergebnis der Beratungen, wird der Bund zusätzlich für die Länder und Kommunen bereitstellen. Eine Einmalzahlung. Doch die grundlegenden Probleme, bei der Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten, sie bleiben bestehen.

Denn es fehlt nicht nur an Wohnraum, sondern auch an Lehrern, Kita- und Schulplätzen. Viele Städte und Gemeinden klagen weiterhin, sie sehen sich am Limit. Um die Flüchtlingszahl zu reduzieren, hat die Bundesregierung gleich mehrere Ideen: erleichterte Abschiebungen, schnellere Asylverfahren, neue Migrationsabkommen mit Herkunftsländern.

Doch all das, so viel ist klar, wird kein Selbstläufer. Nachdem der Streit über Asylverfahren an den EU-Außengrenzen für innerparteilichen Unmut bei den Grünen sorgte, dürfte deren Parteispitze viel daran gelegen sein, die eigenen Reihen nicht noch mal zu verschrecken. Heißt: Gerade FDP und Grüne könnten aneinandergeraten, wenn es um die deutliche Begrenzung des Zuzugs geht. Der Vorstoß von FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, Asylbewerber sollten Sachleistungen statt Geld erhalten, stieß derweil auch bei der SPD auf Kritik.

4. Wo bleibt die China-Strategie?

Die Bundesaußenministerin war noch nicht aus Peking zurück, da sickerte die Fundamentalkritik des konservativen SPD-Flügels schon an die Medien durch. In einem Thesenpapier forderte der Seeheimer Kreis eine pragmatische China-Politik, warnte vor einer „Anti-China“-Strategie. Die eigentlichen Adressaten des Papiers: Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck.

In den Augen der Genossen setzten die beiden Grünen im Umgang mit Peking mehr auf „innenpolitische Strahlkraft“ als auf eine „weitsichtige Politik“. Bedeutet: zu viel Konfrontation mit China, und das zulasten der Beziehungen mit dem wichtigsten Handelspartner.

Seit Baerbocks Reise in die Volksrepublik – auf der sie auch heikle Themen wie Taiwan oder die Unterdrückung der Uiguren nicht ausließ – ist es zwar ruhiger geworden in der Frage. Doch der grundlegende Konflikt bleibt bestehen: Während die Grünen China mittlerweile vor allem als Systemrivale sehen und vor Abhängigkeiten warnen, wollen große Teile der SPD die wirtschaftliche Partnerschaft nicht all zu sehr gefährden. Die gemeinsame China-Strategie der Ampelkoalition lässt jedenfalls weiter auf sich warten.

5. Glaubensfragen in der Wirtschaft

Einig sind sich SPD, Grüne und FDP, dass sie sich in den kommenden Monaten mehr um die Wirtschaft kümmern wollen. Das haben Spitzenpolitiker der Ampel erst kürzlich angekündigt. „Der Koalitionsvertrag enthält noch eine Fülle von Vorhaben, die es umzusetzen gilt“, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich der FAZ. Als Beispiel nannte er unter anderem eine stärkere Tarifbindung.

Naturgemäß dürften es hier vor allem Sozialdemokraten und Liberale sein, die in Einzelfragen aneinandergeraten. So wird die FDP – Koalitionsvertrag hin oder her – ihre Fühler zu den Arbeitgebern ausstrecken. Schon Ende 2022 hatte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger gewarnt, man könne „eine höhere Tarifbindung nicht erzwingen“. Hinzu kommen sozialdemokratische Vorstöße wie der von Parteichefin Saskia Esken, die sich für eine Viertagewoche ausspricht. Auch das sorgt bei der FDP nicht für Begeisterungsstürme.

Einen Vorgeschmack auf mögliche wirtschaftspolitische Streitereien hat der jüngste Zoff über den Mindestlohn gegeben. Die SPD will ihn auf 14 Euro erhöhen. Die FDP verweist auf die zuständige Mindestlohnkommission, sie wehrt sich gegen einen zu großen Einfluss der Politik. FDP-Vize Johannes Vogel sprach gar von einem „politischen Sündenfall“, sollte sich SPD-Chef Lars Klingbeil durchsetzen, der das Niveau an die europäische Mindestlohnrichtlinie anpassen will.