Krieg in der Ukraine

Die EU hat die Einreise für Russen erschwert: Was kommt jetzt?

Ein Abkommen zur Erleichterung der Visavergabe wurde ausgesetzt. Länder wie Finnland und Estland plädieren aber immer noch für härtere Regelungen.

Erschwerte Einreise für Russen: Eine Touristin bei der Passkontrolle. 
Erschwerte Einreise für Russen: Eine Touristin bei der Passkontrolle. dpa/Marius Becker

Mögliche Einreisebeschränkungen für russische Besucher in die EU sind in den vergangenen Wochen heftig debattiert worden. Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine weigern sich einige Länder, Russen als normale Touristen zu akzeptieren. In Finnland und im Baltikum sind schon einige Maßnahmen verhängt worden, um die Zahl russischer Einreisenden zu begrenzen, Spitzenpolitiker rufen ihre Kollegen in ganz Europa dazu auf, dasselbe zu tun. Dabei haben sie die Unterstützung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: „Es muss gewährleistet sein, dass russische Mörder und Helfer des Staatsterrors nicht Schengen-Visa nutzen“, sagte er im August in Kiew. Es dürfte nicht sein, dass Russen in Frankreich oder Italien Urlaub machen können, während ihre Regierung einen brutalen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine führt.

Die Debatte spaltet stark, das Thema trendet wiederkehrend in den sozialen Medien. Die Menschen fragen sich: Ist das gerecht, normale Russen quasi zu bestrafen? Ändert das etwas am Kriegsverlauf? Am Mittwoch dieser Woche setzten die Außenminister der EU ein Abkommen mit Russland von 2007 aus. Es regelte bisher die Erleichterung der gegenseitige Visavergabe.

Das Abkommen wurde bereits am 25. Februar im direkten Anschluss auf den russischen Überfall auf die gesamte Ukraine teilweise ausgesetzt, das betraf aber nur offizielle russische Delegationen und Geschäftsleute. Jetzt betrifft es alle. Die Entscheidung werde die Zahl neuer Visa, die von der EU ausgestellt werden, „bedeutsam vermindern“, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.

Das Visaabkommen vom Jahr 2007 war eine speziell für Russland geltende Ergänzung des seit 2010 geltenden Visakodex der EU. Dieser Visakodex ist nach wie vor gültig, und russische Staatsbürger, die in die EU reisen wollen, unterliegen weiterhin seinen Regelungen. „Die Visavergabe erfolgt nicht willkürlich“, erklärt Dr. Christoph Holtwisch, Professor für Europarecht an der Internationalen Hochschule Münster (IU): „Ein Anspruch auf Visum-Erteilung an sich besteht, sofern keine in den Regelungen genannten entgegenstehenden Ausschlussgründe vorliegen – z. B. Gefahren für die innere Sicherheit oder die internationalen Beziehungen.“

Jeder Visumsantrag müsse individuell geprüft und beschieden werden – allein wegen der Staatsbürgerschaft kann ein Visumsantrag nicht abgelehnt werden. Etwa „aus Erwägungen der öffentlichen Ordnung, der nationalen Sicherheit oder des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung“ könne die Visavergabe einer Person verweigert werden, sagt Holtwisch. Er beobachtet, dass diese Kriterien „heutzutage anders gewertet und deutlich strenger ausgelegt werden als vor dem Ukraine-Krieg“.

12 Millionen Russen haben bestehende Schengen-Visen

Die Aussetzung des Visaabkommens hat keinen Einfluss darauf, dass es derzeit mehr als 12 Millionen Menschen in Russland gibt, die ein geltendes Visum für den Schengen-Raum besitzen – denn diese werden für bis zu fünf Jahre ausgestellt. Nach Vorschrift des EU-Grenzkodex kann einer Person mit bestehendem EU-Visum die Einreise erst aus den gleichen Sicherheitsgründen geweigert werden – und nicht einfach aufgrund der Staatsbürgerschaft.

Die FAZ berichtet allerdings, dass die baltischen Staaten auf dem Außenministergipfel in Prag auf eine entsprechende Änderung des Grenzkodex drängten, was unter anderem von Deutschland und Frankreich abgelehnt wurde. So kurzfristig sei eine Änderung oder Aufhebung des Visakodex auch nicht zu erreichen, sagt Christoph Holtwisch, denn diese wäre nur „im üblichen EU-Rechtsetzungsverfahren unter Beteiligung verschiedener EU-Organe“ möglich.

Finnland und die baltischen Länder haben sich seit Beginn der Visadebatte am nachdrücklichsten für neue Regelungen für russische Staatsbürger eingesetzt. Seitdem die EU den Luftverkehr mit Russland als weitere Folge des Krieges in der Ukraine ausgesetzt hat, sind die Landgrenzen zwischen der EU und Russland zu einem viel beliebteren Übergangspunkt in die EU geworden. Im August sagte der estnische Außenminister Urmas Reinsalu, die Zahl der russischen Staatsbürger, die nach Estland einreisen oder durch Estland reisen, sei „enorm gestiegen“ seit dem Überfall auf die Ukraine. Auf Nachfrage der Berliner Zeitung konnten aber weder das estnische Außenministerium noch die Grenzpolizei diese Aussage mit Daten belegen.

Deutschland könnte Einschränkungen wie im Baltikum rechtlich schwer begründen

Seit dem 18. August verweigert Estland russischen Touristen, die mit einem zuvor von Estland ausgestellten Schengen-Visum einreisen, die Einreise ins Land: Eine Ausnahme besteht allerdings für russische Staatsbürger, die ein von einem anderen Mitgliedstaat ausgestelltes Visum besitzen, eine Aufenthaltsgenehmigung in Estland haben oder Verwandte besuchen. In Finnland werden seit Anfang September nur 10 Prozent der bisherigen Einreisegenehmigungen für Russen gestattet. Lettland stellt nur Visen an Russen aus, die für eine Beerdigung eines nahen Verwandten einreisen wollen.

Das ist aber kein Modell für Deutschland. „Je weniger ein Staat russisch beeinflusst und beeinflussbar ist, desto schwieriger ist es für ihn, Einreiseverbote rechtlich sauber zu begründen“, sagt Christoph Holtwisch. Länder wie Finnland, die eine 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland teilen, oder Estland, wo fast 25 Prozent der Bevölkerung russischer Herkunft sind, können ihre Einschränkungen für Einreisende aus Russland also rechtlich sehr viel besser begründen.

Er hält es für unwahrscheinlich, dass ein Staat wie Deutschland sich kurzfristig den Forderungen der baltischen Länder anschließen könnte. „Auch wenn bei einem entsprechenden politischen Willen eine rechtliche Begründung sich sicherlich konstruieren ließe, diesen politischen Willen sehe ich in Deutschland aktuell nicht“, fügt er hinzu.

Die Bundesregierung hat ohnehin keine konkreten Pläne, russischen Zivilisten die Einreise nach Deutschland zu erschweren. Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kürzlich danach gefragt wurde, lehnte er ab und sagte: „Das ist Putins Krieg.“