Kommentar

Die CDU übt sich in Realitätsverweigerung

Altbekannte Kandidaten, der Bundesvorstand wird auch neu gewählt und die Basis darf ein bisschen mitreden. Das ist zu wenig.

Annegret Kramp-Karrenbauer
Annegret Kramp-Karrenbauerimago

Berlin-Die Natur der Gegensätze – nirgendwo kann man sie derzeit so schillernd betrachten wie bei der CDU. Die Partei hat die schlimmste Wahlniederlage in ihrer Geschichte eingefahren. Zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren erwies sich die Person an der Spitze als, nun ja, Fehlbesetzung. Annegret Kramp-Karrenbauer gelang es nicht, die eigene Partei zu befrieden, obwohl sie einen Ministerpräsidentenposten aufgegeben hat, um sich in den Dienst der CDU zu stellen. Armin Laschet funktionierte schlicht und ergreifend nicht als Spitzenkandidat, was absehbar war.

Dennoch will man angesichts der desolaten Lage nichts weniger als möglichst schnell im Konsens einen neuen Kandidaten aufs Podest hieven, dabei ganz nebenbei auch die eigenen aufgebrachten Mitglieder versöhnen und allen Ernstes auch das Angebot der Jamaika-Koalition aufrecht erhalten. Man kann es nur so erklären: Die Führung der CDU hat die wirkliche Lage noch nicht erkannt.

Nur mal ein paar kurze Fragen, um das Ausmaß der Realitätsverweigerung sichtbar zu machen: Angenommen, die Ampel-Verhandlungen scheitern Ende der Woche – wer in der Union stünde dann bereit, um Sondierungen mit FDP und Grünen aufzunehmen? Was sollte überhaupt nach Meinung der CDU in einem Koalitionsvertrag stehen? Wer sollte Kanzler werden?

Gnadenfrist für Laschet

Von Christine Dankbar

28.09.2021

Natürlich wird die Ampel nicht scheitern. Das darf sie gar nicht, wenn dieses Land in absehbarer Zeit eine handlungsfähige Regierung bekommen soll. Denn seit Montag ist klar: Die CDU braucht noch eine Weile, um ein paar Dinge auf die Reihe zu kriegen.

Der Chef der ansonsten nicht gerade aufmüpfigen Jungen Union hatte kürzlich erklärt, dass in der CDU kein Stein auf dem anderen bleiben dürfe. Übersetzt in die Vorstellungswelt der Parteioberen sieht das so aus: Am Montag erklärt der Bundesvorstand, dass er sich auch zur Neuwahl stellt. Vermutlich treten nicht wenige von ihnen wieder an. Ob es Selbstkritik gab, ist nicht überliefert. Generalsekretär Paul Ziemiak stellte diese Minimalvoraussetzung für einen Wahl-Parteitag gestern so dar, als strebe man einen schonungslosen Neubeginn an.

Doch der wird schon mangels Masse scheitern. Denn für den Posten an der Spitze stehen bis jetzt mal wieder ausschließlich Herren aus Nordrhein-Westfalen fest: Von Friedrich Merz erwartet man eine Kandidatur ebenso wie von Norbert Röttgen, vom Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann und diesmal auch wieder von Jens Spahn. Der hatte sich beim letzten Mal in den Dienst von Armin Laschet gestellt und das schnell bereut. Vielleicht gesellt sich noch Ralph Brinkhaus zu den Kandidaten dazu. Er hat – wenn auch nur bis April – derzeit das wichtigste Amt inne, das die Union derzeit zu vergeben hat, den Fraktionsvorsitz im Bundestag. Um das zu verteidigen, wäre der Parteivorsitz geradezu Pflicht.

Unklar ist, ob Armin Laschet den Prozess moderieren darf, so wie er es vorgeschlagen hat. Zimiak erklärte dazu am Montag, dass Laschet der gewählte Parteivorsitzende sei. Was man bisher so hört, will die CDU gerne mit einer Konsens-Kungel-Lösung aus der Personaldebatte herauskommen. Das wäre aus Sicht der Parteioberen schon deshalb günstig, weil man bis zum Jahresende eigentlich mit der Sache durch sein möchte.

Regelrechte Inhalte können bis dahin nicht gerade ausführlich besprochen werden. Das Thema wäre aber wichtig für die Union, die in den letzten Jahren immer Wichtigeres zu tun hatte, als ihr Grundsatzprogramm zu erneuern. Das ist zwar das erklärte Ziel, aber erst kam Corona dazwischen und dann der Wahlkampf. Leider, leider, aber regieren ist nun mal wichtiger.

Nach der Wahlschlappe: Wie sieht die inhaltliche Neuaufstellung aus?

Nach dieser Wahlschlappe sollte sich die CDU spätestens jetzt mit der Frage beschäftigen, in welche Richtung sie gehen möchte. Ein bisschen konservativer nach den Merkel-Jahren? Oder steht eine komplette Neudefinition als Volkspartei an? Diese Fragen sind keineswegs trivial, schließlich geht es um den Kurs der nächsten Jahre in einer sich rasant verändernden Welt. Für die Bundesrepublik wird da auch wichtig sein, wie intelligent die Opposition sein wird, die gegen die Regierung gemacht wird, die sich ja ausdrücklich als Zukunftsbündnis versteht.

Bis jetzt hat es nicht den Anschein, als sei die Parteiführung in der Lage, das adäquat zu strukturieren. Vielleicht kommen die Anregungen nun ja von der Basis. Sie darf am 30. Oktober zu Wort kommen, wenn die Kreisvorsitzenden eingeladen werden. Auf ihnen ruht jetzt eine Menge Verantwortung. Denn nach dem Bundesvorstandstreffen vom Montag ist klar: Wenn von der Basis kein frischer Wind kommt, dann wird er in der CDU so schnell nicht wehen.