Analyse

Angst vor dem Sieg der Ukraine: Liefert Scholz deshalb keine schweren Waffen?

Ein Grund für Deutschlands Zögern könnten Kiews militärische Erfolge sein. Mit mehr Panzern wollen sie sogar die Krim zurückerobern. Was würde Putin dann tun?

Mitte März wurde auf der Krim die „Wiedervereinigung“ gefeiert. Die Ukraine will auch die Halbinsel zurückerobern.
Mitte März wurde auf der Krim die „Wiedervereinigung“ gefeiert. Die Ukraine will auch die Halbinsel zurückerobern.imago

Olaf Scholz findet immer neue Gründe, weshalb Deutschland der Ukraine bestimmte Waffen nicht liefern könne. Mal hieß es, dass Bundeswehr und Rüstungsindustrie die gewünschten Panzer gar nicht mehr besäßen oder sie kaputt seien, dann, dass man sie selbst für die Landes- und Bündnisverteidigung brauchen würde. Zuletzt wurde erklärt, dass die Ukrainer Marder und Co. einfach nicht handhaben könnten. Die Ausbildung dauere zu lange.

Gleichzeitig werden für den Lieferprozess andauernd neue, komplizierte Formate ersonnen. Die Ukraine soll sich auf speziell zusammengestellten und mit der Rüstungsindustrie abgestimmten Listen Waffen aussuchen, die dann von der Bundesregierung bei den Rüstungsfirmen bestellt werden. Jetzt will man in einem neuen Verfahren namens Ringtausch Slowenien bitten, alte sowjetische Panzer in die Ukraine zu schicken und den Slowenen im Gegenzug deutsches Material geben.

Bei alledem herrscht weiterhin strengste Geheimhaltung. Selbst Bundestagsabgeordnete können sich nur in der Geheimschutzstelle des Bundestags darüber informieren, was geliefert wird und werden kann, und sind zum Stillschweigen verpflichtet. Verteidigungsministerin Lambrecht hatte behauptet, dass geschehe auf Wunsch der Ukraine. Kiew weiß davon allerdings nichts. Die Lieferungen bleiben trotzdem geheim.

All diese Gründe und Verfahren sind wenig plausibel. Einerseits sind unsere Marder alt und kaum in Schuss, gleichzeitig sollen sie aber für die Bündnisverteidigung der Nato so unentbehrlich sein, dass das gesamte Verteidigungsbündnis sie in Litauen nicht ersetzen könnte?

Das Argument, die Ausbildung würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen, ist zudem doppelt sinnlos. Wenn es dauert, müsste die Schulung eher früher als später beginnen. Und selbst wenn die Ukrainer die Panzer ohne Ausbildung haben wollen, wieso sollen sie sie nicht ohne bekommen? Über eine mangelnde Ausbildung bei eiliger Lieferung wird sich Kiew sicher kaum beklagen. Der Krieg hat gezeigt: Wenn es ums Kämpfen geht, wissen die Ukrainer sehr genau, was sie tun. Zudem haben ukrainische Truppen in den vergangenen Jahren eine umfassende Ausbildung von Nato-Partnern wie den USA und Großbritannien erhalten.

Die Ukraine ist gut darin, sich zu verteidigen. Manche befürchten: zu gut

Doch genau hier könnte der Schlüssel zur Erklärung von Scholz’ Verhalten liegen. Die Ukraine ist so gut darin, sich zu verteidigen, dass es für Putin sehr schlecht aussieht. Die russischen Truppen haben enorme Verluste hinnehmen müssen. Mehrere russische Generäle wurden in der Ukraine getötet. Der ursprüngliche russische Plan, Kiew und die gesamte Ukraine zu besetzen, ist krachend gescheitert. All das hatte kein Experte so kommen sehen. Das ukrainische Militär übertrifft alle Erwartungen. Die Moral der Truppe ist enorm.

Das amerikanische Verteidigungsministerium schätzt mittlerweile sogar, dass die ukrainische Armee bei gepanzerten Fahrzeugen den russischen Streitkräften zahlenmäßig überlegen ist. Insbesondere aufgrund von Lieferungen aus dem Ausland verfüge die Ukraine mittlerweile über mehr funktionstüchtige Panzer als Russland, sagte ein Pentagon-Sprecher. Zudem haben die Ukrainer von den Russen viele Panzer erbeutet und nutzen diese bereits in Kampfeinsätzen.

Wer bei den jüngsten Äußerungen ukrainischer Offizieller genau hinhörte, vernahm auch immer wieder, dass sie die Krim nicht aufgegeben haben. In einem Interview mit dem Spiegel sagte der Chef des ukrainischen Militärnachrichtendienstes, Generalmajor Kyrylo Budanow, ganz offen, dass man die schweren Waffen auch brauche, um die Halbinsel zurückzuerobern.

Das kann man als Propaganda überlesen. Doch als zuletzt der Sekretär des ukrainischen Sicherheitsrats, Olexij Danilow, erklärte, man würde die Brücke, die Russland zur Krim gebaut hat, beschießen, reagierte Kreml-Sprecher Peskow rasch entrüstet. Er nannte das die „Ankündigung eines Terroranschlags“ und völlig „inakzeptabel“. Der Mann scheint besorgt. Die Brücke ist die Hauptversorgungsader der russischen Truppen in der Region.

Könnte Putin also aus diesem Krieg mit weniger Territorium herauskommen, als er hineingegangen ist? Das ist für den russischen Machthaber keine Option. Russland marschiert ein, um das ganze Land zu „denazifizieren“ – und am Ende haben die Ukrainer die Krim zurück? Gleichzeitig zersetzen Wirtschaftssanktionen das Land und russische Bürger können nicht mehr nach Europa oder Amerika.

Keine Propaganda der Welt könnte dieses Ergebnis schönreden. Bevor es so weit käme, würde Putin wohl andere Waffen einsetzen. Das muss gar nicht die Atombombe sein. Von Flächenbombardements aller Großstädte und Brandbomben bis hin zu biologischen und chemischen Waffen reicht die Eskalationsskala.

Showdowns im Wirtschaftsministerium und Bundestag kommende Woche

Im Kontext solcher Erwägungen würde Scholz’ Hinhaltetaktik bei den Waffenlieferungen Sinn ergeben. Denn sie verschafft den Russen Zeit. Sollten Putins Truppen es schaffen, zumindest den Donbass unter ihre Kontrolle zu bringen, hätte er zumindest irgendetwas vorzuweisen.

Wie die Welt am Sonntag berichtet, erreichte nun erstmals ein Gesuch aus der deutschen Waffenindustrie das Wirtschaftsministerium, wo man für Rüstungsexporte zuständig ist. 100 Marder will Rheinmetall den Ukrainern liefern. Der Kanzler wird im Rahmen seiner Richtlinienkompetenz darüber entscheiden müssen. Besonders heikel wird es für Scholz’ Abwehrhaltung beim Antrag der Union mit dem Titel „Deutschland kann liefern“, der kommende Woche in den Bundestag kommt. Dann könnte es sein, dass FDP und Grüne dem Kanzler von der Fahne gehen.