Berlin-Am Sonntag ist es so weit, dann ist der Wahlkampf zu Ende und die Bürgerinnen und Bürger haben die Entscheidung. Hier einige Dinge, die man dabei im Blick haben sollte.
Kann ich Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet direkt ins Kanzleramt wählen?
Nein. In Deutschland wird der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin nicht direkt gewählt, sondern vom Bundestag – nachdem die Koalitionsverhandlungen für eine neue Regierung abgeschlossen sind. Die Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock und ihr Konkurrent von der SPD, Olaf Scholz, treten im Wahlkreis 61 in Potsdam als Direktkandidaten an. Dort und nur dort können die Menschen über ihren direkten Einzug ins Parlament (nicht ins Kanzleramt!) bestimmen. Bei Armin Laschet geht das überhaupt nicht. Er tritt in seinem Bundesland Nordrhein-Westfalen nicht als Direktkandidat an und wird – wenn überhaupt – über die Landesliste in den Bundestag einziehen. Dort steht er auf Platz 1.
Warum habe ich eigentlich zwei Stimmen und welche ist die wichtigere?
Mit der Erststimme wird ein bestimmter Kandidat in den Wahlkreis gewählt, in dem sie wohnen. Gewählt ist dort, wer die meisten Stimmen hat (Persönlichkeitswahl). Setzen Sie dabei auf den Verlierer, ist Ihre Stimme quasi verloren. Bei der Zweitstimme ist das anders. Deshalb ist sie auch die wichtigere: Mit ihr wird bestimmt, welche Partei wie stark in den Bundestag einzieht (Verhältniswahl).
Taktisch wählen, geht das? Und was bringt es?
Viele Menschen wählen mit ihrer Erststimme taktisch. Sie sehen, dass ein bestimmter Direktkandidat oder eine bestimmte Direktkandidatin vermutlich von vornherein keine Chance haben und wollen lieber auf die siegreiche Person setzen. Das macht aber nur Sinn, wenn sie mit der auch einverstanden sind. Mit der Zweitstimme ist es im Grunde ähnlich. Die FDP hat 2013 massiv genau um diese Stimmen geworben, mit dem Slogan „Wer Merkel will, muss FDP wählen“. Hintergrund der Überlegung war, dass es eine Mehrheit für Rot-Grün geben könnte, wenn die FDP aus dem Bundestag fällt. Doch es kam anders: Die FDP fiel raus und es kam – die große Koalition. Die beste Taktik ist die, nach der eigenen Überzeugung zu wählen.
Warum wird das Parlament immer größer?
Der Grund dafür liegt vor allem bei CDU und CSU. Und das in zweifacher Hinsicht. Sie verursachen das Problem, sind aber nicht bereit, es zu lösen. Genauer gesagt, sie haben besonders viele Überhangmandate, die wiederum Ausgleichsmandate nötig machen.
Was sind Überhangmandate und was Ausgleichsmandate – und warum ist die Union daran schuld?
CDU und CSU stellen die meisten Direktkandidaten, die mit der Erststimme gewählt werden. Doch viele Menschen wählen sie mit der Zweitstimme nicht, sondern andere Parteien. So entsteht eine paradoxe Situation: 231 von insgesamt 299 Direktmandaten gingen bei der Wahl 2017 an die Union, 59 an die SPD, 5 an die Linke, 3 an die AfD und 1 an die Grünen. Bei den Zweitstimmen haben CDU und CSU aber viel schwächer abgeschnitten. Sie haben also mehr Mandate errungen, als ihr nach dem Verhältnis zustehen: Sie haben Überhangmandate. Damit der Wählerwille nicht verzerrt wird, erhalten die anderen Parteien sogenannte Ausgleichsmandate, jede einzelne Fraktion.
Man hört, der nächste Bundestag könnte bis zu 1000 Abgeordnete haben. Stimmt das?
Ja, aber das wäre das schlimmste von mehreren möglichen Szenarien. Vor der Wahl lässt sich nicht genau sagen, wie die Wählerinnen und Wähler ihre beiden Stimmen verteilen. Viele wählen FDP, mit der Erststimme aber oft den Kandidaten einer anderen Partei. Experten rechnen daher alle möglichen Kombinationen durch. Je nach Stimmensplittung und Wahlergebnis sagen sie einen Bundestag mit 770 bis rund 1000 Abgeordneten voraus. Aktuell hat der Bundestag 709 Abgeordnete. Und auch das ist schon Rekord.
Kann man das nicht eindämmen?
Nein, jedenfalls nicht nach bisheriger Rechtslage. Das Wahlgesetz sieht keine Obergrenze bei der Zahl der Abgeordneten vor. Die Direktkandidaten aus den 299 Wahlkreisen haben das Recht, ihr Mandat anzutreten. Ursprünglich war man davon ausgegangen, dass von den Landeslisten noch einmal 299 Abgeordnete aus allen Bundesländern einziehen. Daher geht man von einer Richtgröße von 598 Abgeordneten aus. Die Schieflage entsteht, weil die Volksparteien immer weniger Zweitstimmen erhalten.
Aber das Wahlrecht wurde doch erst reformiert. Warum gibt es dann noch Probleme?
Die Parteien haben die gesamte Legislaturperiode verhandelt, um eine Wahlrechtsreform hinzubekommen. Um die Zahl der Mandate wieder zu senken, hätte man aber auch die Zahl der Wahlkreise reduzieren müssen. Das war mit der Union, vor allem mit der CSU nicht zu machen.
Also hat sich nichts geändert?
Doch, die große Koalition hat einen Minimalkompromiss gefunden, wonach drei Überhangmandate nicht ausgeglichen werden. Die anderen sollen zwischen den Bundesländern der jeweiligen Parteien verrechnet werden. Das bedeutet, dass unter Umständen weniger CDU-Abgeordnete aus Mecklenburg-Vorpommern in den Bundestag kommen, weil etwa in Baden-Württemberg viele CDU-Kandidaten das Direktmandat errungen haben.
Und wer bekommt die drei Überhangmandate nun?
Das ist im Gesetz nicht ganz eindeutig formuliert. Was übrigens ein Grund ist, warum demnächst das Bundesverfassungsgericht mal wieder über das Wahlrecht entscheiden muss. Derzeit gehen die Experten davon aus, dass sie wohl der CSU zufallen. Sie tritt nur in Bayern an und kann Überhangmandate nicht mit anderen Landesverbänden ausgleichen.

