Ein Streitpunkt in der Ampelkoalition scheint abgeräumt, da zeichnet sich bereits der nächste Konflikt ab. Während das Gebäudeenergiegesetz in dieser Parlamentswoche vor der Sommerpause vom Bundestag verabschiedet werden soll, liegt ein zweites ambitioniertes Projekt der Regierung weiter auf Eis: die Kindergrundsicherung.
In den Eckdaten des Haushaltes sind dafür offenbar lediglich zwei Milliarden Euro veranschlagt. Das ist deutlich weniger als die zwölf Milliarden Euro, die die Familienministerin Lisa Paus (Grüne) gefordert hatte. Damit gilt als sicher: Über dieses Thema wird wohl noch mal diskutiert werden.
Die Kindergrundsicherung soll nach den Plänen von Paus zwar erst 2025 und nicht schon im kommenden Jahr eingeführt werden. Allerdings muss die notwendige Summe in der sogenannten mittelfristigen Finanzplanung des Bundes eingestellt werden. Auch dafür ist ein Kabinettsbeschluss notwendig. Die Konfliktlinien bei dem Thema sind dabei die gleichen wie beim Heizungsgesetz: Grüne dafür, FDP dagegen. Eine Formulierung des FDP-Generalsekretärs Bijan Djir-Sarai sorgte bei Experten für Kritik. Djir-Sarai hatte am Montag erklärt, die Kindergrundsicherung sei im Wesentlichen eine Verwaltungsreform, bei der die Vielzahl von Unterstützungen für Familien zusammengeführt werden müssten.
Dies wiederum weisen Experten scharf zurück, wie sich bei einem Hintergrundgespräch der Bertelsmann-Stiftung am Montag zeigte. „Die Diskussionen der letzten Wochen haben mich Nerven gekostet“, sagte etwa Martin Werding, von der Ruhr-Universität Bochum und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Es gebe immer wieder die gleichen Fragen danach, ob Sachleistungen nicht besser seien, um Kinderarmut effektiv zu bekämpfen. „Man muss sich bei der Antwort darauf selbst zur Geduld mahnen.“
Die Vorschläge für die Kindergrundsicherung gebe es seit fast 20 Jahren. Es seien dabei immer zwei Elemente enthalten, ein hohes Kindergeld und Maßnahmen, um die Kinderarmut zu bekämpfen, sagte Werding. „Ich hatte von Anfang an die Befürchtung, dass diese beiden Dinge in Konflikt geraten.“ Auch jetzt komme wieder der Hinweis, dass man gerade das Kindergeld erhöht habe, ebenso wie die Kinderfreibeträge. „Wer sich wirklich auskennt, weiß: Kein einziger Euro davon kommt da an, wo die Armen sind“, sagt Werding. „Armutsbekämpfung fängt erst da an, wo man auf die bisherigen Grundsicherungsleistungen für Kinder noch was drauflegt.“ Zwölf Milliarden Euro seien da noch nicht einmal so wahnsinnig hochgegriffen.
Dass sich die finanzielle Unterstützung von armutsbetroffenen Kindern lohnt, sei schon lange „keine Sache von Meinungen“ mehr, erklärte Holger Stichnoth, Leiter der Forschungsgruppe „Ungleichheit und Verteilungspolitik“ am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und Mitglied der Sachverständigenkommission des 10. Familienberichts: „Da hat sich eine Menge empirischer Evidenz angesammelt.“ Dass arme Menschen ihr Geld sinnlos ausgeben und mehr Geld für sie daher kaum einen Unterschied mache, habe sich schon vor Jahren als haltlos erwiesen. „Geldleistungen wirken und das auch langfristig“, so Stichnoth.
Er berichtete aus einer Sitzung der Familienberichtskommission in der vergangenen Woche, in der eine spanische Sachverständige referiert habe, dass der Vergleich mehrerer europäischer Länder zeige: Eltern, die wenig Geld haben, sparen eher bei sich als bei den Bedürfnissen ihrer Kinder.
Bei Sachleistungen müsse man zudem immer auch das Gesamtpaket betrachten. So habe das Bildungs- und Teilhabepaket allein für Verwaltung 30 Prozent seines Etats verbraucht. „Diese Misstrauenskosten kann man sich sparen.“
Das Problem der Kindergrundsicherung: Die Kosten fallen jetzt an, den Ertrag gibt es erst später
Zur Diskussion über die nötige Summe für die Kindergrundsicherung, zwischen zwei und zwölf Milliarden, erklärte er: „Bei der Einordnung muss man bedenken. Allein die jetzt schon bestehenden Ansprüche, die zum Teil nicht abgerufen werden, kosten mehr als zwei Milliarden Euro.“ Das aber helfe noch nicht, die Kinderarmut zu bekämpfen. „Die Nichtinanspruchnahme ist kein Problem der ganz Armen, sondern betrifft vor allem Wohngeld und Kinderzuschlag.“ Er plädierte dafür, nicht an der falschen Stelle zu sparen. „Bei der Kindergrundsicherung hat man die Kosten jetzt, die Erträge aber erst später. In der Politik ist das ein Problem.“
„Aufwachsen in Armut hat gravierende negative Folgen für Jugendliche“, sagte auch Anette Stein, Direktorin des Programms „Bildung und Next Generation“ bei der Bertelsmann-Stiftung. In Deutschland sei etwa jedes fünfte Kind betroffen. „Das sind rund drei Millionen Kinder und Jugendliche.“ Die Kindergrundsicherung sei wesentlicher Bestandteil eines nachhaltigen Konzepts, um dieses strukturelle Problem zu lösen. „Eine armutsfeste Kindergrundsicherung ist wichtig und sie muss unabhängig von den Eltern funktionieren.“




