Wenige Tage bevor das Berliner Landesverfassungsgericht über eine Wahlwiederholung in der Hauptstadt entscheidet, scheint man in der SPD nervös zu werden. Zumindest die sozialdemokratisch geführte Senatsinnenverwaltung versucht, den möglichen Termin für die Wahlwiederholung Mitte Februar infrage zu stellen.
Hintergrund ist eine Stellungnahme der Senatsverwaltung, die offenbar im Senat schon vor einiger Zeit für Ärger gesorgt hat und jetzt an die Öffentlichkeit gelangte. Darin warnt die Senatsinnenverwaltung vor einer voreiligen Wahlwiederholung in Berlin und schlägt vor, dass sich zunächst das Bundesverfassungsgericht damit befassen soll. In diesem Fall wäre aber der bisher erwartete Termin für die Wahlwiederholung Mitte Februar nicht zu halten.
Das Landesverfassungsgericht will in der kommenden Woche, am 16. November, entscheiden, ob die Chaos-Wahl vom September 2021 in Berlin wiederholt werden muss. In einer öffentlichen Anhörung am 28. September hatten die Berliner Verfassungsrichterinnen und -richter allerdings keinen Zweifel daran gelassen, dass sie die gesamte Wahl für irregulär halten. Das Gericht hatte sämtliche Protokolle der Wahllokale angefordert und festgestellt, dass viele nur unzureichend oder gar nicht vorlagen. Daher habe man mit den bisher festgestellten Fehlern bei der Wahl lediglich die „Spitze des Eisbergs“ ermitteln können.
„Nur die vollständige Wiederholung der Wahlen kann deren Verfassungskonformität wiederherstellen“, hatte Gerichtspräsidentin Ludgera Selting daher unmissverständlich erklärt. Seitdem wird damit gerechnet, dass in der endgültigen Entscheidung die komplette Neuwahl angeordnet wird. Sollte dies der Fall sein, müsste wegen der entsprechenden Fristen bis spätestens Mitte Februar neu gewählt werden. Als neuer Wahltermin wird daher schon seit Wochen der 12. Februar gehandelt.
In ihrer 52 Seiten langen Stellungnahme, die der Berliner Zeitung vorliegt, warnt die Senatsinnenverwaltung, dass das Landesverfassungsgericht mit dem Hinweis auf die Dunkelziffer möglicher Wahlfehler „verfassungsrechtliches Neuland“ betreten würde, wenn es an seiner Einschätzung aus der Anhörung und damit an seinen im Vergleich zum Bundesverfassungsgericht „diametral abweichenden Annahmen“ festhalten würde. In ihren Ausführungen wirft die Innenverwaltung dem Landesverfassungsgericht vor, aufgrund von Spekulationen und nicht anhand erwiesener Tatsachen zu entscheiden.
Zudem wird in der Stellungnahme darauf verwiesen, dass man die Wahlwiederholung im Februar „unter immensem Zeitdruck“ leisten müsse, die sich durch ein späteres Urteil des Bundesverfassungsgerichts aber als „rechtsgrundlos“ erweisen könnte. Damit aber könnte das Landesverfassungsgericht „dem Vertrauen in die Integrität der Wahlen womöglich größeren Schaden zufügen, als er dies für die Wahlen im Jahr 2021 annimmt“, so die Stellungnahme.
„Die Angst der SPD vor Neuwahlen muss sehr groß sein, wenn sie jetzt sogar eine Verfassungskrise heraufbeschwört“, sagte der CDU-Generalsekretär, Stefan Evers, der Berliner Zeitung am Montag und versicherte: „Das Verfassungsgericht hat unser volles Vertrauen. Man sollte nicht versuchen, es durch Panikmache zu beeindrucken.“
Der Sprecher der Senatsverwaltung, Thilo Cablitz, sagte dazu am Montag, dass die Stellungnahme im Wesentlichen den Ausführungen der Senatsverwaltung entspreche, wie sie zur mündlichen Verhandlung gemacht wurden. Man wolle dem Gericht nicht vorweggreifen, aber auf die Gefahr hinweisen, dass Landes- und Bundesverfassungsgericht den gleichen Sachverhalt unterschiedlich werten könnten.
Auf diese Gefahr machte auch die Landesvorsitzende der Linken, Katina Schubert, aufmerksam. Sie sei aber dafür, erst einmal die Gerichtsentscheidung in der nächsten Woche abzuwarten. Für die Grünen erklärte Parteisprecher Christian Storch, es sei ein „großer Missstand“, dass weder seine Fraktion noch die Partei über die schriftliche Stellungnahme informiert worden sei. Inhaltlich könne man keine Einschätzung dazu geben, da man sie nicht kenne.
Aus Senatskreisen hieß es, dass die Stellungnahme auch innerhalb der SPD umstritten sei. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hatte stets betont, dass man das Urteil des Landesverfassungsgerichts annehmen werde.
Es könnte jedoch obsolet werden, wenn sich nach dem 16. November ein Abgeordneter oder mehrere dazu entschließen, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. Allerdings ist es fraglich, ob eine derartige Aktion eine aufschiebende Wirkung hätte. In Berlin stellt man sich daher nach wie vor darauf ein, dass es im Februar zu einer umfassenden Wahlwiederholung kommt.
Allerdings gilt das nur für die Abgeordnetenhauswahl und die Wahl zu den Bezirksverordnetenversammlungen. Über eine mögliche Neuwahl zum Bundestag in Berlin hat der Bundestag zu befinden. Bundeswahlleiter Georg Thiel hat ursprünglich eine Wahlwiederholung in der Hälfte der zwölf Berliner Wahlkreise gefordert. Wiederholt werden sollte hier die Abgabe der Zweitstimmen. Im Bezirk Reinickendorf sah Thiel das Chaos als so groß an, dass er dort auch die Wiederholung der Erststimmenabgabe forderte.
Bei den Abgeordneten im Wahlprüfungsausschuss gab es nach den entsprechenden Anhörungen jedoch ein regelrechtes Gezerre um das Ausmaß der Wahlwiederholung. Wie es hieß, haben besonders die Parteien der Ampelkoalition, die Verluste erwarten, die Notwendigkeit einer umfassenden Wahlwiederholung nicht so recht sehen wollen.
Die Diskussion darüber verzögerte die Entscheidung des Ausschusses immer wieder. Am Montagabend wurde schließlich abgestimmt. Nun soll in 431 Wahllokalen in Berlin auch die Bundestagswahl neu angesetzt werden – und dies mit Erst- und Zweitstimme. Der Bundestag wird über diesen Vorschlag am Donnerstag abstimmen. Danach dürfte die Entscheidung aber von der Opposition vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten werden. Wann dieses zu seinem Urteil kommt, ist völlig unklar.






