Mit so viel Geld hatte wahrscheinlich auch die Amadeu-Antonio-Stiftung nicht gerechnet. Vor zwei Monaten stoppte sie die Spendenkampagne „Wie viel Macht 1 Euro?“ Zu diesem Zeitpunkt waren rund 826.000 Euro zusammengekommen, gedacht für Frauen, die dem Rammstein-Sänger Till Lindemann sexuelle Übergriffe vorwerfen. An der Aktion beteiligten sich Prominente wie Nora Tschirner, Carolin Kebekus und Rezo.
Seitdem ist einige Zeit vergangen, und es steht die Frage im Raum, was mit all dem Geld gemacht werden soll. Wer wird es erhalten – und wofür?
Die Berliner Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen gegen Lindemann mittlerweile eingestellt. Es gebe keine Hinweise, so die Behörde, „dass der Beschuldigte gegen deren Willen sexuelle Handlungen an Frauen vorgenommen, diesen willensbeeinflussende oder -ausschaltende Substanzen verabreicht oder gegenüber minderjährigen Sexualpartnerinnen ein Machtgefälle ausgenutzt hat, um diese zum Geschlechtsverkehr zu bewegen“. Auch hieß es, dass sich möglicherweise betroffene Frauen bislang nicht bei der Staatsanwaltschaft gemeldet hätten. Zuerst hatte die Berliner Zeitung darüber berichtet.
Amadeu-Antonio-Stiftung: „Vorwürfe sind falsch und arglistig“
„Wie leider zu erwarten war, wird diese Nachricht nun von rechten Medien und ‚Influencern‘ wieder einmal dazu genutzt, um einerseits mutmaßlich Betroffene zu diffamieren und andererseits Bemühungen zur Unterstützung der Betroffenen durch die Spendenkampagne ‚Wie viel Macht 1 Euro?‘ zu delegitimieren“, sagt ein Sprecher der Amadeu-Antonio-Stiftung. „Der Vorwurf, dass wir Spendengelder veruntreuen würden, ist falsch und arglistig.“
Die Berliner Zeitung hatte bei der Stiftung nachgefragt, nachdem in sozialen Medien, aber auch beim Online-Medium Tichys Einblick Vorwürfe gegen die Kampagne laut geworden waren. Bis auf einige Beiträge auf X, ehemals Twitter, hatte sich die Stiftung bislang nicht dazu geäußert. Neben der Berliner Zeitung berichtet nun auch der Nordkurier.
Zu der Frage, wie die Stiftung mit Anträgen mutmaßlicher Opfer umgehe, sagt der Sprecher: „Einen so umfangreichen Fonds zur Unterstützung von Betroffenen gab es bisher nicht, das ist einmalig.“ Die Spender hätten großes Vertrauen gezeigt, dem wolle man verantwortungsvoll nachkommen. „Die konkreten Bedarfe von Betroffenen können sich stark unterscheiden“, deshalb prüfe die Stiftung alle Fälle und beziehe dazu auch Anwälte und Fachexperten ein. Klar ist: Es könnten noch weitere Frauen hinzukommen, die Lindemann oder Rammstein Vorwürfe machen.
Womöglich geht auch Geld an den „Sheroes Fund“
Schon auf der Kampagnen-Plattform betterplace.org hatte die Amadeu-Antonio-Stiftung angekündigt, dass die Spenden nicht nur für Anwalts- oder Prozesskosten, sondern auch für die „Umsetzung von Schutzmaßnahmen sowie psychologischer Beratung und Therapie“ gedacht seien. Weiter heißt es, dass überschüssiges Geld für „den satzungsgemäßen gemeinnützigen Zweck“ der Stiftung – „wie die Unterstützung von Betroffenen von Hass und Hetze“ – und den „Sheroes Fund“ eingesetzt werde.
Dabei handelt es sich ebenfalls um ein Projekt der Amadeu-Antonio-Stiftung. Es ist den Angaben zufolge unter anderem für Frauen und Trans-Personen gedacht, die aufgrund ihres sozialen Engagements – etwa gegen Rassismus – bedroht würden und finanzielle Hilfe für ihren Schutz benötigten. Wie viel Geld am Ende aus der Kampagne an das Projekt gehen könnte, ist unklar. Für den „Sheroes Fund“ arbeitet die Stiftung, wie im Falle von „Wie viel Macht 1 Euro?“, auch mit der Autorin Jasmina Kuhnke zusammen.
Wie viele Frauen sich bereits gemeldet haben und ob Geld weitergegeben worden ist, will die Stiftung nicht sagen. Offen ist ebenfalls, welcher Betrag für Anwaltskosten anfiel oder noch anfallen könnte. Auch könne man „aus Gründen des Betroffenenschutzes“ keine genauen Angaben zum Austausch mit mutmaßlich Betroffenen machen, sagt der Sprecher. Dies sei nur auf deren expliziten Wunsch hin möglich. In der Vergangenheit hatte die Stiftung angekündigt, auch selbst Kontakt zu möglichen Opfern aufzunehmen, die sich in sozialen Medien geäußert hätten.
Kampagne war Reaktion auf „Abmahnungswelle“
In den vergangenen Monaten hatten mehrere Frauen Lindemann und seiner Band Rammstein teils schwerwiegende Vorwürfe gemacht. Dabei ging es nicht ausschließlich um womöglich justiziables Verhalten – etwa die Verabreichung von K.o.-Tropfen – sondern auch um ein Casting-System, durch das dem Sänger junge Frauen zugeführt worden sein sollen. Mehrere Medien recherchierten, mutmaßliche Opfer kamen meist anonym zu Wort.
„Neben der finanziellen Unterstützung geht es auch darum, einen Rahmen zu schaffen, in dem Betroffene auf professionelle Begleitung zurückgreifen können“, sagt der Sprecher der Amadeu-Antonio-Stiftung. „Betroffene brauchen zunächst ein sicheres Umfeld, Beratungen zum Vorgehen und Sondieren ihrer rechtlichen Möglichkeiten, um eventuelle strafrechtliche Schritte einzuleiten. Wir sind dabei, unser Angebot für Betroffene weiter auszubauen und nachhaltige Strukturen zu schaffen.“
Stiftung sieht Ende der Ermittlungen nicht als Schlusspunkt
Dass die Berliner Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen eingestellt hat, bedeutet für die Stiftung also keinesfalls einen Schlusspunkt. „Wie aus der jahrzehntelangen Beratungsarbeit mit Gewaltbetroffenen insgesamt und Betroffenen von sexistischer und sexualisierter Gewalt im Besonderen bekannt, ist die Hemmschwelle eine Anzeige zu erstatten – und sich damit dem Prozess einer juristischen Prüfung auszuliefern – sehr hoch.“



