Es hat alle Zutaten für den perfekten Skandal: Hubert Aiwanger, der Bundesvorsitzende der Freien Wähler, bayerischer Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident in Personalunion, hat eine rechtsextreme Vergangenheit. Am Freitagabend publizierte die Süddeutsche Zeitung (SZ) eine längere Recherche, die genau das offenbaren soll. Und die eine Dynamik auslöste, die für das Blatt aus München noch unangenehm werden könnte.
Doch von vorn. Die SZ will mit „rund zwei Dutzend Personen“ gesprochen haben, die alle bestätigt haben sollen: Der Verfasser einer antisemitischen Hetzschrift, die vor 35 Jahren durch das Burkhart-Gymnasium in Aiwangers Heimatort Mallersdorf-Pfaffenberg geisterte, sei niemand Geringeres als Hubert Aiwanger selbst. Aiwanger war damals 17 Jahre alt und er ging in die elfte Klasse.
War Hubert Aiwanger Autor des Hetzblatts? Die SZ kann das nicht beweisen
Der einzige Haken an der Recherche: Keiner der ‚Zeugen‘ tritt in dem Artikel mit Klarnamen auf. Lückenlos beweisen kann die SZ Aiwangers Autorenschaft ebenso wenig. Aiwanger hatte sofort alle Vorwürfe bestritten und der SZ für den Fall einer Veröffentlichung mit rechtlichen Schritten gedroht.
Später meldete sich Aiwangers Bruder Helmut als Urheber des Pamphlets zu Wort, der als Privatmann in Bayern lebt. Er habe das Pamphlet aus Frust darüber verfasst, dass er die elfte Klasse wiederholen musste, so Helmut Aiwanger. Er distanziere sich in jeglicher Hinsicht und bedaure die Folgen der Aktion. Innerhalb eines Tages waren so wichtige Teile der Recherche der SZ in sich zusammengefallen.
Um ihr Narrativ doch noch irgendwie retten zu können, präsentiert die SZ ein „Schreibmaschinengutachten“ – und behauptet, Aiwanger habe seinen Bruder als Verfasser des Pamphlets „aus dem Hut gezaubert“.
Das Gutachten soll bestätigen, dass das Flugblatt auf der gleichen Schreibmaschine wie Aiwangers Facharbeit getippt worden sei. Warum die SZ das sogenannte Schreibmaschinengutachten zuerst zurückgehalten und auch Hubert Aiwanger damit nicht konfrontiert hat, erklärt sie jedoch nicht.
Klare Agenda: Wie die SZ Aiwangers Welle „brechen“ will
Auffällig ist auch der Zeitpunkt der Publikation: Am 8. Oktober wählt der Freistaat Bayern einen neuen Landtag. Fast wirkt es so, als sollen die Freien Wähler bald nicht mehr in Bayern mitregieren. So ist im Text mit merklichem Kopfschütteln von der „Welle“ die Rede, die Aiwanger mit seiner ständigen Polemik gegen das politische Berlin losgetreten habe – und die nach Erscheinen des Artikels „nun brechen könnte“. Eine ergebnisoffene Recherche verzichtet auf solche Wertungen.
Es stimmt: Aiwanger wettert mit Vorliebe gegen „die in Berlin“, die „noch nie eine Schaufel in der Hand gehabt“ hätten. Doch in welcher Beziehung stehen Aiwangers populistische Kampfansagen gegen Berlin zu einem antisemitischen Flugblatt von vor 35 Jahren? In gar keiner. Die SZ verknüpft beides auf eine demagogische Weise.
Dass das fragliche Flugblatt antisemitisch ist, steht außer Frage. Die Suche nach dem „größten Vaterlandsverräter“ gipfelte in der deutschen Geschichte mit geradezu eiserner Notwendigkeit in Judenhass. Eine belanglose „Jugendsünde“ ist dieses Flugblatt nicht – sondern ein Sittenspiegel des Milieus, in dem die Aiwanger-Brüder aufgewachsen waren.
In den Achtzigerjahren war Antisemitismus an der Tagesordnung
Als das Pamphlet entstanden war, war in weiten Teilen der bundesrepublikanischen Gesellschaft jede Kritik an der Wehrmacht tabu. Anders als die SS wären die Landser im Osten anständig geblieben, behauptete damals der Mainstream. Und die Konzentrationslager, in denen Millionen Juden vernichtet wurden? Die hätte Hitler nur von den Bolschewiken kopiert, bei denen ja auch viele Juden eine prominente Rolle gespielt hätten.
So sinngemäß die bizarre These des Historikers Ernst Nolte, der damals den Juden – in klassisch antisemitischer Manier – eine Mitverantwortung am Holocaust zugeschoben hatte. In Aiwangers niederbayerischem Heimatort dürfte damals der Diskurs wohl kaum anders ausgesehen haben.




