Die Freien Wähler haben nach eigenen Angaben berlinweit gerade mal 121 Mitglieder. Die aber kann die Partei schnell mobilisieren. Erst am Vorabend hat der Bundesvorsitzende und bayerische Wirtschaftsminister, Hubert Aiwanger, den Berliner Parteifreunden ein Treffen zugesagt – wenige Stunden später sitzen immerhin knapp zehn Prozent der Mitglieder am Tisch im Café Sonnenschein in der Schmargendorfer Straße in Friedenau.
Aiwanger kommt ein bisschen zu spät, ist dann aber gleich voll in Fahrt. Er bestellt ein Wasser und beschwert sich erst mal über die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey. Die hat am Vortag die Grüne Woche eröffnet. Aber wie! Der Niederbayer ist immer noch empört. „Dort trifft sich die Land- und Ernährungsbranche von den Molkereien bis hin zu den Landwirten, von den Brauereien bis hin zu den Fischzüchtern“, erzählt Aiwanger, der selbst Landwirt ist. „Und dann hält die eine Rede über fünfzehn Minuten und nimmt nicht einmal das Wort Landwirtschaft in den Mund, geschweige denn ein Wort des Dankes an diejenigen, die dafür sorgen, dass die Menschen Essen und Trinken haben.“ Man müsse sich fragen, wie „solche Leute“ ein Bundesland regieren wollten, wenn sie diese Basis nicht mehr erkennen und gar nicht mehr wissen, mit wem sie redeten. „Das war durch die Bank eine Fehlleistung“, so Aiwanger. Berlin werde eben schlecht regiert, sagt der Parteichef, weswegen es die Freien Wähler dringend brauche.
Berlin: Freie Wähler peilen Ein-Prozent-Marke an
In der Hauptstadt, zu der Aiwanger nach eigenen Angaben gerne mal wieder aufschauen möchte, ist die Partei jedoch bescheiden, was die Wahlziele anbetrifft. Man peile für die Wahlwiederholung am 12. Februar die Ein-Prozent-Marke an, weil man dann mit Wahlkampfkostenerstattung rechnen könne, sagt die zweite Vorsitzende Bianka Aversente eingangs. Schon das wäre ein Erfolg: Bei der Wahl im September 2021 erreichten die Freien Wähler gerade mal 0,8 Prozent. Eine Enttäuschung, die der damalige Vorsitzende Marcel Luthe verarbeitete, indem er das Abstimmungschaos bis ins kleinste Detail recherchierte und so für die juristische Anfechtung der Wahl sorgte. Luthe ist mittlerweile aus Berlin weggezogen, seither haben die Freien Wähler ein bisschen das Problem, öffentlich wahrgenommen zu werden.
Aber in der Partei gebe es ja vor allem Optimisten, die alle Schwierigkeiten anpacken, so Aiwanger. Von denen gibt es eine Menge, wie er sogleich aufzählt. Parallelgesellschaften, Bildungsdefizite, die Jugend, die kaum noch Sport treibt und für nichts mehr zu begeistern ist, und – nicht zuletzt – die „zunehmende Eigentumsfeindlichkeit“, so Aiwanger. Er meint damit das erfolgreiche Enteignungs-Volksbegehren. „Ich sage es ganz offen, ich sehe das als DDR -Themen“, urteilt der Bayer. Diese Vorgehensweise, die er nicht näher erklärt, werde dazu führen, dass die Wohnungsknappheit nur noch größer wird.
Hubert Aiwanger: „Ich will nicht angegriffen werden, weil ich Fleisch esse“
Jetzt braucht aber erst mal Christel Keller die Aufmerksamkeit der Gäste. Sie ist vorhin als älteste Gastronomin Berlins vorgestellt worden und bietet in ihrem kleinen Restaurant einen täglichen Mittagstisch an. Heute gibt es Königsberger Klopse – die besten in Berlin, das hat der Fernsehkoch Andreas Studer mal gesagt. Aiwanger will trotzdem nur einen. Er musste vermutlich auf der Grünen Woche schon berufsbedingt zuschlagen.
Während die Teller gebracht werden, teilt Aiwanger gegen die Ideologen aus, die gegen den Fleischkonsum zu Felde ziehen. „Das spaltet die Gesellschaft“, ist er überzeugt. Wobei er niemanden bevormunden will: „Keiner muss Fleisch essen, wenn er nicht will. Aber ich will nicht angegriffen werden, weil ich Fleisch esse.“
Wohnungs- und Fachkräftemangel: Die Parteifreunde wollen diskutieren
Dann geht es munter weiter. Jetzt sind die Parteifreunde an der Reihe. Man merkt schnell, wenn der Bundesvorsitzende schon mal da ist, will man am liebsten grundsätzlich diskutieren. Wohnungsmangel, Fachkräftemangel, die Steuern. Ein Lehrer erzählt, dass er seine Schüler nicht in die berufliche Ausbildung kriegt. Die wollten gar nicht, weil die Eltern Transferleistungen beziehen und sich dann finanziell schlechter stellen.
Ein junger Polizist berichtet, dass er sogar eher auf Gehaltszuwächse verzichten würde, wenn nur die dienstliche Ausstattung besser wäre. Er müsse manchmal mit Einsatzwagen fahren, deren Außenspiegel abgetreten worden sei oder wo der Sicherheitsgurt kaputt ist.
Man kann mit diesen Leuten Pferde stehlen.
Die Themen wogen hin und her. Die Freien Wähler sind sich einig, dass das Steuersystem verändert werden muss – mit Erleichterungen für Geringverdiener. Das rechnet Aiwanger vor. Wer Mindestlohn verdiene, bekomme mit einem Vollzeitjob gerade mal 2000 Euro brutto. Davon dürften nicht noch Steuern und Sozialabgaben abgerechnet werden. Mit der Idee könnte er in Berlin viel Zustimmung kriegen, wenn das Land denn dafür zuständig wäre.





