Ausstellung in Berlin

80 Jahre nach der Wannseekonferenz: Überlebende rufen „Wir sind hier!“

Eine Kunst-Installation im Abgeordnetenhaus erinnert an die Ermordung von Millionen Juden und zeigt Fotos von Überlebenden der Schoah und ihren Nachkommen.

Peter Brent mit seiner Enkelin Serena.
Peter Brent mit seiner Enkelin Serena.Susanna Kraus

Die lange, mit einem weißen Tuch und weißem Porzellan gedeckte Tafel sieht aus, als hätten die Gäste sie gerade verlassen. Fünfzehn hochlehnige Stühle stehen eng an eng um den Tisch. In seiner Mitte entfaltet sich eine Reihe vergilbter Dokumente fast über die ganze Länge. Der Tisch symbolisiert jenen, an dem vor 80 Jahren die 15 Teilnehmer der Wannseekonferenz über die systematische Ermordung von Millionen Juden berieten. Hier saßen die Täter. Sie sind verschwunden.

Denn mit dieser künstlerischen Installation, die am Donnerstag in der Wandelhalle des Abgeordnetenhauses eröffnet wird, soll das Augenmerk der Betrachter anders als sonst nicht auf die Täter, sondern auf die Opfer, vor allem aber auf die Überlebenden gerichtet werden. Sie sind anwesend. Acht Stelen mit lebensgroßen Schwarz-Weiß-Fotografien stehen um den Tisch. Sie zeigen einige jener, die nach dem Willen der Täter schon seit mehr als 75 Jahren tot sein sollten – aber überlebten. Sie sind nicht allein: Jede und jeder von ihnen hat einen Enkel oder eine Urenkelin an der Seite.

Sie blicken auf die leeren Stühle und das Protokoll der Konferenz auf dem Tisch, das ihre Ermordung vorsieht – und sie rufen: „WIR! SIND! HIER!“. So lautet der Titel der Installation, die vom in Berlin ansässigen internationalen Historikernetzwerk History and Documentation realisiert wurde.

Am Rande der Aufbauarbeiten in der Wandelhalle des Berliner Parlaments erläutert Julien Reitzenstein das von ihm entwickelte Konzept: „Wir zeigen einen Paradigmenwechsel. In den meisten Arbeiten und Ausstellungen zur Wannseekonferenz geht es immer um die 15 Täter, ihre Motivation, ihre Rolle, was haben sie auf der Konferenz gegessen und getrunken. Mit dieser Installation drängen die Opfer die Täter aus der Geschichte: Sie sind verblasst, verschwunden, aber wir sind hier!“ So gelinge ein neuer emotional-visueller Zugang zu den Ereignissen am Wannsee vor 80 Jahren.

Die Fotos wurden mit der riesigen „Imago-Camera“ in Berlin gemacht

Die Installation nimmt einen durch die große Prägnanz der Bilder in ihren Bann, die mit der in der Welt einzigartigen begehbaren „Imago-Camera“ erreicht wird. Mit ihr fertigt die Berliner Künstlerin Susanna Kraus unmittelbare, lebensgroße Ganzkörperporträts auf speziellem Umkehrfotopapier ohne Linsen, ohne Negativ. Eine Besonderheit der 7 mal 4 mal 3 Meter großen Kamera ist, dass die Porträtierten selbst das Foto auslösen und sich genau so zeigen, wie sie es wollen.

Für die Installation sind Überlebende des Holocoaust aus mehreren Ländern nach Berlin gekommen, um aktuell porträtiert zu werden. Einer von ihnen ist Peter Brent, der 1935 in Wien geboren wurde. Das Geschäft seiner Eltern in einem österreichischen Dorf wurde in der Reichspogromnacht im November 1938 geplündert und sein Vater in das KZ Dachau verschleppt, aber wieder freigelassen. Der Familie gelang es mithilfe von Freunden nach England zu flüchten und sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Viele ihrer Verwandten wurden dagegen in deutschen Konzentrationslagern umgebracht.

Peter Brent machte in England eine Karriere als Arzt. Mit seiner Enkelin Serena, einer Anwältin, ließ er sich für die Installation porträtieren. Gemeinsam besuchten sie die Gedenkstätte in der Villa am Wannsee und betrachteten den Ort der Konferenz in der idyllischen Umgebung. „Man mag sich kaum vorstellen, wie viel Spaß und Gelächter am Tisch herrschte, während das Böse sich entwickelte“, schreibt Brent im Text zu seinem Foto. „Traurigerweise war die Konferenz in ihren Zielen weitgehend erfolgreich – aber: Wir sind hier! Das schwarze Leichentuch über dem Wannsee wird seine Schönheit für immer trüben und darf nie vergessen werden.“

Zu der Ausstellung erscheint ein Begleitband zur Einordnung der Wannseekonferenz und ihrer Folgen. Kern des Bandes sind aber die Biografien der abgebildeten Überlebenden. Nach der Eröffnung soll die mit Mitteln der Deutschen Klassenlotterie Berlin geförderte Installation um die Welt reisen. An zentralen Ausstellungsorten kann die „Imago Camera“ aufgestellt werden, um die Installation fortlaufend mit weiteren Protagonisten zu ergänzen.

WIR! SIND! HIER! Ein fotografisch-künstlerisches „Dennoch!“ Überlebende der Schoah und ihre Nachfahren – und ihre Gedanken zur Wannseekonferenz. Ausgestellt in der Wandelhalle des Abgeordnetenhauses von Berlin, Niederkirchnerstraße 5.