Kultur

Eklat auf Berlinale: Preisträger bezichtigen Israel des Genozids – das Publikum applaudiert

Auf der Berlinale-Preisverleihung warfen einige Gewinner Israel vor, in Gaza einen Völkermord zu begehen. Erste Politiker fordern Konsequenzen für das Festival.

Die Filmemacher Ben Russell (l.) und Guillaume Cailleau: In seiner Dankesrede sprach Russell von einem „Genozid“ im Gazastreifen.
Die Filmemacher Ben Russell (l.) und Guillaume Cailleau: In seiner Dankesrede sprach Russell von einem „Genozid“ im Gazastreifen.AP Photo/Markus Schreiber

Der Abend der Berlinale-Preisverleihung dürfte ein politisches Nachspiel haben. Mehrere Preisträger haben Israels militärisches Vorgehen im Gazastreifen deutlich kritisiert, es mitunter als Völkermord bezeichnet. Dafür gab es am Samstag viel Zustimmung im Saal, die Moderation hielt sich auffallend zurück. Mittlerweile fordern erste Bundespolitiker Konsequenzen.

Die Berlinale gilt als politischstes der großen Filmfestivals. Bei der Preisverleihung am Potsdamer Platz trugen mehrere Menschen auf der Bühne einen Zettel mit der Aufschrift „Ceasefire Now“ (etwa: „Feuerpause jetzt“).

Filmemacher Adra: Zehntausende werden in Gaza „geschlachtet“

Der palästinensische Filmemacher Basel Adra forderte Deutschland auf, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. Adra hatte mit drei anderen Filmemachern die Dokumentation „No Other Land“ gedreht und dafür den Dokumentarfilmpreis gewonnen. Der Film dreht sich um die Vertreibung von Palästinenserinnen und Palästinensern in den Dörfern von Masafer Yatta, südlich von Hebron im Westjordanland.

Es sei schwer für ihn, den Preis zu feiern, während „Zehntausende Menschen in Gaza geschlachtet“ würden, sagte Adra. Im Saal wurde daraufhin gejubelt, auch auf der Bühne gab es Applaus.

Die Filmemacher Basel Adra und Yuval Abraham wurden auf der Berlinale für ihren Dokumentarfilm „No Other Land“ ausgezeichnet.
Die Filmemacher Basel Adra und Yuval Abraham wurden auf der Berlinale für ihren Dokumentarfilm „No Other Land“ ausgezeichnet.Nadja Wohlleben/Reuters/Pool/dpa

Das palästinensisch-israelische Filmemacherkollektiv von „No Other Land“ hatte sich im Rahmen seiner Premiere bei der 74. Berlinale gegen die Haltung der Intendanz zum Nahostkonflikt gestellt und Israel als Apartheidstaat bezeichnet. Das berichtete die Deutsche Presse-Agentur. Der Film wurde im Oktober 2023 abgedreht, das Massaker der Hamas gegen Israel wird darin nur am Rande erwähnt.

Am 7. Oktober hatte die palästinensische Terrororganisation Hamas den Staat Israel angegriffen. Hamas-Terroristen ermordeten mehr als 1200 Menschen, vergewaltigten Frauen, töteten Säuglinge und verschleppten 250 Geiseln. Die israelische Regierung reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive. Die Zahl der im Gazastreifen getöteten Palästinenser ist seit Kriegsbeginn nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde auf bereits über 29.600 gestiegen.

Grünen-Abgeordneter von Notz: „Schlicht ekelhaft“

Für Kritik sorgt vor allem der Auftritt von Regisseur Ben Russell, der wie auch andere mit Kufiya (als Palästinensertuch bekannt) auf der Preisverleihung erschien. In seiner Dankesrede sagte der Preisträger auf der Bühne: „Und natürlich stehen wir auch hier für das Leben und wir stehen gegen den Genozid und für einen Waffenstillstand in Solidarität mit all unseren Genossen.“ Auch dafür gab es Jubel und Applaus im Publikum.

Kritik kommt nun unter anderem vom Grünen-Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz. „Es ist schlicht ekelhaft und eine perfide Täter-Opfer-Umkehr“, schrieb der Innenpolitiker auf der Plattform X. „Solche Auftritte sind unerträglich.“

Der stellvertretende Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, Marco Wanderwitz (CDU), schrieb ebenfalls auf X: „Diese Berlinale müssen wir als Bundeskulturpolitik sehr genau auswerten.“ Auf der Bühne und im Publikum habe „es leider mehrfach unwidersprochen antiisraelische Statements“ gegeben, die in Deutschland nicht zu akzeptieren seien. „Das geht so nicht; mit Kunstfreiheit hat das nichts zu tun.“

Auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hat die Aussagen einiger Preisträger am Sonntagnachmittag kritisiert. „Das, was gestern auf der Berlinale vorgefallen ist, war eine untragbare Relativierung“, schrieb Wegner auf X. „In Berlin hat Antisemitismus keinen Platz, und das gilt auch für die Kunstszene. Ich erwarte von der neuen Leitung der Berlinale, sicherzustellen, dass sich solche Vorfälle nicht wiederholen.“ Über den Krieg im Nahen Osten schrieb Wegner: „Die volle Verantwortung für das tiefe Leid in Israel und dem Gazastreifen liegt bei der Hamas.“

Das Führungsduo der Berlinale hatte das Filmfestival Mitte Januar als Plattform für friedlichen Dialog in Bezug auf den Nahostkonflikt bezeichnet. Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian betonten, dass ihr Mitgefühl allen Opfern der Krisen in Nahost und darüber hinaus gelte. „Wir möchten, dass das Leid aller wahrgenommen wird und mit unserem Programm verschiedene Perspektiven auf die Komplexität der Welt eröffnen.“

Am Samstagabend forderte Rissenbeek die Terrororganisation auf, die verbliebenen Geiseln freizulassen. Die israelische Regierung bat sie, das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung zu lindern und einen baldigen Frieden zu ermöglichen. (mit dpa)

Hinweis: Das Statement von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner haben wir nachträglich ergänzt.

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