Opposition kritisiert Berliner Senat

100 Tage Berliner Senat – Die AfD sagt: Dafür haben wir Kai Wegner nicht gewählt

Geteiltes Urteil über den Start von Schwarz-Rot. Grüne und Linke haben mit nichts anderem gerechnet. Die Aussage der AfD ist pure Provokation.

Die Ex und ihr Nachfolger: Franziska Giffey und Kai Wegner.
Die Ex und ihr Nachfolger: Franziska Giffey und Kai Wegner.Monika Skolimowska/dpa

Seit 100 Tagen ist der schwarz-rote Senat in Berlin im Amt. Die Zensuren für ihn fallen erwartungsgemäß geteilt aus: Die große Koalition ist natürlich zufrieden, die Opposition ist es ebenso natürlich nicht. Doch Opposition ist nicht gleich Opposition. Während Linke und Grüne alles schon vorher wussten und die Erzählung von der „Rückschrittskoalition“ offenbar schon in der Schublade hatten und seitdem immer wieder wiederholen, zeigt sich die AfD enttäuscht. Quasi persönlich von Kai Wegner. „Dafür“, so sagen sie, „haben wir ihn nicht gewählt“.

Kristin Brinker, Partei- und Fraktionsvorsitzende der Berliner AfD, hat eine ganze Liste von „Enttäuschungen“, wie sie es nennt, über Berlins neuen Regierenden Bürgermeister parat. Am Mittwoch trug sie diese Journalisten vor.

So hätten Wegner und seine CDU im Wahlkampf versprochen, dass sich Zustände wie in der Silvesternacht nicht wiederholten, als Feuerwehrleute und Polizisten angegriffen wurden. „Doch dafür hat Kai Wegner nichts getan“, sagt Brinker. Außer allerlei Gesprächsrunden sei nichts geschehen, es gebe „immer noch keine sicheren Verhältnisse auf den Straßen Neuköllns“. Bis heute liege kein „Konzept“ vor. Was in einem solchen aus ihrer Sicht stehen müsste? „Man muss Druck ausüben, damit unsere Sicherheitskräfte nicht mehr angegriffen werden“, so die AfD-Politikerin.

Ebenso enttäuschend sei aus Sicht der Rechtspopulisten, die sich in Berlin zumindest in Teilen gerne betont bürgerlich geben, dass sich „Kai Wegner über Berliner Familien keine Gedanken macht“, wie es Brinker formuliert, „stattdessen möchte er woke sein“. Woke zu sein, also „in hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung", wie es der Duden formuliert, gilt in AfD-Kreisen, und nicht nur dort, lange schon  als Schimpfwort.

Als einen Beweis für Wegners vermeintliche Wokeness führt die AfD-Chefin die Einsetzung eines Queerbeauftragten an, worauf sich Schwarz-Rot in ihren Koalitionsverhandlungen geeinigt hatte. Alfonso Pantisano, so heißt der Mann auf diesem neuen Posten, so Brinker, und schon einmal Feministinnen Hündinnen genannt. Summa summarum: „In der Familienpolitik ist Herr Wegner tatsächlich ein Reinfall.“

Die AfD-Liste ließe sich noch lange weiterführen. In der Verkehrspolitik habe sich Wegner bisher eben nicht so klar pro Autofahrer positioniert wie im Wahlkampf versprochen.

Beim Klima-Sondervermögen verantworte er neue Schulden, habe „keinen Plan, das Verwaltungselend zu lösen“ und überhaupt auch bei der Diskussion um Sicherheit in den Freibädern eine „klare Reaktion“ vermissen lassen.

Da ist also jemand enttäuscht, wie sie sagt. Stellt sich die Frage: Wieso eigentlich? Hätte die AfD und ihre Chefin je etwas anderes erwarten dürfen? Hat sie wirklich gedacht, Wegner sei in Wirklichkeit einer von ihnen? Oder zumindest näher an der AfD als die meisten anderen Berliner Landespolitiker? Zumindest möchte die AfD es so aussehen lassen.

Aber ist das auch richtig? Schließlich sagt Kai Wegner, der einst am konservativen Rand der Berliner CDU angefangen hat, er habe sich seitdem sehr geändert. Den „Realitäten in einer vielfältigen Stadt angepasst“, wie er selbst sagt.

Für Kristin Brinker stellt sich das anders dar. „Wir haben den Eindruck, dass sich Kai Wegner viel zu sehr treiben lässt von linkem Mainstream“, sagt sie und spricht von einem „typischen Merkel-Syndrom“. Soll heißen: Auch die langjährige Bundeskanzlerin von der CDU habe einst konservativ begonnen, um dann – aus AfD-Perspektive – irgendwohin abzurutschen. In den linken Mainstream wahrscheinlich.

Nun müsste sich Kai Wegner über die „Enttäuschungs“-Tirade der AfD nicht sonderlich scheren und könnte sie als übliche Folklore von rechts abtun, bliebe nicht ein Schatten auf seinem Amt. Dabei geht es um seine Wahl im Abgeordnetenhaus am 27. April.

Bekanntlich brauchte er damals drei Wahlgänge, um die erforderliche Mehrheit zu erreichen. In den ersten beiden Durchgängen hatten ihm Abgeordnete von CDU und/oder SPD ihre Stimme verweigert. Im dritten Wahlgang bekam er dann genau die 86 Stimmen, die Schwarz-Rot im Berliner Parlament hat. 

Berliner AfD: Wir haben Kai Wegner gewählt – aber nicht dafür

Doch bekam Wegner tatsächlich alle Stimmen dieser Koalition? Nach Informationen der Berliner Zeitung war das nicht so, doch die Wahl war frei und geheim. Und die AfD sagt: Nein, er hat nicht alle Koalitionsstimmen erhalten. Wir haben Kai Wegner gewählt!

Warum die Rechten das getan haben sollten? Um zu verhindern, dass die Grünen doch noch irgendwie in die Regierung gekommen wären. Sagen sie. Womöglich in einer Koalition mit der CDU. Sagen sie. Um einen Putsch von SPD-Mann Raed Saleh zu verhindern, der an der gescheiterten Franziska Giffey vorbei eine Neuauflage von Rot-Grün-Rot unter seiner Führung eingefädelt hätte. Sagen sie. „Damit Kai Wegner das erfüllt, was er versprochen hat“, sagt Kristin Brinker.