Ukraine-Krieg

100 Milliarden Euro für die Bundeswehr: Scholz kündigt Aufrüstung an

In seiner Regierungserklärung sagt Bundeskanzler Olaf Scholz, dass künftig mehr in die Sicherheit des Landes investiert werden soll.

Bundeskanzler Olaf Scholz während der Sondersitzung des Bundestags zum Krieg in der Ukraine.
Bundeskanzler Olaf Scholz während der Sondersitzung des Bundestags zum Krieg in der Ukraine.dpa

In diesen Tagen nach dem Angriff des russischen Militärs auf die Ukraine ist vieles außergewöhnlich. Das betrifft nicht nur den Zeitpunkt für die Sondersitzung des Bundestages. Zum ersten Mal tritt das Parlament an einem Sonntag zusammen. Es betrifft auch die Reden der meisten Politikerinnen und Politiker, die ans Pult treten. Dreieinhalb Stunden dauert die Sitzung, die nur einen Tagesordnungspunkt hat, die Befassung mit Putins Angriffskrieg. Diese Legislaturperiode steht erst am Anfang, aber man kann jetzt schon sagen, dass diese Bundestagssitzung wohl die bemerkenswerteste darin sein wird.

Einberufen wurde sie auf Initiative von Bundeskanzler Olaf Scholz. Er hält an diesem sonnigen, kalten Tag eine Regierungserklärung, von der er noch vor einer Woche nicht geahnt hat, dass sie notwendig sein würde. Von ihrem Inhalt ganz zu schweigen: Der SPD-Kanzler Scholz kündigt eine massive Aufrüstung der Bundesrepublik an. Dazu wird ein sogenanntes Sondervermögen von 100 Milliarden Euro gebildet. Die Mittel sollen für Investitionen und Rüstungsvorhaben genutzt werden. „Lassen Sie uns das Sondervermögen im Grundgesetz absichern“, sagt Scholz in Richtung der Unionsfraktion, deren Stimmen er dazu benötigt.

Zusätzlich zum neuen Sondervermögen sollen aber auch die jährlichen Verteidigungsausgaben erhöht werden. Von nun an, so Scholz, werde die Regierung „Jahr für Jahr“ mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung geben. „Wir müssen deutlich mehr investieren in die Sicherheit unseres Landes, um auf diese Weise unserer Freiheit und unserer Demokratie zu schützen“, sagt Scholz. Das bedeute eine große nationale Kraftanstrengung.

Der sonst so nüchterne SPD-Politiker gebraucht große Worte in seiner Rede, die viel unmissverständlicher ausfällt als viele vorher, auch zu diesem Thema. Der Angriff Putins auf die Ukraine sei eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents, so Scholz. „Das bedeutet, die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie davor.“ Putin habe mit seinem Angriff die europäische Sicherheitsordnung zertrümmert, wie sie seit der Schlussakte von Helsinki fast ein halbes Jahrhundert gegolten habe. Daraus müsse Europa die Konsequenzen ziehen. „Im Kern geht es um die Frage, ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen“, sagt Scholz. Das aber setze eigene Stärke voraus.

Als wichtige Maßnahme kündigte Scholz die weitere Unterstützung der Ukraine an: „Wie Sie wissen, haben wir gestern entschieden, dass Deutschland Waffen liefern wird“, sagt der Bundeskanzler. „Wir konnten keine andere Antwort geben.“ Der Krieg werde sich auch als Katastrophe für Russland erweisen. Man habe ein nie gekanntes Sanktionspaket geschnürt. Es geht um Stinger-Raketen und Panzerabwehrgeschütze.

„Wir schließen die russischen Banken von Swift aus“, so Scholz und thematisiert dabei eine weitere Kehrtwende der deutschen Politik, die am Vorabend bekannt geworden war. Dem Ausschluss Russlands aus dem internationalen Finanztransaktionssystem hatte man nach Druck aus den anderen europäischen Ländern zugestimmt. Im Bundestag bekommt der Kanzler großen Beifall für den Satz, auch vom ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk, der die gesamte Debatte auf der Gästetribüne verfolgt. Er war zu Beginn der Sitzung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas begrüßt worden und hatte minutenlangen stehenden Applaus der Abgeordneten entgegengenommen – sowie eine Umarmung des frühere Bundespräsidenten Joachim Gauck, der neben ihm saß. Nur die AfD blieb sitzen.

Scholz spricht in seiner Rede auch die russische Bevölkerung direkt an, die auf Demonstrationen mutig gegen den Krieg protestiert hätten. „Wir wissen, Sie sind viele. Geben Sie nicht auf“, sagt Scholz. An der eigenen Entschlossenheit lässt er keine Zweifel aufkommen. So viel Diplomatie wie möglich, ohne naiv zu sein, das bleibe als Prämisse der Politik, sagt Scholz. Aber es gelte vor allem: „Wir werden uns nie abfinden mit Gewalt als Mittel der Politik. Wir werden nicht ruhen, bis der Frieden in Europa gesichert ist.“ Als er seine Regierungserklärung nach einer guten halben Stunde beendet, stehen die Abgeordneten wieder auf und klatschen minutenlang.

Für die Regierung sprechen später auch noch Außenministerin Annalena Baerbock, Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP), die sich alle für die beschlossenen Sanktionen einsetzten, auch wenn sie der eigenen Bevölkerung einiges abverlangen könnten. Lindner überraschte dabei mit dem Satz: „Erneuerbare Energien lösen uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien.“

Die Einigkeit zerstört auch Friedrich Merz nicht – jedenfalls zu Beginn seiner Rede. „Wir haben klare Auffassung zu diesem Krieg und seinem einzigen Verantwortlichen: Wladimir Putin“, sagt er. „Aus ihm ist nun endgültig und für alle sichtbar ein Kriegsverbrecher geworden.“ Seine Fraktion hat den Entschließungsantrag der Ampel-Parteien mitunterschrieben, der zum Schluss verabschiedet wird und in dem noch einmal alle Forderungen aufgelistet sind. Auch für die Ertüchtigung der Bundeswehr sagt er die Unterstützung seiner Fraktion zu. Die Finanzierung dafür in einem Sondervermögen und im Grundgesetz zu verankern, „das geht nicht allein mit einer Regierungserklärung am Sonntagmorgen zu machen“, sagt der CDU-Chef. „Darüber müssen wir dann in Ruhe und im Detail sprechen.“