Fragebogen Berlin

Schlecky Silberstein über Berlin: „Aus Charlottenburg will ich immer schnell wieder raus“

Unser Berlin-Fragebogen, diesmal mit dem Autor Schlecky Silberstein, der das Prenzlauer-Berg-Klischee lebt und Studenten rät, doch lieber nach Erfurt zu ziehen.

Arbeitet an der Unabhängigkeit der Freien Republik Prenzlauer Berg: Schlecky Silberstein.
Arbeitet an der Unabhängigkeit der Freien Republik Prenzlauer Berg: Schlecky Silberstein.Maximilian Motel/Steinberger Silberstein GmbH

Berlin hat rund 3,8 Millionen Einwohner, und jeder hat seinen eigenen Blick auf die Stadt. Was macht Berlin aus, wieso lebt man hier – und tut man es überhaupt gern?

In unserer Rubrik „Fragebogen Berlin“ fragen wir bekannte Hauptstädterinnen und Hauptstädter nach ihren Lieblingsorten und nach Plätzen, die sie lieber meiden. Sie verraten, wo sie gern essen, einkaufen oder spazieren gehen. Aber auch, was sie an Berlin nervt und was man hier auf keinen Fall tun sollte.

Diesmal hat der Autor, Schauspieler und Blogger Christian Brandes unsere Fragen beantwortet, der besser bekannt ist unter seinem Künstlernamen Schlecky Silberstein. Er betreibt nicht nur einen gleichnamigen Blog, sondern ist auch Host und Darsteller der Grimme-Preis-gekrönten Comedyshow „Browser Ballett“. Aktuell laufen neue Folgen des Satireformats bei ZDF Neo. 

Privat lebt Schlecky Silberstein schon lange in Berlin, auch seine Produktionsfirma sitzt hier. Warum er so gern in Prenzlauer Berg wohnt und sich trotz einiger Vorbehalte auch immer wieder gen Charlottenburg aufmacht, hat er uns im Fragebogen verraten.

1.                 Herr Silberstein, seit wann sind Sie schon in der Stadt?

Ich bin 2002 in einer aus heutiger Sicht völlig surrealen Zeit nach Berlin gekommen. Ich war Student, suchte eine bezahlbare Wohnung in meinem Wunschbezirk und hatte nach zwei Tagen Suche drei Wohnungen zur Auswahl.

2.                Welcher ist Ihr Lieblingsort in Berlin?

Der Sportkäfig am Helmholtzplatz. Meine Kinder spielen dort Fußball, ich spiele dort Basketball, abends sitze ich mit meinem Hund auf der Bank davor, es ist der einzige Ort, an dem ich auch die Kacke von fremden Hunden wegräume. Das würde ich nicht mal in meiner Wohnung machen.

3.               Wo zieht es Sie hin, wenn Sie entspannen wollen?

Ganz hinten rechts im Decathlon am Alexanderplatz gibt es einen Minigolf-Platz. Das wissen die wenigsten. Wenn ich Entspannung suche, schlage ich dort ein paar Löcher. Und das auch noch gratis.

4.              Welche Ecken der Stadt meiden Sie?

Charlottenburg. Ich weiß nicht, was es ist, aber aus Charlottenburg will ich immer schnell wieder raus. Charlottenburg strahlt diese Mischung aus West-Arroganz, Boomer-Reservat und Männern mit orangefarbenen Socken unter gelben Jeans aus. Und trotzdem komme ich immer wieder zurück. Weil in Charlottenburg mein Büro liegt.

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Stephanie Kulbach/ZDF
Zur Person
Christian Brandes alias Schlecky Silberstein kam 1981 im niedersächsischen Vechta zur Welt und wuchs in Bremen auf. Er arbeitete als Texter bei verschiedenen Werbeagenturen und betrieb ab 2010 unter dem neuen Namen Schlecky Silberstein parallel den Blog Spiegel Offline, in dem er Kuriositäten aus dem Internet sammelte. Später benannte er den Blog in Schlecky Silberstein um. Er war Comedy-Autor für verschiedene Radio- und Fernsehsendungen, unter anderem für das „Neo Magazin Royale“, und erfand 2016 das Satire-Format „Browser Ballett“. Wenn er nicht gerade dafür vor der Kamera steht, schreibt er Bücher oder engagiert sich für die Gesellschaft für Digitale Ethik. Seit 2018 ist er zudem Gesellschafter und Kreativdirektor der Steinberger Silberstein GmbH.

Gemeinsam mit Christina Schlag (Foto) präsentiert Schlecky Silberstein in den neuen Folgen vom „Browser Ballett“ sechs monothematische, satirische Filme. „Die Medien, die Politik, die Reichsbürger, die Friedensschwurbler und die Gegner der Friedensschwurbler kriegen ihr Fett weg“, heißt es in der Ankündigung. Zu sehen sind die Filme in der ZDF-Mediathek, Folge 3 wird am 19. August um 19.45 Uhr bei ZDF Neo ausgestrahlt.

5.               Ihr ultimativer Gastro-Geheimtipp?

Die Taverna To Koutouki am Kottbusser Damm ist ein kleines griechisches Restaurant, das alles rasiert. Nur für Vegetarier gibt’s da nichts zu holen. Grieche eben.

6.               Ihr ultimativer Shopping-Geheimtipp?

Jetzt wird’s cheesy: Das Uslar & Rai ist ein kleiner, sympathischer Buchladen in der Schönhauser Allee. Die kuratieren unglaublich gut, ich kann also ohne konkreten Plan reingehen und finde immer ein Buch, das mich noch vor Ort wahnsinnig interessiert.

7.              Der beste Stadtteil Berlins ist …

Die Freie Republik Prenzlauer Berg gilt offiziell als Stadtteil, aber wir arbeiten alle bereits an der Unabhängigkeit. Vorher kommt aber erst der Sezessionskrieg zwischen uns, der Grafschaft Schönhauser bis Bornholmer und dem Schickimicki-Kalifat Kollwitzkiez.
Jedes P-Berg-Klischee stimmt, wer keine Kinder hat, für den hat die Hood auch nichts zu bieten. Das Problem ist nur, dass meine Kinder von dieser hysterisch heilen Welt so weichgewaschen sind, dass sie in keinem anderen Bezirk auch nur drei Stunden überleben würden.

8.             Das nervt mich am meisten an der Stadt:

Es wird leider wenig bis gar nichts gegen den Airbnb-Krebs unternommen. Die Stadt ist voll mit illegalen Hotels, und es werden jeden Tag mehr. Das sind alles Wohnungen, die einmal zur Pension umgewandelt, sofort vom Wohnungsmarkt verschwinden. Als Filmschaffender stehe ich oft in solchen Wohnungen, weil wir sie als Sets anmieten, womit ich auch Teil des Problems bin. Ich will nicht wissen, von wieviel Wohnraum wir hier effektiv reden, weil wir leider auch eine Stadtverwaltung haben, die es in 1000 Jahren nicht geschissen bekommt, das einmal ordentlich zu ermitteln. Ich lehne mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster und sage: Einer der wesentlichen Faktoren für die Wohnungskrise Berlins ist Airbnb.

9.              Was muss sich dringend ändern, damit Berlin lebenswert bleibt?

Ich bin bekennender Öko-Faschist. Alle Autos raus, die nicht zum gewerblichen Verkehrsaufkommen gehören. Dazu muss man gar nicht an die Autos ran. Einfach alle Parkplätze in Bürgersteige umwandeln, dann löst sich das Problem von selbst.

10.            Ihr Tipp an Unentschlossene: Nach Berlin ziehen oder es lieber bleiben lassen?

Das ist leider eine Frage des Einkommens, so hart das klingt. Ich würde beispielsweise Studenten raten, Berlin zu vergessen. Was bringt’s, in einer schönen Stadt mit viel Kultur zu leben, wenn deine ganze Kohle für Miete draufgeht? Pleite geht’s dir überall scheiße, so ist das leider.
Ich war vor kurzem in Erfurt und bin immer noch nachhaltig beeindruckt. Die Stadt ist jung, und es ist viel los auf den Straßen, Erfurt hat etwas Mediterranes. Ich hab mir später mal die Mietpreise angesehen, sowas zahlst du im Kollwitzkiez für ein Frühstück. Wäre ich heute Student oder aus anderen Gründen knapp bei Kasse, ich würde nach Erfurt gehen.

11.            Cooler als Berlin ist nur noch …

Kopenhagen. Ich liebe die Geschichte von Christiania, also der Stadt innerhalb der Stadt, die sich komplett selbst verwaltet und ihre eigenen Regeln hat. Sowas brauchen wir in Berlin auch. Ich schlage die Grafschaft Schönhauser bis Bornholmer vor.