Gerade ist die 18. Staffel von Heidi Klums Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ zu Ende gegangen. Und während einigen noch der Nachhall des kreischbunten Finales in den Ohren klingelt, haben andere schon wieder vergessen, wer eigentlich in diesem Jahr gewonnen hat.
Zwar kann man sich auf der ProSieben-Website schon für GNTM 2024 bewerben, aber im Großen und Ganzen war die alljährliche Aufregung um die Show gerade verklungen. Doch nun kommt eine neue Dokumentation daher, die unter dem Titel „Druck, Hass, Manipulation: Wie kaputt macht ‚Germany’s Next Topmodel‘?“ eine gut einstündige Recherche darüber servieren will, was hinter den Kulissen der Sendung vor sich geht.
Ein etwas ungewöhnlicher Zeitpunkt, den das öffentlich-rechtliche Reportageformat „STRG_F“ von NDR und funk für die Veröffentlichung seines Films gewählt hat. Als YouTuber Rezo vor einem Jahr seine deutlich knalliger daherkommende Abrechnung mit Klums Show präsentierte, war das Timing besser. Das Video kam kurz vor dem GNTM-Finale heraus und sorgte für einigen Wirbel. Genauso wie die Abrechnung von Ex-Teilnehmerin Lijana Kaggwa aus Kassel, die 2020 in der finalen Liveshow vor einem Millionenpublikum freiwillig ausstieg.
Kaggwa veröffentlichte im Nachgang mehrere Statements über die Show auf YouTube, sprach davon, dass man sie bewusst als Zicke inszeniert habe. Nach der Teilnahme habe sie unter Depressionen und Suizidgedanken gelitten. Wegen massiver Bedrohungen sei sie zeitweise unter Polizeischutz gestellt worden. ProSieben ging gerichtlich gegen Kaggwas Statements vor, die juristische Auseinandersetzung ist noch nicht abgeschlossen.
Die 27-Jährige ist nun auch Teil der neuen Videodokumentation, die auf YouTube abrufbar ist und dort bis Mittwochabend bereits fast 500.000-mal angeschaut wurde.
Ex-Juror Peyman Amin: Man kennt die Missstände und macht trotzdem mit
Heidi Klum verspreche die Erfüllung eines Traums, heißt es im Film – von Ruhm, Reichtum und dem Leben als Topmodel. Doch zu welchem Preis? Zu Wort kommen neben Kaggwa auch die Siegerin der 14. Staffel, Simone Kowalski, oder Tessa Bergmeier, die zuletzt im RTL-Dschungelcamp zu sehen war und dort bereits hart mit der Klum-Show ins Gericht ging. Ex-Juror Peyman Amin benennt gleich zu Beginn des gut einstündigen Films ein augenscheinliches Dilemma: „Die jungen Leute kriegen das mit über die Missstände bei ‚Germany’s Next Topmodel‘. Aber dann machen sie trotzdem mit in der nächsten Staffel.“

Die Macherinnen der Doku betonen in einem Einspieler, sie seien schwierige Recherchen gewohnt. Selten jedoch hätten sie erlebt, dass Interviewpartner solche Angst gehabt hätten, vor die Kamera zu treten. 100 Teilnehmerinnen und 50 Mitarbeiter der Sendung seien angefragt worden. Davon habe etwa die Hälfte mit dem Reporterteam gesprochen – meist aber nur vertraulich, aus Sorge vor Klagen oder öffentlicher Anfeindung.
Die neun Teilnehmerinnen, die sich vor die Kamera trauten, berichten davon, dass sie schon als junge Mädchen die Sendung schauten und diese als Sprungbrett in die Modelwelt betrachteten. Simone Kowalski erzählt, sie habe geglaubt, wenn sie gewinne, dann habe sie es im Leben geschafft. „Heidi hat den Traum davon, berühmt zu werden, in unsere Kinderzimmer gebracht“, resümiert Lijana Kaggwa.

Auch das Berliner Erotikmodel Micaela Schäfer, die 2006 bei der ersten GNTM-Staffel dabei war, erzählt von ihrem Ziel, berühmt zu werden, und vom Warten auf die Chance, sich „als normales Mädchen“ in einem deutschen Fernsehformat präsentieren zu können.
Klum, die zu Beginn ihrer Karriere selbst einen TV-Modelcontest gewann, konnte diese Chance besonders glaubhaft verkörpern. Noch immer sprechen einige Teilnehmerinnen in den höchsten Tönen von „ihrer Model-Mama“. Micaela Schäfer nennt Heidi Klum eine Göttin.
Allerdings sagen andere Befragte, sie hätten Klum deutlich seltener gesehen, als es der Zusammenschnitt der Sendung vermuten lasse. Die Model-Villa habe man nicht verlassen dürfen, es habe keine Handys und keinen Internetzugang gegeben. „Kein Rückzugsort, kein Entkommen und viel emotionales Futter für die Kamera“, so formulieren es die Filmemacher. ProSieben habe auf Anfrage auf bestehende Regeln verwiesen, die die Kandidatinnen vorher kennen würden. Es stehe jedem frei, die Show zu verlassen.
Simone Kowalski, die schon während der Dreharbeiten viel litt und oft weinte, lässt vier Jahre nach ihrem Sieg wenig Gutes an „Germany’s Next Topmodel“. Sie sei mit den anderen Kandidatinnen gar nicht klargekommen, die ihr damals eine dramatische Inszenierung vorwarfen. Tessa Bergmeier erzählt, dass Redakteure der Sendung bewusst Streit kreiert hätten. Sie sei wohl nur ausgewählt worden, weil sie laut sei und Konfliktpotenzial mit sich bringe.
Die Rollen der Kandidatinnen stünden von vornherein fest, so die heute 33-Jährige. Dann werde alles so zusammengeschnitten, dass es passe. Das Team habe einen oftmals getriggert, sagt Kowalski. Man sei nicht geschützt worden. Kaggwa erzählt, die Redakteure vor Ort seien einem sehr nah gewesen, „wie eine Familie“. Sie hätten mitgeweint, wenn sie geweint habe. Wie sie am Ende dargestellt worden sei, habe nichts mit ihrem Empfinden während der Dreharbeiten zu tun gehabt.
Die Dokumentation thematisiert auch die Nackt-Shootings der Show, zeigt Ausschnitte, die so oder so ähnlich auch Rezo in seinem Clip verwendet hatte. In denen 16-jährige Mädchen als sexy gefeiert, Kuss-Shootings mit Männern am Strand aufreizend kommentiert werden.
Auch Bodyshaming-Ausschnitte, in denen Models gesagt wurde, dass sie zu dick seien, erscheinen heute wie aus einem anderen Jahrtausend. Dabei liegen sie noch gar nicht so lang zurück. Dass man nun auf Diversity setze und auch Curvy Models eine Chance hätten, wird in der Dokumentation zwar zur Kenntnis genommen, letztlich aber nicht zum Vorteil der Sendung ausgelegt.
Nur wenige Teilnehmerinnen würden in Erinnerung bleiben oder groß Karriere machen, einige wenige erfolgreiche Gewinnerinnen wie Lena Gercke oder Stefanie Giesinger „ins Schaufenster gestellt“. Simone Kowalski spricht von einem Narrativ, das nicht stimme. Sie habe noch immer Schwierigkeiten, Agenturen zu finden und von ihrem „Traumjob“ leben zu können. 2020 hatte sie den Vertrag mit der Agentur ONEeins fab von Heidi Klums Vater Günther aufgelöst. Warum es dazu kam, sagt sie allerdings nicht.
Auch Tessa Bergmeier erzählt, sie sei nach ihrer GNTM-Teilnahme nicht mehr als Model gebucht worden, weil sie als zu schwierig galt: „Es ist schrecklich, was die Show für ein Bild von mir hinterlassen hat.“
Heidi Klum bestritt Vorwürfe gegen GNTM zum Auftakt der 18. Staffel
Und wie reagiert Heidi Klum? Zu Beginn der jüngsten GNTM-Staffel hatte sie sich zuletzt zu Vorwürfen bezüglich ihrer Sendung geäußert. Sie sagte, sie wisse, wie es ist, Negativkommentaren ausgesetzt zu sein, und bestritt, dass ihre Sendung nicht echt sei. Alles, was die Models täten und sagten, sei ihre eigene Entscheidung.
Die Schilderungen der Teilnehmerinnen zeichnen teils ein anderes Bild. Und doch erzählt die funk-Dokumentation im Grunde nichts Neues. Sie könnte jungen Frauen natürlich eine Warnung sein, worauf sie sich bei der Teilnahme einlassen. Aber am Ende gilt wohl, was Modelagent Peyman Amin eingangs sagte: Man weiß es und macht trotzdem mit.






