Eines zumindest haben Dieter Nuhr und Rammstein ohnehin gemeinsam: Das Wirken des Kabarettisten und der Band ergibt sich vor allem aus der Provokation – der Verarbeitung von Themen, die vor allem anecken und kränken sollen, und das auf denkbar plumpe Weise.
So wundert es auch nicht, dass nun sozusagen beide zusammenkommen, Nuhr und Rammstein, zumindest inhaltlich, auf der Bühne des Ersteren: In der aktuellsten Ausgabe seiner ARD-Show „Nuhr im Ersten“ bedient sich der 62-Jährige des aktuellen Skandals um Frontmann Till Lindemann, dem von mehreren Dutzend Frauen unter anderem Nötigung und sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden.
Die Sendung wurde bereits am 8. Juni ausgestrahlt; ein Videomitschnitt der entsprechenden Stellen des Auftritts macht in den sozialen Medien allerdings erst jetzt die Runde – und sorgt dort für Kritik. Schon wie Nuhr das Thema einführt, ist zumindest mal befremdlich.
Der Komiker zitiert aus aktuellen Statistiken, denen zufolge die deutschen Männer im Ländervergleich die wenigsten Sexualpartnerinnen und Sexualpartner haben sollen. „Wie sollen Menschen bei uns auch heute noch Sex haben, wenn jeder Blick schon als übergriffig wirkt?“, fragt Nuhr; Sexualität würde ja nicht mehr als etwas „Unbeschwertes oder gar Liebevolles“ besprochen, sondern nur noch als „ein Problem“.
Dieter Nuhr zu Rammstein: Finde, das müssen Gerichte entscheiden
Er selbst spreche ohnehin nur noch in Gegenwart von Juristen über Sexualität, „und ich steige auch nicht mehr mit einer fremden Frau allein in den Fahrstuhl, ich bin ja nicht verrückt.“ Schon nonchalant vom Thema der Sexualität auf jenes der sexualisierten Gewalt zu lenken, dürften viele Zuschauerinnen und Zuschauer bedenklich finden – dass Nuhr dann von einer vermeintlich großen Gefahr für Männer schwadroniert, fälschlicherweise der Übergriffigkeit bezichtigt zu werden, gibt schon vor, in welche Kerbe seine folgenden Witze schlagen.
„Und jetzt kommt auch noch diese Rammstein-Geschichte hinzu“, führt Nuhr fort, im Gegensatz zum Rest des Landes wisse er ja nicht, was hinter den Bühnen der Band geschehen sei. „Ob es sich um Missbrauch handelte“, so der Komiker mit einem Schulterzucken, „ich finde, das müssen Gerichte entscheiden, die sind dafür zuständig“, und nicht ein angeblich dominierendes „Volkstribunal“.
Wenn es Straftaten gebe, müssten sie verfolgt werden. Das sieht auch Dieter Nuhr ein. „Aber dafür ist die Justiz zuständig und nicht die Familienministerin – der muss man das noch erklären.“ Der Komiker sagt das mit Blick auf die Grünen-Politikerin Lisa Paus, die in einem Interview Änderungen im Konzertbetrieb wie spezielle Schutzbereiche und Awareness-Teams gefordert hatte, um Frauen auf großen Veranstaltungen besser schützen zu können. Ein an sich doch erst mal wenig verwerfliches Ziel.
Am meisten aber, fährt Nuhr fort, sei er überrascht, wie überrascht alle seien über das, was offenbar hinter den Kulissen der Rammstein-Konzerte passiere. Gemeint sind damit die After-Show-Partys, für die Lindemanns „Casting-Direktorin“ Alena Makeeva Frauen rekrutiert haben soll, um sie dem Musiker zuzuführen. Ein als „Row Zero“ bekannt gewordenes System, das anders als die Darstellungen mehrerer Frauen, sie seien mit Betäubungsmitteln gefügig gemacht worden, in seiner reinen Existenz nicht bestritten wird.
Dieter Nuhr wundert die Existenz eines solchen Systems, das junge weibliche Fans zu Sexobjekten degradiert haben soll, jedenfalls nicht. „Auf meiner Kuschelrock-CD waren Rammstein nicht drauf“, sagt er. „Ich habe auch nicht erwartet, dass die auf einer Rammstein-After-Show-Orgie einen Stuhlkreis bilden und sich an den Händen fassen, um über tiefe Gefühle zu diskutieren.“ Es ist dieselbe Schlagrichtung, die sich in den vergangenen drei Wochen immer wieder hier und da abgezeichnet hat.
Dieter Nuhrs Kritiker sprechen von Victim Blaming
Was Nuhr mit seinem Auftritt betreibe, sei „Victim Blaming“, heißt es nun in zahlreichen Kommentaren in sozialen Medien wie TikTok, Twitter und Youtube, wo das Video nun geteilt wurde. Denn wer auf eine Party im Rahmen eines Rammstein-Konzerts geht, müsse ja wissen, auf was er – oder besser sie – sich einlasse, so lässt sich Nuhrs These interpretieren. Gleichzeitig diskreditiert der Komiker auch Lindemann und die Band, für die er bei seinem Auftritt eigentlich einfordert, man möge sie nicht vorverurteilen.
Genau das aber tut Dieter Nuhr selbst, indem er suggeriert, bei einer Band wie Rammstein sei es doch kaum verwunderlich, dass es backstage zu zwiespältigen Szenen komme. „Weil ich hab mir mal angehört, was die singen“, so Nuhr, bevor er im betont düsteren Ton ein Rammstein-Lied anstimmt.
„Ich wette, die Diskussionen werden bald wieder umschlagen, bald geht es wieder um Alltagssexismus“, schließt Nuhr diesen Teil seiner rund 45-minütigen Show, „ein gewissenhafter Mann wird künftig nicht mehr nur Kondome dabei haben, sondern auch Formulare, da bin ich ganz sicher.“
Ob sich an seiner Einschätzung der Situation mittlerweile etwas geändert hat – schließlich wurde diese Ausgabe von „Nuhr im Ersten“ bereits vor mehr als einer Woche aufgenommen, Tage bevor die Berliner Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Till Lindemann aufgenommen hat –, ist nicht bekannt. Auch darüber, ob er es nun bereut, die aktuellen Geschehnisse so früh komödiantisch bearbeitet zu haben, kann nur gemutmaßt werden.




