Was für ein Kontrast, was für ein Typ! Er reckt uns den Mittelfinger samt Herz-Tattoo entgegen, seine Nase blutet: Chris „the Lord“ Harms auf dem „Blood & Glitter“-Single-Cover. Sein Gesicht trägt glitzerbleiches Make-up, seine Nägel hat er rot lackiert.
Chris Harms ist der Mann aus Deutschland, auf den am Samstag die halbe Welt gucken wird. Und lauschen wird sie ihm auch. Denn Chris Harms ist der Sänger der Band, die Deutschland beim Eurovision Song Contest vertritt: Lord of the Lost. Der Herr der Fliegen und der Herr der Ringe können einpacken! Chris Harms, der Herr der verlorenen Seelen, ist gekommen, uns zu besingen mit seiner knüppelharten, butterzarten Mixtur von einem Song.
Ganz harmlos scheint Chris Harms, Hamburger, Jahrgang 1980, zwar nicht, „Blood & Glitter“ klingt nach Neue Deutsche Härte à la Rammstein, klingt nach Marilyn- Manson-Goth-Rock und nach Emo-Hard-Pop eines Ville Valo von HIM („Join Me In Death“). Aber all dies besonders radiotauglich getrimmt. Chris Harms nennt auch die frühen 90er-Allterweltslieblinge Roxette und Dance-Pop-Queen Lady Gaga seine Vorbilder. Letztere kann man in der „Blood & Glitter“-139-bpm-Nummer in a-Moll gar besonders deutlich heraushören: „We’re so happy we could die“, singt Chris Harms direkt in der zweiten Zeile. Ein Schelm, wer da an Lady Gagas Tanzbodenstampfer „So Happy I Could Die“ von 2009 denkt?
Musikalisch hat Chris Harms so einiges durchgemacht: Als kleiner Junge hat er klassisch Cello gelernt – nachdem er zur Weihnachtszeit in einem Schafstall erstmals einen Cello-Spieler live gehört hatte. Das Instrument muss ihn bezaubert haben. Ein Cello-Lehrer machte ihn später auch mit Jazz und Metal bekannt. Und Harms lernte so ziemlich alle Instrumente, die ihm in die Hände kamen. „Wenn es sein muss“, sagt Harms, „kann ich rudimentär alles, was in der Populärmusik instrumental wichtig ist, halbwegs umsetzen.“ So seit 2007 auch bei seiner Metal-Glam-Band Lord of the Lost, deren zehntes Album „Blood & Glitter“ 2022 auf Platz eins der deutschen Charts schoss.



