Fragebogen Berlin

„Junkies kratzten an der Wohnungstür“: Warum Fabian Hinrichs aus Berlin weggezogen ist

Unser Berlin-Fragebogen, diesmal mit dem „Tatort“-Schauspieler Fabian Hinrichs, der erzählt, warum er mit seiner Familie nach Potsdam gezogen ist.

„Am meisten entspricht meinem Wesen wohl Kreuzberg“: Fabian Hinrichs
„Am meisten entspricht meinem Wesen wohl Kreuzberg“: Fabian HinrichsDirk von Nayhauß/Agentur Focus

Berlin hat rund 3,8 Millionen Einwohner, und jeder hat seinen eigenen Blick auf die Stadt. Was macht Berlin aus, wieso lebt man hier – und tut man es überhaupt gern?

In unserer Rubrik „Fragebogen Berlin“ fragen wir bekannte Hauptstädterinnen und Hauptstädter nach ihren Lieblingsorten und nach Plätzen, die sie lieber meiden. Sie verraten, wo sie gern essen, einkaufen oder spazieren gehen. Aber auch, was sie an Berlin nervt und was man hier auf keinen Fall tun sollte.

Diesmal hat der Theaterschauspieler und „Tatort“-Star Fabian Hinrichs unsere Fragen beantwortet. Schon seit dem Abschluss seiner Schauspielausbildung ist Hinrichs der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz fest verbunden, war dort Ensemblemitglied, spielte in Pollesch-Produktionen und stellte gerade mit „Sardanapal“ sein Herzensprojekt als Regisseur vor.

Auch wenn er in Berlin immer noch viel zu tun hat – seinen privaten Lebensmittelpunkt verlegte Hinrichs vor ein paar Jahren in die brandenburgische Landeshauptstadt Potsdam.

1.     Herr Hinrichs, wie lange sind Sie schon in Potsdam? Und was hat Sie dorthin verschlagen?

Also „verschlagen“ hat es mich nun nicht dorthin. Meine Frau und ich sind am Heiligen See umhergelaufen und waren geschockt, wie schön es dort ist; und wie nah an Berlin: 16 Minuten bis zum Zoo mit dem RE!

Meine Frau, mittlerweile angehende Psychoanalytikerin, hat dann vor acht Jahren ein Frauenhaus für geflüchtete Frauen in Potsdam geleitet, nach ihrem Studium, also vor acht Jahren, sind wir nach Potsdam gezogen. Vorher wohnten wir im Dachgeschoss über dem Kino Moviemento im sogenannten Kreuzkölln.

Unten im Haus waren ein Flatrate-Bordell (das war unvorstellbarerweise in Deutschland bis 2017 erlaubt!), eine Geldwäsche-Spielothek und ein Späti ohne Toilette. Um die Mülltonnen im Innenhof zu erreichen, musste ich jedes Mal durch Teiche aus Urin waten. Gegenüber auf der anderen Straßenseite prangte der riesige Schriftzug „Freak Revolt“. Junkies kratzten an der Wohnungstür. Und unser erstes Kind kam. Das passte alles nicht zusammen.

2.     Trotz des Umzugs fragen wir Sie nach Ihren Lieblingsorten in Berlin.

Schwierig. Im Winter das Jolesch oder Der Goldene Hahn oder das Sale e Tabacchi, im Sommer vielleicht die Friedelstraße, Ecke Maybachufer.

3.     Wo zieht es Sie hin, wenn Sie entspannen wollen?

Auf meine Terrasse in den Bäumen, an den Heiligen See in Potsdam.

4.     Welche Ecken von Berlin meiden Sie?

Die Vororte und merkwürdigerweise auch Pankow, habe ich festgestellt.

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BR/Hendrik Heiden
Zur Person
Fabian Hinrichs wurde als Sohn eines Polizisten und einer Sekretärin 1974 in Hamburg geboren. Nach dem Abitur begann er ein Jurastudium, brach es aber ab und wechselte auf die Schauspielschule in Bochum. Nach seinem Abschluss gehörte Hinrichs von 2000 bis 2005 zum Ensemble der Berliner Volksbühne, wo er mit namhaften Regisseuren wie Fred Kelemen, Christoph Schlingensief, Leander Haußmann und Frank Castorf zusammenarbeitete.

Seinen Durchbruch als Filmschauspieler hatte er 2005 in der Rolle des Widerstandskämpfers Hans Scholl im oscarnominierten Spielfilm „Sophie Scholl – Die letzten Tage“.

Seit 2015 ist Hinrichs an der Seite von Dagmar Manzel im Franken-„Tatort“ des Bayerischen Rundfunks zu sehen. An diesem Sonntag (4. Juni) ermittelt er wieder als Hauptkommissar Felix Voss (Foto). „Hochamt für Toni“ läuft um 20.15 Uhr im Ersten.

5.     Ihr ultimativer Gastro-Geheimtipp?

Geheimtipp? Also meine Frau war mal Gastro-Kritikerin während des Studiums, die Hingabe ans Essengehen ist geblieben, bei ihr und bei mir. Wir probieren oft Neues aus. Aber bisher kann das Neue noch nicht zum Alten aufschließen, meiner Meinung nach. Das kommt aber noch.

6.     Ihr ultimativer Shopping-Geheimtipp?

Ich gehe tatsächlich nie (Ausrufezeichen) shoppen.

7.     Der beste Stadtteil Berlins ist ...

Der beste Stadtteil, die beste Farbe, das beste Leben – das Absolute ist im Leben nicht zu finden oder wenn, dann immer nur für einen Moment. Und so ist es für mich auch mit den Stadtteilen. Auch sind selbst die Stadtteile in sich nicht einheitlich im Charakter.

Das Konsumpurgatorium in Mitte, bevölkert mit Agenturmitarbeiter:innen, ist grauenerregend; einige Ecken in Mitte haben aber Seele und Anmut behalten können. In Kreuzberg sieht man viel Müll und Elend, gleichzeitig eine beneidenswerte Internationalität. In Dahlem die Ruhe des Bürgers, aber auch seine Imprägnierung durch Rückzug. Am meisten entspricht meinem Wesen wohl Kreuzberg.

8.     Das nervt mich am meisten an der Stadt:

Müll, Müll, Müll. Kleiner Müll, großer Müll. Überall Müll. Und Hundehaufen, aber das ist etwas besser geworden. Also Müll und Hundesch...

9.     Was muss sich dringend ändern, damit Berlin lebenswert bleibt?

Für wen lebenswert? Für die Tech-Branche mit guten Gehältern wird Berlin immer attraktiver. Für Menschen mit kleinem Geldbeutel werden die Vorzüge Berlins immer abstrakter. Generell ist Berlin ja immer noch recht günstig, man kann immer noch einigermaßen gut essen gehen für einigermaßen wenig Geld. Wichtig ist die Verkehrswende, dass die Stadt Grundstücke (zurück-)kauft, den sozialen Wohnungsbau vorantreibt und das Müll- und Hundeproblem verstärkt angegangen wird.

10.     Ihr Tipp an Unentschlossene: Nach Berlin ziehen oder es lieber bleiben lassen?

Wenn du jung bist, zieh hin. Wenn du älter bist und genug hast vom nervigen Lokalpatriotismus in Hamburg, Köln oder München, zieh hin. Wenn du aber Gemütlichkeit und die Wärme eines Nests suchst, zieh nicht hin.

11.     Cooler als Berlin ist nur noch ...

Potsdam.

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