Wie mit allem im Leben kann man es auch mit der Barbie-Verehrung vortrefflich übertreiben. Das haben weltweit gleich mehrere Frauen und auch einige Männer bewiesen, die als „Real Life Barbies“ bekannt geworden sind – die Ukrainerinnen Alina Kovalevskaya und Valeria Lukyanova zum Beispiel, der Brite Rodrigo Alves oder Justin Jedicla und Blondie Bennett aus den USA.
In Dutzenden Schönheitsoperationen haben sie sich zurechtschnippeln lassen in der Hoffnung, ihren Idolen Barbie und Ken optisch möglichst nahe zu kommen. Extraschmale Nasen und übervolle Lippen, riesige Brüste, falsche Sixpacks: Am Ende sehen die „Real Life Barbies“ wie alles Mögliche aus – nur nicht wie die hübschen Plastikpuppen.
Sie aber, die zierlichen Spielzeugfiguren, sind aktuell tatsächlich zum Stilvorbild geworden – und zwar für eine breite Masse, die sich nicht gleich auf den nächsten Operationstisch legen mag. „Barbiecore“ heißt der Trend, bei dem es vor allem um die pinkfarbenen Kleider geht; ein Kofferwort aus „Barbie“ und „Hardcore“, Puppenliebe in Extremform also.

Einschlägige Modegazetten wie Vogue und Glamour, Harper’s Bazaar und InStyle schreiben vom „größten Modetrend des Sommes“; auf Pinterest haben entsprechende Suchanfragen um satte 90 Prozent zugenommen, auf Tiktok verzeichnet der Hashtag #barbiecore weit mehr als acht Millionen Aufrufe. Woher der Trend kommt, ist denkbar schnell erklärt.
Greta Gerwigs Film „Barbie“ hat den Hype um die Puppe neu entfacht
Seit vor einigen Monaten die ersten Bilder von den Dreharbeiten zu Greta Gerwigs Film „Barbie“ aufgetaucht sind, gibt’s absolut kein Halten mehr: Der Film, der am 20. Juli schließlich in die deutschen Kinos kam, hat einen ungeahnten Hype ausgelöst, der viele Bereiche, so auch die Mode, durchdringt. Und das hat mehrere Gründe.
Zum einen ist es Gerwig gelungen, die ambivalente Spielzeugfigur in einen modernen Kontext zu setzen; sie zur feministischen Ikone zu erklären – zu verklären, würden Kritikerinnen und Kritiker wohl sagen. Im Film kämpft Margot Robbie aka Barbie für das Matriarchat, ausgerechnet das langbeinige Kunststoffpüppchen in pinken Plastikkleidern mahnt zu einem gesteigerten Selbstwertgefühl, zu Selbstbewusstsein, Selbstverwirklichung.

Ein Plot, mit dem sich junge Mädchen und Frauen, hoffentlich auch einige Männer heute gut anfreunden können – und der mit Barbiecore nicht nur ein eigenes Modeschlagwort hervorgebracht hat, sondern auch einen anderen großen Trend bedient. Den der „Hyperfemininity“ nämlich, der übersteigerten Femininität, die zuletzt zum Modeinhalt geworden ist. In den vergangenen Monaten wurden extrem verspielte, extrem verrüschte Kleider thematisiert – und mit ihnen eine Erkenntnis: Dass darin nämlich nicht unbedingt ein naives Dummchen stecken muss.
Barbies Stil dominiert aktuell die Instagram-Profile und roten Teppiche
Ähnlich wie es Greta Gerwig mit ihrem Film versucht, wollen sich auch Anhängerinnen des Hyperfemininity-Trends einen Stil zurückerobern, der lange als unemanzipiert galt – also zeigen, dass eine echte Feministin auch in einem pinken Kleidchen und nicht nur lila Latzhosen daherkommen kann. Kritik nicht durch Ablehnung, sondern durch Aneignung und Übersteigerung – das ist eine klassische Methode der Travestie.
Das Überweibliche, das prächtig-pinke Puppenhafte berührt außerdem die neue Lust auf alles, was bunt und fröhlich, laut und lustig ist. „Dopamin Dressing“ nennt sich wiederum dieser Trend zur glücklich machenden Garderobe. Nach den düsteren Pandemiejahren, heißt es, hätten die Menschen ein gesteigertes Bedürfnis nach lebensbejahenden Kollektionen; hinzu kommt das Ende des schalen Balenciaga-Hypes, der die vergangenen Modejahre bierernst und bitterböse dominierte.

Und nun also Barbie. Ihr Stil hat nicht nur die Instagram-Profile – von Kim Kardashian bis zu Hailey Bieber – und roten Teppiche – Allison Williams bei den Oscars, Bebe Rexha bei den Grammys – aktuell ganz fest im Griff. Auch einige jüngere Luxuskollektionen lassen sich dem Barbiecore zuordnen.
Mattel gehört zu den größten Bekleidungsproduzenten der Welt
Valentinos Kreativdirektor Pierpaolo Piccioli zum Beispiel entwickelte eine knallig-pinkfarbene Kollektion, die in wenigen Wochen in die Geschäfte kommt und in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Pantone entstanden ist: Seinem renommierten Farbsystem entstammt auch das berühmte Barbie-Pink – es handelt sich um die Farbe „Pantone 219“, ein eigentlich recht dunkler, leicht angestaubter Magenta-Ton. Jeremy Scott hatte unterdessen schon 2015 eine Barbie-Kollektion für Moschino entworfen; aktuell gibt es eine entsprechende Linie auch bei Balmain.
Die berühmteste Puppe der Welt wirkt auf die Mode allerdings schon seit Jahrzehnten prägend – im Grunde schon seit sie 1959 in einem schwarz-weiß gestreiften Häkel-Badeanzug erstmals auf den Markt gekommen war. Zum einen ist der Spielzeugkonzern Mattel, zu dem die Barbie-Marke gehört, selbst ein großer Modeplayer.

Mehr als eine Milliarde Kleidungsstücke aus beinahe 100 Millionen Metern Stoff wurden für die Puppe bis dato hergestellt – damit ist Mattel einer der größten Bekleidungsproduzenten der Welt. An jedem kleinen Kleid mit Klettverschluss, heißt es vonseiten Mattels, seien rund 100 Designerinnen und Designer beteiligt.
Als erste Deutsche wurde eine Berlinerin zur Barbie-Puppe gemacht
Und auch jene Kreativen, die für echte Menschen Mode machen, fühlten sich durch Barbie stets inspiriert. Wer mit internationalen Designerinnen und Designern über ihre Modeleidenschaft spricht, wird jedenfalls verdächtig oft die gleiche Anekdote hören: Dass sie schon als Kinder Kleidchen für ihre Puppen genäht haben nämlich – oder für die Puppen ihrer Schwestern, je nachdem. Ziemlich wahrscheinlich jedenfalls, dass darunter auch einige Barbies waren.
Später dann haben viele von ihnen ihre Muse aus Kindertagen tatsächlich eingekleidet: Christian Louboutin und Christian Dior, Oscar de la Renta, Yves Saint Laurent, Ralph Lauren und Giorgio Armani, Karl Lagerfeld, Cynthia Rowley, Diane von Fürstenberg und Vera Wang, Donna Karan und Burberry, Versace, Givenchy – sie alle haben bereits Outfits für die exakt 29,2 Zentimeter große Blondine entworfen.

Einige Vertreterinnen der Modebranche wurden indes gleich selbst zur Barbie-Puppe, darunter Heidi Klum, Claudia Schiffer und Naomi Campbell – selbst die erste und einzige Barbie, die nach dem Vorbild einer deutschen Frau gemodelt wurde, kommt aus der Mode. Und: aus Berlin. 2018 brachte Mattel zum internationalen Frauentag am 8. März 17 Puppen heraus, die historischen und zeitgenössischen Vorbildern aus aller Welt ein Denkmal setzen sollten.



