Pakistan und Iran werfen sich immer wieder gegenseitig vor, Extremisten von ihrem Territorium aus Angriffe auf das andere Land verüben zu lassen. Die jüngsten Luftangriffe beider Länder haben in den vergangenen Tagen die Spannungen in der Region inmitten des Gaza-Kriegs verschärft. Ohne Absprache mit Islamabad griff Iran kürzlich Terroristenstützpunkte auf pakistanischem Gebiet an, woraufhin die Atommacht Pakistan im Rahmen eines Vergeltungsschlags mit Angriffen auf grenznahe Gebiete Irans antwortete und ihre Streitkräfte in höchste Alarmbereitschaft versetzte.
Die militärische Antwort hatte offenbar das Ziel, die Abschreckung aufrechtzuerhalten, indem eine Verletzung der Souveränität Pakistans nicht folgenlos hingenommen wird. Sowohl in der iranischen als auch in der pakistanischen Erklärung hieß es allerdings, dass die Angriffe lediglich der inneren Sicherheit gedient hätten und man die Souveränität und territoriale Integrität des Nachbarn respektiere.
Diese Hinweise hatten offensichtlich das Ziel, den direkten Schlagabtausch zwischen der Atommacht Pakistan und ihrem ebenfalls hochgerüsteten Nachbarn Iran nicht weiter eskalieren zu lassen. Teheran hatte die Stellungen der Terrorgruppe Dschaisch al-Adl auf pakistanischem Boden mit Drohnen angegriffen. Der Angriff auf pakistanischen Boden reiht sich in weitere Raketenschläge ein, die die Iranische Revolutionsgarde im Irak und in Syrien ausgeführt hat, um auf den jüngsten Anschlag auf die Gedankenfeier für den ermordeten General Soleimani zu reagieren.
Anfang Januar hatten Attentäter des „Islamischen Staates“ in der iranischen Stadt Kerman bei einem Anschlag am Grab Qassem Soleimanis mehr als 90 Menschen getötet. Für den Anschlag hatte Iran den afghanischen IS-Ableger verantwortlich gemacht, dessen Rückzugsgebiete vor allem im Nordosten Afghanistans und im Nordwesten Pakistans liegen. Allerdings sieht Iran Israel als den Hauptdrahtzieher für den jüngsten Anschlag auf sein Land.

Teheran glaubt, dass die Terrorbasis von Dschaisch al-Adl in Pakistan an der Grenze zu Iran durch den Mossad unterstützt wird – allerdings gibt es dafür keine belastbaren Beweise. Beide Staaten haben bei ihren Luftangriffen separatistische militante Gruppen der Belutschen ins Visier genommen, die seit langem die iranisch-pakistanische Grenze heimsuchen. Das Siedlungsgebiet der Belutschen erstreckt sich auf beiden Seiten der Grenze.
Auch in der pakistanischen Provinz Belutschistan sind seit Jahrzehnten bewaffnete Milizen aktiv, die für eine Unabhängigkeit von der Regierung in Islamabad kämpfen und die Grenzgebiete als Rückzugsgebiet nutzen. Weder Iran noch Pakistan haben Interesse an weiteren Eskalationen: Iran möchte den Fokus der Weltöffentlichkeit weiterhin auf den Gaza-Krieg und Israels „Kriegsverbrechen“ lenken.
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Pakistan und Iran: Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen
Pakistan will seinerseits nicht von seinem strategischen Grenzkonflikt mit Indien abgelenkt werden. Eine weitere Konfrontation mit den belutschischen Separatisten an der Grenze zu Iran bedient die Furcht vor einem Zweifrontenkrieg mit dem Erzfeind Indien. In Pakistan stehen zudem im Februar Parlamentswahlen an. Islamabad und Teheran haben mittlerweile beschlossen, die diplomatischen Beziehungen wieder aufzunehmen – zwei Tage nachdem beide Raketen aufeinander abgefeuert hatten.
China hat sich schon bereit erklärt, zwischen Iran und Pakistan zu vermitteln. Aus einem kriegerischen Konflikt zwischen Iran und Pakistan würde China als der Verlierer Nummer eins und Indien und die USA würden als Hauptgewinner hervorgehen. Peking betrachtet die Landverbindung zwischen Iran und Pakistan als eine Alternative zum Seeweg im Pazifik, sollten die USA China vor dem Hintergrund der Taiwan-Frage im Südchinesischen Meer einkesseln und die Straße von Malakka blockieren.

Mit dem China-Pakistan Economic Corridor sollte eine strategische Landverbindung aus China durch Pakistan zum Hafen Gwadar in Richtung des Hafens Chahbahar in Iran, der nahe an der Einfahrt zum Persischen Golf liegt, ausgebaut werden. Die belutschischen Separatisten haben gegen den Ausbau dieses Korridors gekämpft und immer wieder chinesische Arbeitskolonnen angegriffen. Ein Iran und Pakistan voneinander trennendes autonomes Gebiet könnte zur Schaffung eines neuen Krisenherdes in der Region beitragen, damit die USA Chinas Neue Seidenstraße hintertreiben können.
Allerdings ist nicht zu unterschlagen, dass Indien am iranischen Hafen von Chabahar interessiert ist, um im Verkehr mit Afghanistan Pakistan umgehen zu können. Indien gehört bereits zu den Investoren des Hafens in Chabahar. Dieser ist ein entscheidender Teil des strategischen Nord-Süd-Transportkorridors (INSTC), den Russland, Indien und Iran Anfang der 2000er-Jahre entwickelten. Indien schien insofern den iranischen Angriff auf Verstecke von Terroristen in Pakistan zu unterstützen. In seiner ersten Reaktion auf den iranischen Angriff erklärte das indische Außenministerium, Indien vertrete eine „kompromisslose Position der Nulltoleranz gegenüber Terrorismus“ und habe „Verständnis für Maßnahmen, die Länder zur Selbstverteidigung ergreifen“.
Es wird vor diesem Hintergrund auch spekuliert, dass Iran unter anderem die Stellungen der Terroristen ohne Absprache mit Pakistan angriff, um ein Warnsignal an China zu senden, das sich derzeit auf dem geopolitischen Parkett zwischen die Stühle setzt. China versucht, Irans Konfrontation mit den USA dazu zu nutzen, das schiitische Land zu seinem Juniorpartner zu degradieren. Diese Gefahr geht derzeit auch Russland ein. Das widerspricht aber den Ambitionen Teherans, trotz der Partnerschaft mit Russland und China souverän in der Region zu agieren. Sollte Iran an der Grenze zu Pakistan weiter zündeln, würde die Krise China eine strategische Niederlage versetzen.
Seyed Alireza Mousavi ist promovierter Politikwissenschaftler und freier Journalist mit dem Schwerpunkt Geopolitik.




